Einwohner beklagen sich: Kraftwerk, Autobahn, Hafenschlick - und jetzt ehemalige Schwerverbrecher

Moorburg. An der Klingel steht noch der Name des alten Besitzers. In den Beeten vor dem Haus blühen Rosen, Tagetes und Hortensien. "Privat. Jeder Diebstahl wird zur Anzeige gebracht" warnt ein Schild mögliche Begehrlichkeiten. Am Ende der Auffahrt stehen drei Abfalltonnen für die korrekte Mülltrennung. Aber um das Haus am Moorburger Elbdeich neben einem Parkplatz und unter den Hochspannungsmasten kümmert sich schon länger niemand mehr. An der grau-weißen Fassade bröckelt der Putz, die Fensterscheiben sind verdreckt.

Nun soll das Gebäude von 1893 die neue Heimat von drei ehemaligen Schwerverbrechern werden. Der Senat möchte die drei Sicherungsverwahrten, die noch bis Ende November in einem ehemaligen Altenheim in Jenfeld leben, in dem Bauernhaus unterbringen (das Abendblatt berichtete).

"Ich finde das alles sehr unerfreulich, um mich mal diplomatisch auszudrücken", sagt Claus-Heinrich Dierks, 55. Der Landwirt holt mit Trecker und Hänger Silageballen von der Wiese. Denn Dierks hat seine Weiden für seine Mastrinder direkt hinter dem fraglichen Haus. Wenn er in der Scheune werkelt oder seine landwirtschaftlichen Geräte zum Unterstand manövriert, hat er den Stein des Anstoßes immer vor Augen. "Seit Jahren lädt der Senat seine Probleme in Moorburg ab. Erst das Kraftwerk, demnächst die A 26, ein Berg mit Hafenschlick und jetzt noch diese Männer", zählt Dierks auf. Seine Vermutung: "Das Dorf soll kaputt gemacht werden, damit der Senat hier ungestört Industrie ansiedeln kann."

Dierks Ehefrau stammt aus einer der ältesten Familien Moorburgs, die seit dem 14. Jahrhundert in der Gegend ansässig ist. Deshalb kann sich der Landwirt auch nicht vorstellen, woanders zu leben. "Hier ist unser Hof, unsere Heimat." Was Dierks besonders ärgert: "Die Leute, die in das Haus einziehen sollen, haben die Wahl, ob sie das wollen. Wir Moorburger aber haben keine Wahl, sondern werden vor vollendete Tatsachen gestellt."

Ähnlich empfindet es Rainer Böhrnsen. "Wir werden systematisch kaputt gemacht, man könnte glauben, die Politik hätte Moorburg längst aufgegeben. Das ist wirklich alles extrem rücksichtslos", sagt Böhrnsen, der sich lange Zeit am runden Tisch Moorburg engagiert hat. Er mag sich gar nicht vorstellen, wenn die Sicherungsverwahrten mit Polizeibeamten im Schlepptau am Deich entlangspazieren. "Wir haben hier drei Straßen und 780 Einwohner. Jeder kennt jeden. Das Klima im Dorf wird eisig werden."

Das Verhalten des Senats empfinden viele Moorburger als unfreundlichen Akt. Aus der Einladung für die Veranstaltung am vergangenen Freitagabend sei gar nicht hervorgegangen, um was es bei der Zusammenkunft eigentlich gehe, heißt es im Dorf. Als Thema sei lapidar "Sanierung und Nutzung von Gebäuden" genannt worden.

Die Familie von Jutta Rustin betreibt am anderen Ende von Moorburg eine Pension und vermietet Zimmer an Monteure. "Ich befürchte keine Einbußen beim Geschäft, aber ich habe Angst um meinen Enkel", sagt die 58-Jährige und nimmt Jesaja auf den Arm. "Er ist zwar erst sieben Monate alt, aber wenn er dann später allein im Dorf unterwegs ist, möchte ich solche Menschen hier nicht haben."

Jutta Rustin erzählt, dass sich in den letzten Jahren viele Familien in Moorburg angesiedelt haben, weil alles so schön grün und ruhig sei, die Mieten noch bezahlt werden könnten. "Im Kindergarten werden 75 Kinder betreut. Und jetzt so etwas. Die Politiker glauben, dass sie's mit Moorburg ja machen können."

Michaela Fey fegt im Eingang ihres Hauses Spinnen von der Rotklinkerfassade. "Ich kann die Ängste verstehen", sagt die 53-Jährige. "Und ich finde es auch nicht gut, wenn wir solche Neubürger hier bekommen." Aber die Frau gibt auch zu bedenken: "Irgendwo müssen die Männer ja wohnen."

Im Restaurant Wasserturm richtet Angelika Freitag letzte Kleinigkeiten an einer Geburtstagstafel für 15 Gäste. "Seit Freitagabend wird das Thema natürlich in der Gaststube diskutiert", sagt die Wirtin. "Moorburg wird wieder mit schlechten Nachrichten in Verbindung gebracht. Das hat das Dorf nicht verdient." Viele Drähte in dem Stadtteil laufen bei Manfred Brandt zusammen. Der promovierte Agrarwissenschaftler lebt in einem mehr als 100 Jahre alten Haus, das seit Generationen in Familienbesitz ist, engagiert sich beim runden Tisch Moorburg und gilt als Architekt des neuen Hamburger Wahlrechts.

Ist der hiesige Standort wirklich der einzige? Sind andere Standorte geprüft worden? Gibt es keine Alternative?", fragt der 67-Jährige. In den Saga-Häusern gebe es jahrelangen Leerstand und Renovierungsstau, aber in dem besagten Haus wolle man in drei Monaten drei Wohnungen ausbauen. "Wir werden uns so unaufgeregt und sachlich wie möglich mit dem Thema auseinandersetzen", sagt Brandt. "Aber wir werden uns wehren. Hamburg kann nicht alle Probleme in Moorburg abladen."