Kurz vor der Bürgerschaftswahl nehmen es die Wahlkämpfer nicht ganz so genau mit der Wahrheit, Hauptsache der politische Gegner wird getroffen Die große Schlacht um Aufmerksamkeit, Argumente und den daraus zu erzielenden Geländevorteilen ist geschlagen. In den letzten Tagen des Wahlkampfs schlägt die Stunde der Vereinfacher.

Die letzten Stunden vor einer Wahl sind eine Phase des Übergangs. Die große Schlacht um Aufmerksamkeit, Argumente und den daraus zu erzielenden Geländevorteilen ist geschlagen. Etwas ermattet werden die meisten Akteure mehr oder weniger schicksalsergeben den ersten Hochrechnungen am Sonntagabend entgegenblicken – die einen voller Hoffnung, die anderen eher mit Sorgen. Ändern an Volkes Stimmung lässt sich nun kaum mehr etwas.

Das war eben noch ganz anders: In den letzten Tagen des Wahlkampfs schlägt die Stunde der Vereinfacher.

Noch gilt es, den politischen Gegner zu desavouieren, mit gezielten Nadelstichen herauszufordern, um daraus Stimmenkapital zu schlagen. Da werden die Argumente mit Brechstange oder Holzhammer so bearbeitet, dass sie kaum mehr sind als sehr pauschale Behauptungen, die gerade deswegen ihren Zweck erreichen. Motto: Auch wenn es nicht (ganz) wahr ist, irgendetwas bleibt schon hängen.

Als Meister der flinken Attacke in diesem Sinn hat sich in dieser Woche der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner erwiesen. „Die Grünen wollen das Gymnasium schleifen“, sagte der Oberliberale aus Düsseldorf im Abendblatt-Interview.

Die Grünen als Bürgerschreck – das war wohlkalkuliert: Die Ökopartei ist aus liberaler Sicht die Hauptkonkurrentin im Rennen um eine eventuell mögliche Koalition mit der SPD. Und das Gymnasium ist in Hamburg allen Bildungsbeflissenen gewissermaßen heilig. Wer wüsste das übrigens besser als die Grünen – und zwar aus leidvoller Erfahrung.

Die sechsjährige Primarschule war in der Tat ein Angriff auf das Gymnasium, mit dem die Grünen bekanntlich krachend 2010 beim Volksentscheid gescheitert sind. Auf eine Wiederholung dieses Erlebnisses verzichtet die Partei nur allzu gerne, auch wenn es weiterhin Sympathien für das längere gemeinsame Lernen gibt. „Die Frage nach größeren strukturellen Veränderungen am Hamburger Schulsystem stellt sich aber für uns derzeit nicht“, heißt es im Wahlprogramm der Grünen. Ein Auftrag zum Einreißen gymnasialer Mauern lässt sich daraus wahrlich nicht herauslesen.

„Der Bürgermeister verbreitet bewusst Unwahrheiten“


„Schön eingeschenkt“, möchte man Christian Lindner zurufen. Nur leider ins falsche Glas. Denn es gibt tatsächlich eine Partei, die im Wahlkampf die Abschaffung des Zwei-Säulen-Modells aus Stadtteilschule und Gymnasium mit der Schule für alle an deren Stelle fordert: die Linke. Aber die interessieren Lindner nun mal überhaupt nicht.

Die gute, alte „Einheitsschul“-Keule taugt also offensichtlich immer noch für den Wahlkampf. Das Gleiche gilt für den Filz-Vorwurf, den CDU-Spitzenkandidat Dietrich Wersich im Kreuzverhör mit Hamburg 1 und Abendblatt in Richtung SPD erhoben hat. Nur: Hier heißt es in der Tat, wachsam zu sein. Dass alte Klischees nicht mehr stimmen müssen, beweist ausgerechnet die FDP, die immer als große Privatisierungspartei galt.

Jahrelang stand die städtische Saga/GWG ganz oben auf der Verkaufsliste der Liberalen. Und nun? Begnügt man sich mit einem Busunternehmen in städtischer Hand... Und FDP-Spitzenkandidatin Katja Suding sagt, ihrer Ansicht nach hätte die Saga/GWG nie auf eine solche Liste gehört.

Die beiden Hauptmatadore dieses Wahlkampfs – Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und CDU-Spitzenkandidat Dietrich Wersich – sind Könner in einer weiteren Disziplin: dem Weglassen des sie selbst belastenden Arguments. „Wir haben beschlossen, die U4 bis zu den Elbbrücken zu verlängern. Das Projekt ist jetzt im Bau, und die Oppositionsparteien haben zugestimmt, obwohl sie Entsprechendes vorher gar nicht gefordert hatten“, sagte Scholz beim „Kreuzverhör“. Klingt nach Erfolg auf ganzer Linie. Nur war es, zumindest was die CDU angeht, gar nicht so. Die Union hatte kurz vor und nach der Bürgerschaftswahl 2011 in Anträgen die Verlängerung der U4 sogar bis nach Wilhelmsburg und Harburg gefordert. Die Anträge wurden allerdings mit den Stimmen der SPD abgelehnt.

Und was der Bürgermeister auch nicht erwähnte, ist dies: 2006, als die Bürgerschaft mit den Stimmen der CDU den Bau der U4 vom Jungfernstieg in die HafenCity beschloss, war die SPD sogar dagegen. Am Donnerstag platzte dem CDU-Verkehrspolitiker Klaus-Peter Hesse schließlich der Kragen. „Der Bürgermeister verbreitet bewusst Unwahrheiten zur Verkehrspolitik“, empörte sich der Abgeordnete, der nicht wieder kandidiert.

Wersich kritisiert die steigende Arbeitslosenquote


Wersich wiederum hielt Scholz gern vor, dass die Zahl der Einbrüche 2014 mit 17.151 Taten um vier Prozent gegenüber 2013 gestiegen ist. Stimmt. Was der CDU-Politiker aber verschwieg, ist die Tatsache, dass die Fallzahl unter dem Wert von 2008 liegt, als die Polizei 17.684 Taten zählte und die Union allein regierte. Wahr ist leider auch: So oder so sind die Werte mit mehr als 17.000 Taten viel zu hoch.

Auch beim Thema Arbeitsmarkt hilft die sorgfältige Auswahl der Fakten, um einen guten Eindruck bei den Wählern zu hinterlassen. „Wir sind das einzige Bundesland gewesen, indem die Arbeitslosenquote gestiegen ist“, sagte Wersich in anklagendem Ton im „Duell“ mit dem Bürgermeister. Stimmt. In Hamburg kletterte die Arbeitslosenquote von 7,4 (2013) auf 7,6 Prozent im vergangenen Jahr, während sie in allen anderen Ländern fiel, wenn auch häufig nur leicht. „Die Arbeitslosigkeit ist geringer, als sie 2010 war“, konterte Scholz, um die Stimmung gleich wieder aufzuhellen. Und auch der Bürgermeister kann Statistiken lesen: Im letzten Regierungsjahr der CDU betrug die Quote noch 8,2 Prozent. Es ist eben alles eine Frage der Sichtweise.

Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Letztlich entscheidend für den Wahlausgang wird der Streit um Zahlen wohl nicht sein. Persönlich herabwürdigende Aussagen hat es in diesem Wahlkampf nicht gegeben. Das ist ein Beleg für einen insgesamt fairen und sachlichen Wettstreit um die Gunst der Wähler.

Peter Ulrich Meyer leitet das Ressort Landespolitik des Abendblatts