Senator Ties Rabe (SPD) zieht zufrieden Zwischenbilanz, aber Expertenbericht offenbart auch Mängel und Probleme

Hamburg. Es ist ein wenig so wie mit dem Glas, das halb leer oder halb voll ist. Die einen meinen, dass die Umstellung der Grundschulen auf den Ganztagsbetrieb trotz des hohen Tempos und mancher Anfangsprobleme auf einem sehr guten Weg ist. Zu ihnen zählen Schulsenator Ties Rabe (SPD) und die Träger der Nachmittagsbetreuung. Die anderen weisen darauf hin, dass die Mängel bei Betreuung und Versorgung der Kinder nach wie vor gravierend sind und dringend behoben werden müssen. Dieser Ansicht sind die Oppositionsparteien – und wohl auch viele Eltern.

Rein quantitativ betrachtet ist das Ausbauprogramm eine Erfolgsgeschichte: In den vergangenen drei Jahren hat sich die Zahl der Ganztagsgrundschulen von 50 auf 200 vervierfacht. Damit sind fast alle staatlichen Standorte erfasst. Das freiwillige, kostenlose Angebot der Nachmittagsbetreuung nutzen mehr Kinder als erwartet: Derzeit bleiben 44.000 Jungen und Mädchen über den Mittag hinaus in der Grundschule – das sind 75 Prozent. Ursprünglich war mit einer Auslastung von 60 Prozent gerechnet worden.

Der kleinere Teil der Grundschulen – 76 Standorte – organisiert den Ganztag in Eigenregie. Der größere Teil – 124 Grundschulen – kooperiert am Nachmittag mit einem auf Kinderbetreuung spezialisierten Träger der Jugendhilfe, etwa mit der staatlichen Elbkinder Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten oder den Wohlfahrtsverbänden.

Eine Expertengruppe hat im Auftrag von Schulbehörde und Trägern alle 124 sogenannten GBS-Standorte (Ganztägige Bildung und Betreuung an Schulen) von Frühjahr bis Sommer besucht, befragt und unter die Lupe genommen. „Die Zwischenbilanz fällt sehr positiv aus“, sagte Schulsenator Rabe. „Das Nachmittagsangebot funktioniert gut, und die Zusammenarbeit von Schule und Trägern läuft sehr gut.“ Es gebe ein „Verständnis von gemeinsamen Einstellungen“ zu den Aufgaben.

Besonders erfreut zeigte sich Rabe darüber, dass die durchschnittliche Gruppengröße am Nachmittag bei zwölf Kindern liege und damit niedriger sei als am Vormittag (21 Kinder). „Beim Essen wird immer auch Rohkost oder Obst, häufig beides, angeboten“, sagte Rabe. An jedem Standort sei eine Hausaufgabenhilfe eingerichtet, fast alle Schulen stellten alle Räume einschließlich der Turnhallen und Aulen sowie Sportplätze zur Verfügung. Die vielen Kursangebote – Sport, Handwerk, Musik, Experimentieren und Fremdsprachen – ließen zunehmend auch genügend Raum für selbstbestimmtes Spielen sowie Ruhe und Rückzug.

Ein Blick in den „Sachbericht GBS-Standortbesuche“ offenbart jedoch auch Kritik und Mängel. So müssen die Schüler an 50 Standorten nach wie vor in provisorischen Räumen essen. Die Hälfte dieser Schulen klagt darüber, dass der Platz nicht ausreichend und der Lärmpegel zu hoch sei. Auch bei zwei Dritteln der Standorte mit Kantine wird die Lautstärke kritisiert. Die Behörde will mit „lärmdämpfenden Maßnahmen“ zunächst an 30 Grundschulen gegensteuern: mit Vorhängen, Filzgleitern unter Stühlen oder schallschluckenden Wand- oder Deckenumbauten.

Die Qualität des Essens wird an 75von 124 Standorten mit gut bewertet. Nur an fünf Grundschulen herrscht Unzufriedenheit mit dem Speisenangebot. An 32 Standorten werden die Kinder sogar in die Essensauswahl einbezogen.

An der Hälfte der 124 Ganztagsgrundschulen gibt es Kritik an der räumlichen Ausstattung. Beklagt wird, dass die Unterrichtsräume nicht für den Nachmittagsbetrieb angemessen eingerichtet oder nicht kindgerecht ausgestattet sind. Allein 42 Schulen geben an, über keine oder zu wenig Räume für Ruhe und Rückzug zu verfügen.

Als ein zentrales Thema erweist sich die Kooperation zwischen dem Lehrerkollegium und dem Erzieherteam. An 87 Standorten wird die Zusammenarbeit beider Gruppen als gut beschrieben. Bei den restlichen 37 Grundschulen ist dies offensichtlich nicht der Fall. Die „Übergabe“ als Nahtstelle der Verzahnung von Vormittag und Nachmittag kann ganz praktisch Hinweise auf die Kinder oder den Unterrichtsstoff enthalten.

„Diese insgesamt triste Bilanz ist das Ergebnis der überstürzten Einführung des Ganztagsbetriebs“, sagte die FDP-Schulexpertin Anna von Treuenfels. „Senator Rabe scheint vollständig konzeptlos, wenn es um die bessere Verzahnung von Vormittags- und Nachmittagsangeboten geht“, sagte Karin Prien (CDU). Stefanie von Berg (Grüne) sprach von einer „Evaluation, die keine ist“. Ein großes Problem sei die wegen der geringen Stundenzahl hohe Fluktuation bei den Erzieherinnen am Nachmittag. „Eine verlässliche Beziehung zwischen Kindern und dem Fachteam kann so nicht entstehen“, sagte von Berg. „Durch ständiges Eigenlob des Senators werden die Mängel der Nachmittagsbetreuung nicht behoben“, kritisierte Dora Heyenn (Linke).

Elbkinder-Geschäftsführerin Franziska Larrá sieht Chancen zur engeren Verzahnung von Vor- und Nachmittag: „Ideal wäre eine gemeinsame Halbjahresplanung und die gemeinsame Fortbildung beider Berufsgruppen.“ Rabe kündigte das Pilotprojekt „Vollzeitverträge für Erzieher“ an, um sie auch am Vormittag einsetzen zu können.