Zahl der zugewiesenen Asylbewerber hat sich verdreifacht. Doch es fehlen 650 Plätze zur Unterbringung. Geringe Akzeptanz der Eigentümer von Nachbargrundstücken.

Hamburg. Die Diskussion um 300 Flüchtlinge, die aus Libyen kommend in Hamburg gestrandet sind, wirft ein Schlaglicht auf die Probleme der Stadt bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Denn die Zahl dieser Menschen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Die Motive, ihre Heimatländer zu verlassen und nach Hamburg zu kommen, sind ganz unterschiedlich. Hamburg aber steht vor der gewaltigen Herausforderung, diesen Flüchtlingen eine Unterkunft zu geben - und ist von einer Lösung noch weit entfernt.

So hängt die Sozialbehörde bei ihrem Plan, 1000 zusätzliche Unterbringungsplätze für Flüchtlinge zu schaffen, dem Ziel weit hinterher. Bislang sind es lediglich 350 neue Plätze. Grund ist unter anderem die geringe Akzeptanz der Eigentümer von Nachbargrundstücken. So hat etwa das Verwaltungsgericht einer Klägerin recht gegeben und die Unterbringung von 120 Menschen auf dem ehemaligen Recyclinghof am Offakamp (Lokstedt) gestoppt. Gegen diese Entscheidung will das Bezirksamt Eimsbüttel nun in der nächsten Instanz vorgehen. Ein weiterer Grund für die Verzögerung ist laut Sozialbehörde neben den Bürgerprotesten der hohe Aufwand, um die Flächen herzurichten. Teilweise sei der Boden belastet. Zudem würden sich auch Genehmigungsverfahren in die Länge ziehen. Die FDP-Bürgerschaftsfraktion fordert daher eine sozialverträgliche Unterbringung in den Stadtteilen. Um die soziale Balance nicht zu gefährden, müssten Quartiere, die bereits jetzt vor großen sozialen Herausforderungen stünden, weniger beansprucht werden als andere, heißt es in einem Antrag, den die Sozialexpertin Martina Kaesbach in die Bürgerschaft einbringen will. Nötig seien "nachvollziehbare und sachgerechte Kriterien", damit die Akzeptanz in der Bevölkerung steige.

Die öffentlichen Unterbringungen in der Hansestadt sind auch deshalb überfüllt, weil die Zahl der Asylbewerber im vergangenen Jahr sprunghaft zugenommen hat - bundesweit von 45.741 auf 64.539 Menschen. Da die Flüchtlinge nach einem Schlüssel auf die Bundesländer verteilt werden, kamen auch deutlich mehr Menschen nach Hamburg - nämlich 5022. Knapp 2100 von ihnen blieben in der Hansestadt. Im Jahr zuvor waren es lediglich 1546 Asylbewerber gewesen. In der Erstaufnahme stieg vor allem die Zahl der Flüchtlinge, die öffentlich untergebracht werden mussten, und zwar von 931 auf 1559.

Diese Zahlen sind zwar weit entfernt von den Zahlen der 90er-Jahre. Doch die Entwicklung hat vor allem in der zweiten Jahreshälfte an Fahrt aufgenommen: In diesem Zeitraum verdoppelte sich die Zahl der Asylsuchenden, die mit Unterkünften versorgt werden mussten. Ein Grund ist vor allem der starke Andrang von Flüchtlingen aus den Balkanstaaten. Allein die Zahl derer, die Asyl beantragten und Hamburg zugewiesen wurden, kletterte im vergangenen Jahr von 231 auf 675 - fast dreimal so viele wie vorher. Die meisten Flüchtlinge, die sich in Hamburg um Asyl bemühen, kommen aber noch immer aus Afghanistan (1516) und dem Iran (700), gefolgt von Serbien (458), Mazedonien (367), Syrien (266) und Montenegro (164). Menschen aus Serbien und Montenegro haben allerdings wenig Aussicht, tatsächlich Asyl zu bekommen. Die Krisen in Teilen der Welt haben den Druck verstärkt. So gab es einen starken Anstieg vor allem bei Iranern, Serben, Mazedoniern und Syrern sowie der Zahl der Flüchtlinge aus dem Irak und Ägypten. Längst nicht alle blieben allerdings in Hamburg.

Es kommen aber auch viele Arbeitsmigranten aus süd- oder südosteuropäischen Ländern nach Hamburg. Viele von ihnen stammen aus Rumänien und Bulgarien, von wo aus sie seit der Aufnahme in die EU 2007 einreisen können. Andere waren schon als Wanderarbeiter in Spanien, Griechenland, Portugal oder Italien tätig, finden aber angesichts der Wirtschaftskrise in diesen Ländern keine Jobs mehr. Die blühende Wirtschaft in Deutschland zieht sie nach Norden, wo sie - teilweise illegal - auf dem Bau arbeiten. Anders als früher stellen Baufirmen aber oft keine Unterkünfte mehr bereit - die Männer kommen beispielsweise im Winternotprogramm der Stadt unter. 2009 und 2010 war in Hamburg erstmals eine stärkere Zuwanderung aus Osteuropa nach Hamburg festzustellen von Arbeitsmigranten aus Polen, Rumänien und Bulgarien, aber auch von Menschen, die schon in ihren Heimatländern obdachlos waren. In den Sommermonaten kamen junge Punks hinzu, viele aus Polen, die in Rathausnähe campierten und sich teilweise mit Autoscheibenputzen an Kreuzungen Geld verdienten.

Wie viele Menschen ganz ohne Papiere hier leben, ist schwer zu sagen. Eine Studie des Diakonischen Werks schätzte ihre Zahl 2009 auf 6000 bis 22.000. Die meisten dieser Menschen stammten aus Lateinamerika und Westafrika, besonders viele aus Ecuador und Ghana. 60 Prozent sind im erwerbsfähigen Alter, 30 Prozent Jugendliche und acht Prozent Kinder.

"Es gibt eine Vielfalt von Gründen, warum sich Einwanderung nach Deutschland verstärkt hat", sagt Antje Möller, die sich seit vielen Jahren in der Grünen-Bürgerschaftsfraktion um Flüchtlingspolitik kümmert. "Das kann Einwanderung aus wirtschaftlicher Not sein. Darüber hinaus gibt es Einreiseländer wie Griechenland, Italien, Malta, auch Ungarn oder Spanien, die die mühsam ausgehandelten Asylrichtlinien der EU nicht einhalten." Flüchtlinge hätten dort oft keinen angemessenen Zugang zu ordentlichen Asylverfahren, auch für die Unterbringung werde schlecht oder gar nicht gesorgt. Dies führe dazu, dass die Flüchtlinge aus diesen sicheren Drittstaaten in Richtung Norden zögen.

Für die aktuellen Probleme bei der Unterbringung machen Flüchtlingsvertreter unter anderem den schleppenden sozialen Wohnungsbau unter dem CDU-geführten Senat verantwortlich. In den Asylbewerberheimen lebten teilweise große Familien, die längst Anspruch auf normalen Wohnraum hätten - doch der ist angesichts der Wohnungsnot in Hamburg kaum zu finden.