Nach dem Alarmruf der Staatsanwälte muss Justizsenatorin Schiedek handeln

Die deutsche Staatsanwaltschaft bezeichnet sich gern als objektivste Behörde der Welt. Diese nicht eben unbescheidene Selbsteinschätzung rührt vor allem daher, dass die staatlichen Ankläger hierzulande im Ermittlungsverfahren nicht nur be-, sondern auch entlastende Fakten für einen Tatverdächtigen sammeln und bewerten müssen. Der hohe Objektivitätsanspruch bedingt allerdings große Zurückhaltung – nicht zuletzt in eigener Sache.

Wenn nun die beiden Top-Beamten der Hamburger Anklagebehörde – Generalstaatsanwalt Lutz von Selle und der Leitende Oberstaatsanwalt Ewald Brandt – in einem Brief an Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) genau diese Diskretion und Zurückhaltung aufgeben, muss Gefahr im Verzuge sein. Im Kern lautet der Befund der beiden Chef-Ermittler: Die Hamburger Staatsanwaltschaft kann ihre Arbeit nicht mehr so gründlich und schnell leisten, wie es rechtsstaatlich geboten ist. Das klingt sachlich und nüchtern, birgt aber enorme Brisanz und Dramatik.

Auf den ersten Blick mag ein Einsparvolumen von rund fünf Prozent innerhalb von drei Jahren, um das es geht, als relativ wenig erscheinen. Doch für die Anklagebehörde öffnet sich in zweifacher Weise eine Schere: Eine in etwa gleich bleibende Anzahl von Verfahren muss mit weniger Personal bewältigt werden. Zudem werden die Ermittlungen immer komplizierter und aufwendiger, erfordern somit einen höheren Zeitaufwand.

Das kann zu zwei Konsequenzen bei sinkender Mitarbeiterzahl führen: Jeder einzelne Staatsanwalt muss länger arbeiten, was viele aufgrund ihrer hohen Motivation auch tun werden. Zweitens: Die Ermittlungsverfahren dauern schlicht länger.

Das ist eine gesellschaftlich höchst unerwünschte Folge. Neben Qualität und Gründlichkeit von Strafverfolgung und Rechtsprechung, die unabdingbare Voraussetzungen eines Rechtsstaats sind, ist zunehmend die Forderung nach einer zügigen Strafjustiz getreten. Wenn ein Untersuchungsgefangener entlassen werden muss, weil auch ein halbes Jahr nach seiner Inhaftierung noch nicht Anklage erhoben worden ist, so trägt das zu einem erheblichen Ansehensverlust der Justiz in der öffentlichen Wahrnehmung bei. Wenn ein Strafverfahren „in rechtswidriger Weise“ verzögert wurde, hat der Verurteilte sogar Anspruch auf einen Strafrabatt und möglicherweise sogar Schadensersatz.

Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz und die ihn tragende SPD haben zu Recht den Polizeivollzug, namentlich Schutz- und Kriminalpolizei, von den Sparverpflichtungen ausgenommen, die sie Behörden und Ämtern generell auferlegt haben. Doch wer dem Bereich der inneren Sicherheit politische Priorität einräumt, der darf vor der Strafjustiz nicht haltmachen. Denn was nützt es, wenn die Polizei Ermittlungsakte um Ermittlungsakte abschließt und an die Staatsanwaltschaft weiterleitet, dort aber ein Flaschenhals unerledigter Fälle und Verfahren entsteht?

Es ist jetzt die Aufgabe von Justizsenatorin Schiedek, in einen konstruktiven Dialog mit der Staatsanwaltschaft zu treten. Stellenpläne von Behörden sind biegsame Konstrukte, die vielerlei Interpretationen zulassen. Das beginnt schon mit der feinsinnigen Unterscheidung von Vollzeitäquivalenten und einfachen Stellen.

Doch den Alarmbrief vom Gorch-Fock-Wall zu ignorieren hieße für Schiedek, einen fatalen Fehler zu begehen. Die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft ist ein zentrales Rückgrat einer erfolgreichen Verbrechensbekämpfung. Schiedek sollte die Warnungen der Ankläger deswegen sehr ernst nehmen und sich um eine einvernehmliche Lösung bemühen.

Dies gilt umso mehr, als sich die Justizsenatorin wegen der Probleme im Strafvollzug keinen neuen politischen Konfliktherd leisten kann.