Offiziell hat Hamburg 9042 Straßen- und Brückennamen. Sie erinnern an Persönlichkeiten und geben Aufschluss über die Geschichte der Stadt.

Bei Loki Schmidt ging es ganz schnell: Ihr zu Ehren wird der neue Botanische Garten am 21. Oktober in "Loki-Schmidt-Garten" umbenannt. Die Ehrenbürgerin, engagierte Botanikerin und Ehefrau von Altkanzler Helmut Schmidt war am 21. Oktober 2010 im Alter von 91 Jahren gestorben. Die Zwei-Jahres-Frist wurde in ihrem Fall auf den Tag genau eingehalten. Erst danach soll nämlich bestimmt werden, ob eine Straße, ein Platz, eine Brücke oder ein besonderer Ort nach einer Persönlichkeit benannt werden soll. "Straßen, Plätze oder Institutionen werden jedoch nie nach noch lebenden Persönlichkeiten benannt", sagt Stefan Nowicki, der Sprecher der Kulturbehörde. Die "Frühestens-zwei-Jahre-nach-dem-Tod-Regelung" sei in Hamburg bis auf zwei Ausnahmen bisher auch genau eingehalten worden. Die Ausnahmen seien die Kennedy-Brücke sowie der Heidi-Kabel-Platz gewesen, im Übrigen würden die Hamburger Straßen nur sehr zurückhaltend umbenannt. In Berlin dauere diese Frist sogar fünf Jahre.

Wahrscheinlich wäre Loki Schmidt ob dieser noblen Geste geschmeichelt gewesen, doch sie gehörte sicher nicht zu jenen Zeitgenossen, für die eine nach ihnen benannte Straße, Platz, Brücke oder Institution der Gipfel des persönlichen Ruhms gewesen wäre. Die namentlich Geehrten selbst können sich sowieso nicht mehr darüber freuen. Und manchmal erspart dies auch eine Menge Verdruss: Als der Hamburger Senat dem Blankeneser Bahnhofsplatz fünf Jahre nach dem Tod des langjährigen Hamburger CDU-Vorsitzenden Erik Blumenfeld dessen Namen verlieh, "wurden in den ersten Monaten ständig die Straßenschilder geklaut", erinnert sich Susanne Meinecke, "da waren wohl ein paar Andersdenkende nicht einverstanden gewesen".

Die Zahl der so geehrten Zeitgenossen ist überschaubar. Aber die Auswahl an Straßen ist enorm. Dem offiziellen Straßenverzeichnis nach sollte ein Hamburger Taxifahrer 9042 Straßen- und Brückennamen kennen. Andere öffentliche Quellen verweisen auf lediglich rund 8200 Straßen und Brücken, was sich Susanne Meinecke von der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation nur so erklären kann, dass immer neue Straßen und Brücken hinzu kommen und lange Straßen in mehrere Abschnitte zerlegt werden sowie unterschiedliche Namen erhalten, wie die ehemalige Ost-West-Straße, die in Willy-Brandt-Straße und Ludwig-Erhard-Straße umgetauft wurde, wobei der sozialdemokratische Straßenteil um 350 Meter länger ist und eine fiese Rotlicht-Blitzampel unter dem Hochbahn-Viadukt Rödingsmarkt beheimatet.

Tatsächlich existiere keine öffentliche Internetseite mit allen Hamburger Straßen- und Brückennamen, bestätigt Nowicki. Doch überall, wo neue Quartiere entstehen, werden Straßennamen gesucht: beschreibende, mahnende sowie persönlich und historisch begründete Bezeichnungen für die asphaltierten Schneisen, die Stadtteile miteinander verbinden oder voneinander trennen. Einige der berühmteren und angesagten Straßen werden häufig "Lebensadern" genannt, auch wenn sie manchmal die Namen von Verstorbenen tragen - was für rund ein Viertel aller Hamburger Straßen zutrifft.

Vorschläge für namentliche Straßenbenennungen oder -umbenennungen dürfen aus der Bevölkerung kommen. Sie müssen beim Bezirksamt oder Staatsarchiv eingereicht und beantragt und von einem parlamentarischen Gremium bestätigt werden. Nicht selten wird so eine Straßennamenvergabe jedoch zum Politikum, an dessen Ende auch ein fauler Kompromiss herauskommen kann, siehe folgendes Beispiel aus München: Der nach dem ebenso genialen wie auch umstrittenen Regisseur benannte Rainer-Werner-Fassbinder-Platz versteckt sich zwischen den S-Bahn-Gleisen der Haltestelle Donnersbergerbrücke und der vielbefahrenen Bundesstraße 304.

Allerdings sei eine personenabhängige Neu- oder Umbenennung sehr häufig von den örtlichen Gegebenheiten abhängig, sagt Nowicki. Es ist ein offenes Geheimnis, dass in den zuständigen Behörden zurzeit viele Vorschläge herumliegen, weil einfach keine neuen Straßen in der Gegend vorhanden sind, in der sich die zu ehrenden Personen engagiert hatten. So gesehen kommt dem Wahlversprechen des Hamburger Senats, jährlich 6000 Wohnungen zu bauen, eine weitere Bedeutung zu.

+++ Botanischer Garten wird nach Loki Schmidt benannt +++

Straßennamen erinnern jedoch nicht nur an markante, verdiente Persönlichkeiten, sondern geben Aufschluss über die Geschichte der Stadt. So kann man an den Straßennamen eines Viertels häufig die verschiedenen Epochen der jeweiligen Stadtentwicklung ablesen; zum Beispiel, ob ein Quartier über einen langen Zeitraum gewachsen oder schnell hochgezogen wurde. Vor allem in der Mitte des 19. Jahrhunderts und der sogenannten Gründerzeit wurden Straßenkomplexe innerhalb kurzer Zeiträume aus dem Boden gestampft, da Hamburg nach dem Großen Brand 1842 in weiten Teilen wieder aufgebaut werden musste und dann die ehemaligen Wohnviertel aus der Innenstadt an den (noch) dörflichen Stadtrand verlagert wurden - nach Barmbek, Eimsbüttel oder Eppendorf -, um zwischen Alster und Elbe Platz für großzügige Boulevards, Geschäftshäuser sowie Industrie- und Gewerbebetriebe in der neuen Speicherstadt sowie im Freihafen zu schaffen. Plötzlich war Wohnraum knapp in der rasant wachsenden Stadt. So entstand im heutigen Barmbek-Süd das "Komponistenviertel", das unter anderen die Bachstraße, die Lortzingstraße, die Mozartstraße und die Gluckstraße beherbergt.

Doch dieser harmonischen Namensgebung war ein Irrtum der Hamburger Verwaltung vorausgegangen: Die Herren im Rathaus hatten nämlich angenommen, dass die bereits bestehende Wagnerstraße nach dem Komponisten der "Walküre" benannt worden wäre. Ihre Vermutung lag nahe, weil in der Nähe die Richardstraße verlief - doch tatsächlich trägt die Wagnerstraße den Namen des Grundeigentümers Hans Heinrich David Wagner (1816- 1872). Dessen Frau Elsa ist übrigens nur wenige Hundert Meter weiter nördlich, über die Hamburger Straße hinweg, verewigt worden.

Von Mitte des 19. Jahrhunderts an war es unter den begüterten Hamburger Familien Usus, mit eigenen Straßennamen ihre Claims abzustecken; wie etwa die Familien Tornquist (im heutigen Eppendorf) oder die Sierichs und Gertigs, die den Stadtteil Winterhude praktisch unter sich aufgeteilt hatten. Die "Frühestens-zwei-Jahre-nach-dem-Tod-Regelung" gab es noch nicht. Die Grundeigner durften - jedenfalls einige - die von ihnen angelegten Straßen mit Namen eigener Wahl benennen. Und wenn keine Doppelnennung vorlag, wurden ihre Vorschläge von der Stadtverwaltung in der Regel übernommen. Adolph Sierich dürfte damals wohl die Nase vorn gehabt haben, denn die Namen seiner engeren Familienmitglieder (die Dorotheenstraße ist nach dem Vornamen seiner Mutter, die Maria-Louisen-Straße nach seiner ersten Frau benannt) reichten offenbar nicht für die zu benennenden Straßen aus, sodass schließlich selbst sein Testamentsvollstrecker Wentzel "seine eigene" Straße erhielt.

Schon immer haben sich Stadtentwickler bemüht, den Straßennamen in Neubaugebieten eine gewisse thematische Einheit zu verleihen. Rund um die Reeperbahn gab man sich mit relativ einfallslosen Vornamen (Davidstraße, Herbertstraße) zufrieden, in der HafenCity dominieren heute Hafenstädte (Osakastraße, Shanghaiallee) sowie Seefahrer und Entdecker wie Vasco da Gama oder Marco Polo. Für Wohngebiete werden gerne bevorzugt, weil unverdächtig, Blumen und Bäume, wobei Namen wie der Heiderosenweg in Volksdorf oder Moosrosen- und Teerosenweg (in Bramfeld) überproportional häufig auf Niedrigenergie-Doppelhaushälften, Carports, saubere Rasenkanten, Bobby-Cars und Trampoline in den Vorgärten hinweisen; Pommernwege, Ostpreußenringe und Böhmerwaldstraßen dagegen auf kleine Siedlungshäuschen, in denen nach dem Krieg bevorzugt Flüchtlinge und Aussiedler aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten eine neue Heimat fanden.

"Bis heute gilt grundsätzlich, dass Hamburg keinen einzigen Straßennamen doppelt vergibt", sagt Herr Nowicki. Was ihm keine Sorgen bereitet ist, dass auf den blauen Hamburger Straßenschildern keine hochrangigen Persönlichkeiten aus dem Dritten Reich mehr verewigt sind. Die Hamburger Straßennamen seien entnazifiziert, meint er, und außerdem seien ja nach dem Krieg viele Straßen mit den Namen von NS-Gegnern und Nazi-Opfern benannt worden, wobei die in der NS-Zeit durchgeführten Umbenennungen wieder rückgängig gemacht wurden.

Während der Rat der Stadt Münster kürzlich den zentralen Hindenburgplatz in Schlossplatz umbenannt hat (weil der gleichnamige, wenn wohl auch senile Reichspräsident Adolf Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannt hatte), wird diese Diskussion in Hamburg gar nicht erst geführt. Die Hindenburgstraße durchschneidet seit eh und je auf der Strecke von Winterhude in die City Nord den Stadtpark. Laut Google-Maps existieren bundesweit noch rund 20 Straßen, Wege und Plätze, die nach dem letzten gewählten Reichspräsidenten benannt sind. Der verstorbene Fußball-Bundestrainer Sepp Herberger bringt es nur auf zehn, die Boxlegende Max Schmeling auf gerade mal fünf Verewigungen - allerdings nicht in Hamburg.