Elbvertiefung vorläufig gestoppt: Bürgermeister Scholz ruft während der Hamburg-Werbung in Asien zur Krisensitzung in sein Hotelzimmer.

Mumbai. Die Nachricht der Woche kam völlig unerwartet und platzte mitten in den Vortrag des deutschen Generalkonsuls in Mumbai, Michael Siebert. Er informierte die Hamburger Delegation, allen voran Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos), gerade über die Besonderheiten der indischen Hafenstadt. Horchs Sprecherin Susanne Meinecke blickte auf ihren Blackberry und gab das Smartphone sofort an die beiden Senatsvertreter weiter. Sie hatte soeben die Meldung der Deutschen Presse-Agentur erhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht die geplante Elbvertiefung vorläufig gestoppt habe.

Nun löst eine derart niederschmetternde Meldung für das wichtigste Infrastrukturprojekt des Hamburger Hafens eigentlich den Reflex aus, sofort mit den zuständigen Stellen im 6500 Kilometer entfernten Hamburg zu telefonieren. Doch an diesem Mittwochnachmittag galt es erst einmal, Ruhe zu bewahren. Man befand sich schließlich auf internationalem Parkett. Und so blieben Scholz und Horch noch weitere 20 Minuten im Crystal North Room im ersten Stock des Taj Mahal Palace Hotels, um den Ausführungen des Generalkonsuls bis zum Ende zuzuhören.

Dann aber schritten die beiden zusammen mit Jens Meier, dem Chef der Hafenbehörde HPA, zügig in Richtung Fahrstuhl. Im Zimmer des Bürgermeisters kamen sie zur Krisensitzung zusammen. Es galt herauszufinden, was die Entscheidung der Richter in Leipzig für Auswirkungen hat. Horch telefonierte deshalb mit dem Rechtsamtsleiter seiner Behörde.

Viel Zeit blieb nicht, denn es stand schon der nächste Termin auf dem dicht getakteten Delegationsprogramm. Nach einer halben Stunde verließen die drei das Hotelzimmer und fuhren zur Hamburg-Repräsentanz in der Außenhandelskammer, in der Scholz eine Rede halten sollte. Die Delegation, zusammengesetzt aus Vertretern von Wirtschaft und Politik, informierte Scholz im Bus. Er sagte, dass es sich nicht um eine Vorentscheidung in der Sache handele, aber dennoch Zeit kosten würde. Er war bemüht, die Dramatik, die in Hamburg vorherrschte, zumindest in Indien zu dämpfen.

Dass nicht jedes Gespräch mit diplomatischem Geschick geführt wurde, erfuhr der Bürgermeister tags zuvor, als er den indischen Wirtschaftsminister Shri Vasanim in Neu-Delhi traf. Der drückte ihm, kaum, dass Scholz sein riesiges Büro betreten hatte, einen kolossalen Blumenstrauß roter, gelber sowie mit Goldglitter besprühten Rosen in beide Hände. Dann versuchte er, Scholz in ein Gespräch über Bauwerke in Hamburg, welche mit indischen Steinen erbaut wurden, zu verwickeln. Später hieß es, dass inhaltlich mit dem Minister wenig herauskam. "Aber sein Staatssekretär, der hat richtig was drauf", sagt ein Delegationsteilnehmer. Allein diese Erkenntnis sei es wert gewesen, nach Indien zu reisen. Sinn der Visite ist es, Kontakte für die Hamburger Wirtschaft auf dem Subkontinent zu schaffen. "Wenn wir beim nächsten Mal mit dem Ministerium zu tun haben, wissen wir, wen wir ansprechen müssen. Und dann kennen die uns auch schon."

Scholz selbst zog schon zur Mitte der Reise ein positives Fazit. Ähnliches tut auch Jan Balcke, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. "Scholz wurde von mehreren Ministern empfangen. Man hat Hamburg ganz offensichtlich einen hohen Stellenwert beigemessen." Außerdem sei es als Politiker eine interessante Erfahrung gewesen, "die größte Demokratie der Welt" besucht zu haben.

Naturgemäß ziehen nicht alle mitgereisten Bürgerschaftsabgeordneten eine derart positive Bilanz. Besonders, wenn sie nicht der Regierungspartei angehören. "Dass Hamburg in Indien so gut aufgestellt ist, ist natürlich auch ein Verdienst der Vorgängersenate", sagt etwa Karin Prien (CDU). Weil es eben diese guten Kontakte gebe, überrasche sie der Zeitpunkt der Reise. "Geschadet hat sie jedenfalls nicht." Wieland Schinnenburg (FDP) nannte die Visite "gut und wichtig". Allerdings müsse der Bürgermeister nun die Stadt weiter voranbringen. "Gerade die Entscheidung zur Elbvertiefung zeigt, dass Scholz jetzt seine Hausaufgaben machen muss."

Schinnenburg hatte ohnehin ein sehr spezielles Verhältnis zu Scholz auf der Reise. Zu einer kleinen diplomatischen Panne kam es beim Besuch bei der Ministerpräsidentin von Delhi, Sheila Dikshit. Alle Delegationsteilnehmer waren gebeten worden, sich selber vorzustellen. Ministerpräsidentin Dikshit wollte wissen, mit wem sie es denn zu tun habe. Prien und Schinnenburg waren die letzten in der Runde und waren deshalb aus Scholz' Blickfeld geraten. Als dieser wieder das Wort ergriff, gab es Gelächter. Ausgerechnet die Opposition sollte nicht zu Wort kommen.

"Das war mit Sicherheit keine Absicht", sagt Schinnenburg. Aber in dem Moment hatte ihn das dann doch gewurmt. Deshalb stellte er sich auch als Vizepräsident der Hamburgischen Bürgerschaft vor und nicht als einfacher Abgeordneter. "Denn formal war ich ja der höchste Vertreter Hamburgs auf dieser Reise", sagt Schinnenburg.

Zu diesem Zeitpunkt war das Verhältnis zum Bürgermeister noch ein wenig frostig. Schon beim Abflug in Hamburg gerieten die beiden aus Sicht des FDP-Politikers aneinander. Dabei ging es um die Kleiderordnung im Flugzeug. Erleichtert nahm Schinnenburg zunächst zur Kenntnis, dass Olaf Scholz ohne Krawatte reiste. "Wie gut, dass Sie auch keine anhaben", sagte Schinnenburg. Er wolle ihm in puncto Seriosität zumindest ebenbürtig sein. "Das wird Ihnen nicht gelingen", soll Scholz erwidert haben. Im Laufe der Woche habe er aber eine Entspannung im Verhältnis zwischen den beiden wahrnehmen können, sagt Schinnenburg. Mittlerweile fühle er sich vom Bürgermeister ernst genommen. "Wir haben jetzt regelmäßig Blickkontakt." Auch das Verhältnis unter den Abgeordneten hat sich gelockert. Balcke, Prien und Schinnenburg duzen sich seit neuestem.