Abteilung am Oberverwaltungsgericht aufgelöst. Jetzt fürchtet die Opposition weitere Verzögerungen bei Prozessen. Verfahren dauern doppelt so lange wie im Bund.

St. Georg. Die Akten dieser Rechtsstreitigkeiten füllen ganze Kartons: die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße oder auch seinerzeit die Hafenerweiterung Altenwerder – hoch komplexe Materie und aufwendig zu bearbeiten. Lagen solche Fälle früher in der Zuständigkeit eines speziellen Fachsenats des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (OVG), müssen sich jetzt andere Richter in die komplizierten Rechtsgebiete des Planungs- und Umweltrechts einarbeiten. Der Grund: Der bisher zuständige 5. Senat wurde aufgelöst. Fachleute befürchten nun, dass sich für Hamburg bedeutsame Verfahren weiter verzögern werden. Schon jetzt steht die Hansestadt mit einer durchschnittlichen Dauer erstinstanzlicher Verfahren von 35,6 Monaten im Vergleich zum Bund (14,8 Monate) nicht gut da.

Das Mehr an Zuständigkeiten, das sich durch die Auflösung des 5. Senats für die verbleibenden vier ergebe, „erhöht dort die Arbeit erheblich, da sich die Senate nicht mehr in dem gewünschten Umfang auf einzelne Rechtsgebiete spezialisieren können“, sagt die Sprecherin des OVG, Anne Groß. Die beiden Richter aus dem aufgelösten Senat sind mittlerweile in zwei andere Senate gewechselt. „Die Kompetenz werden wir sicher weiter haben.“ Aber der Grad der Spezialisierung nehme ab, „und die Arbeit nimmt insgesamt zu“, so Groß.

Allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres sei die Zahl der neu eingegangenen Verfahren beim OVG im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 25 Prozent gestiegen. Dies sei schwer zu bewältigen. „Wenn diese Entwicklung anhält, benötigen wir mehr Richter, um die derzeitigen Verfahrenslaufzeiten zu halten“, erläutert die OVG-Sprecherin. Neben Verfahren etwa aus dem Planungsrecht, Umweltrecht, Schulrecht oder Eisenbahnrecht ist das OVG vor allem für Berufungen und Eilverfahren unter anderem im Ausländerrecht, Baurecht oder bei Klagen um die Vergabe von Studienplätzen zuständig.

Für die deutlich längere Dauer bei erstinstanzlichen Verfahren gebe es „einen Strauß von Begründungen“, erklärt OVG-Sprecherin Groß. Dazu gehöre der Umstand, dass es in Hamburg als Stadtstaat eine „besondere Konstellation gibt, die Verfahren sind komplizierter als im Flächenstaat. Zudem hat es am Oberverwaltungsgericht einen gewissen Rückstau von Verfahren gegeben, die man im vergangenen Jahr angepackt hat und die jetzt mit sehr hohen Verfahrenszeiten in der Statistik sichtbar werden.“

Darüber hinaus lasse sich aus der Statistik ersehen, dass das Gros der Verfahren beim OVG, nämlich Berufungen, im vergangenen Jahr lediglich 19,4 Monate dauere, bei den Beschwerden liege man in Hamburg mit knapp zwei Monaten Verfahrensdauer sogar besser als der Bund, so Groß. „Wir bemühen uns, die Eilverfahren zügig abzuarbeiten.“

Die Krux liegt aber bei den erstinstanzlichen Fällen, unter anderem bei den Planfeststellungsverfahren. Rüdiger Nebelsieck, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, bemängelt: „Es ist allgemein mit der Verfahrensdauer in Hamburg schon sehr schwierig.“ Mit der Auflösung des Fachsenats für Planungs- und Umweltrecht „wird das wohl zu einer absehbaren Verlängerung führen“. Schon früher dauerten Verfahren beim OVG aus Sicht des Anwalts zu lange, etwa das über die Hafenerweiterung Altenwerder, das mehr als zehn Jahre gebraucht habe. Nebelsieck: „Eine gute Entscheidung ist auch die, die in angemessener Zeit ergeht.“

Kritik kommt zudem aus der Opposition. Die FDP-Justizpolitikerin Anna von Treuenfels, die zu dem Thema auch eine Kleine Anfrage gestellt hat, erklärt: „Staatsanwaltschaft und Zivil- wie Strafgerichte haben in letzter Zeit mehrfach öffentlich vor Überlastung und Unterausstattung gewarnt. Die Verfahrensdauer am OVG lässt befürchten, dass es auch hier bald soweit kommen könnte. Die Justizsenatorin muss hier dringend gegensteuern.“

André Trepoll von der CDU meint: „Die Entscheidung der SPD und von Senatorin Jana Schiedek, die Senate beim OVG zu reduzieren, wird die angespannte Überlastungssituation bei den Gerichten in Hamburg weiter verschärfen. Dies bedeutet Stillstand für viele wichtige Projekte in Hamburg. Frau Senatorin Schiedek muss sich endlich für die Belange der Gerichte in Hamburg starkmachen und darf nicht nur als Sparkommissarin der Justiz auftreten.“ Und Farid Müller, Sprecher für Justizpolitik der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, sagt: „Mit dem Wegfall des 5. Senats beim Oberverwaltungsgericht ist die Arbeitssituation am Gericht nicht besser geworden. Jetzt rächt sich, dass Senatorin Schiedek nicht für eine Schonung der Justiz gekämpft hat.“

Thomas Baehr, Sprecher der Justizbehörde, betont indes: „Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht steht im Bundesvergleich gut da.“ Das gelte insgesamt für die zahlenmäßig bedeutsamen zweitinstanzlichen Verfahren. Und bei den Eilverfahren sei die Bearbeitungsdauer in Hamburg im Vergleich zum Bundesschnitt sogar besonders gut, sie betrage 1,7 Monate in Hamburg gegenüber gut drei Monaten im Bund. Zudem habe das OVG heute nicht weniger richterliches Personal zur Verfügung als vorher, erläutert Baehr. „Die Personalausstattung des OVG war in den vergangenen Jahren stabil. Für die nächsten Jahre sind keine spürbaren Veränderungen geplant.“