70 Afrikaner finden Zuflucht in der St.-Pauli-Kirche. Tagsüber müssen sie das Gotteshaus verlassen, abends geht's zurück. Zum Essen, Reden, Schlafen.

St. Pauli. Ali Ahmad zieht sich seine Socken aus, schließt die Augen und kniet sich auf seine blau-weiß-rot-karierte Decke. Dann betet er, zu Allah. Mitten in der St.-Pauli-Kirche, während nur einige Meter entfernt eine große Jesus-Statue über das Gotteshaus wacht. Ali Ahmad ist ein gläubiger Mann - ein Moslem aus dem Sudan. Aus Libyen ist er geflohen, über Italien kam er nach Deutschland, gestrandet ist er in Hamburg. Ahmad, der Moslem, hat Zuflucht gefunden in der St.-Pauli-Kirche.

In dieser Nacht, der mittlerweile vierten in Folge, ist Ali Ahmad einer von rund 70 Afrikanern, die in dem Gotteshaus ein Dach über dem Kopf finden, wochenlang war er obdachlos in Hamburg. Sein Weg hierhin ist sinnbildlich für das Elend der Männer. Er sei, erzählt Ahmad, Lehrer im Sudan gewesen, habe arabische Sprachen unterrichtet. Dann habe er vor dem Bürgerkrieg flüchten müssen, seine Frau und die acht Kinder zurückgelassen. Er hatte mal elf. Drei seien gestorben: bei der Geburt, an Malaria, verhungert. Zurück in die Heimat könne er nicht. "Wenn ich in den Sudan zurückkehre, töten sie mich", sagt Ahmad. Er floh, erzählt er, nach Libyen, kämpfte dort für Gaddafis Truppen gegen den Sudan - gegen sein Heimatland. Nachdem Gaddafis Regime zerschlagen wurde, musste er auch Libyen verlassen. "Die neue Regierung hat mein Leben bedroht", sagt Ahmad, der auf einem Schiff nach Italien kam, doch auch da wurde es nicht besser. "Wir sind dort fast verhungert." Die Hoffnung auf ein besseres Leben hat ihn nach Hamburg gebracht. Ahmad hat Asthma, atmet schwer, sein Haar ist grau, und das müde Gesicht täuscht über das Alter hinweg. Ahmad ist 44.

Geht es nach Senat und gültigem Recht, müssen Ahmad und die 300 weiteren Flüchtlinge Hamburg wieder verlassen und zurück nach Italien. Die Innenbehörde sieht nach den von Kirche und Diakonie abgebrochenen Verhandlungen keine dauerhafte Aufenthaltsperspektive für die Flüchtlinge. Olaf Dittmann, Sprecher der Sozialbehörde sagte: "Wir bedauern die Entscheidung der Kirche und der Diakonie, die zum Scheitern der Gespräche führten. Gerne hätten wir den Flüchtlingen in Kooperation mit der Kirche vorübergehend ein Dach über dem Kopf geboten."

Stattdessen sind rund 70 der Flüchtlinge in der St.-Pauli-Kirche gelandet. Hier riecht es an manchen Ecken nach Schweiß, die Hygiene ist das größte Problem auf dem engen Raum. Es gibt nur zwei Toiletten, Sanitärcontainer mit Dusche sollen noch kommen. Zumindest hungern müssen sie nicht. Viele freiwillige Helfer tragen körbeweise Brötchen in die Kirche, es gibt Obst und zwei junge Männer bringen einen großen Topf Erbsensuppe. Zusammen mit seinen Helfern baut Pastor Sieghard Wilm ein kleines Buffet auf. "Sie müssen das Bundesverdienstkreuz bekommen", ruft Bärbel Salomon ihm entgegen. Die 66-Jährige ist Zeit ihres Lebens Mitglied der Gemeinde auf St. Pauli. Wilm habe immer ein offenes Ohr, lobt Salomon.

Frank Schira ist der kirchenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Und er beurteilt das Engagement von Pastor Wilm und seinen Mitstreitern kritisch: "Die Kirche macht den Flüchtlingen Hoffnungen, die nicht zu realisieren sind. Ich hätte mir eine Kooperation gewünscht. Dass die Kirche eine völlig konträre Position einnimmt, halte ich für unklug", sagte Schira, nachdem die Verhandlungen an der Feststellung der Personalien der Flüchtlinge gescheitert waren. Der Senat wollte feststellen, wer nach Hamburg gekommen ist - und woher. Die Kirche war in der Form dagegen.

Damit die Verantwortlichen in der Kirche den Überblick behalten, haben die Afrikaner eigene Sprecher gewählt. Am Eingang sitzt Osei aus Ghana, einer der Anführer, und schreibt eine Liste mit den anwesenden Flüchtlingen. Ohne Pass und Aufnahme des Namens gibt es keinen Einlass. Immer mehr Männer drängen in die Kirche, doch die Afrikaner haben sich inzwischen selbst organisiert und Strukturen geschaffen.

Wortführer Osei musste sein Heimatland, sagt er, wegen Stammeskonflikten verlassen. Mit seinem Bruder floh er nach Libyen. Dort verlor er alles. "Ich besitze nur noch das, war ich am Körper trage", sagt Osei.

Kurz vor Mitternacht verlässt Pastor Wilm die Kirche, kurze Zeit später auch Bärbel Salomon, die ihre Spätschicht beendet hat und nun von einer Nachtwache abgelöst wird. Überall in der St.-Pauli-Kirche liegen nun Afrikaner auf Isomatten, dreckigen Matratzen, teilweise auch auf dem Boden.

Der SPD-Senat will die Männer zurück nach Italien schicken. Abgeordnete der SPD-Bürgerschaftsfraktion haben trotzdem einen Aufruf zur Solidarität mit den Flüchtlingen gestartet. Sie wollen damit um "Verständnis, Solidarität und Mithilfe bei der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten" werben, und zwar unabhängig von rechtlichen Bewertungen des jeweiligen Aufenthaltsstatus. Das erklärten am Mittwoch Hamburgs früherer Ver.di-Chef Wolfgang Rose und der Geschäftsführer des Vereins "Unternehmer ohne Grenzen" Kazim Abaci, die beide für die SPD in der Bürgerschaft sitzen. Zu den Erstunterzeichnern zählen übrigens Bischöfin Kirsten Fehrs und Diakoniechefin Annegrethe Stoltenberg.