Mit einer Überalterung der Bevölkerung wird sich die Arbeit der Beamten grundlegend wandeln. Die Hamburger Polizei erarbeitet Strategien.

Hamburg. Hamburgs Bevölkerung wird immer älter: Spätestens 2030 wird jeder Dritte in der Hansestadt älter sein als 60 Jahre, besagen die Prognosen. Schon heute liegt das Durchschnittsalter bei 42,5 Jahren. Die Stadt droht zu überaltern. Aber welche Folgen hat das? Welche Weichenstellungen sind heute schon nötig für die Zeit in 20 Jahren? Nicht nur Stadtplaner und Trendforscher beschäftigen sich mit dieser Fragestellung. Welches kriminelle Potenzial hat eine Gesellschaft, in der immer mehr Ältere und weniger Junge leben? Wird es deutlich mehr Ersttäter geben, die älter sind als 60? Geht es insgesamt sicherer zu in Hamburg? Und: Kommen wir dann mit weniger Polizisten aus? Im Präsidium ist man auf der Suche nach Antworten. Der Präsidialstab, die engste Abteilung um Polizeichef Wolfgang Kopitzsch, erarbeitet Strategien.

Schon der Blick auf vergleichbare Gesellschaften zeigt interessante Entwicklungen auf. So ist in Japan etwa die Zahl der Ersttäter über 60 Jahren stark gestiegen. Viele japanische Senioren lebten in Armut, erklärt Ute Last-Sack aus dem Polizeireferat Strategische Planung. Das äußere sich, auch angesichts fehlender familiärer Bindungen, in einer hohen Selbstmordrate und einer großen Zahl älterer Kleinstkrimineller, etwa Ladendieben.

Solche Erkenntnisse ließen sich aber nicht eins zu eins übertragen, heißt es im Stab am Winterhuder Bruno-Georges-Platz. Denn die gesellschaftliche Entwicklung werde von weitaus mehr Variablen als nur der Zahl der Senioren beeinflusst: von Wohlstand, Bildung, Migration und Integration oder Mobilität.

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Unbestritten ist: Die Überalterung wird die Polizeiarbeit grundlegend beeinflussen. "Wir werden stärker präventiv arbeiten müssen." Sei es zum Schutz der Wohnung oder dem Verhalten im Straßenverkehr. Vorstellbar sei eine Art "Cop4Senioren", wie es ihn als "Cop4you" bereits an Schulen gibt. Und: Auch hierzulande werde irgendwann die Akte "Ersttäter über 60 Jahre" geführt.

"Kriminalität wird sich verlagern", sagt Last-Sacks Vorgesetzter und Chef des Präsidialstabs, Thomas Mülder. Ein Beispiel: Der klassische Ladendiebstahl könnte sich in 20 Jahren zum Internetbetrug gewandelt haben. "Die Generation, die mit virtuellen Netzwerken groß geworden ist, wird nicht mit 70 Jahren am Computer aufhören." Es wird mehr Internetbetrugsdelikte geben, kann sich Mülder vorstellen. Delikte, deren Aufklärung viel Zeit und Personal binde. Vorstellbar sei auch eine Zunahme der Gewalt in der Pflege im privaten, ambulanten und stationären Bereich.

Problematisch: Viele Ältere identifizierten sich nicht als Problemgruppe, sagt Mülder. Dies sei bereits heute so: Senioren gehören neben ganz jungen Fahrern zu den gefährdetsten Verkehrsteilnehmern - sie jedoch über Präventionskampagnen zu erreichen, sei erheblich schwieriger als etwa bei Schulkindern. Das Beispiel Verkehr zeigt, wie schwierig Prognosen sind. Wird mit der Überalterung die Zahl der Unfälle steigen? Mülder mag sich nicht festlegen. Autos würden immer sicherer, der Berufsverkehr nehme ab.

Dafür nehme der Freizeitverkehr zu. Allerdings seien Senioren in der Regel bedächtigere Fahrer. Hinzu komme der Trend zur Urbanisierung - immer mehr Ältere ziehen der besseren Versorgung wegen in die Stadt. Auch diese Entwicklung könne den Straßenverkehr befrieden.

Beispiel Kriminalität. Sinkt mit der Überalterung die Kriminalitätsrate? Sinkt damit auch die Zahl der benötigten Polizisten? Hoffnung entsteht beim Blick zurück: Vor zehn Jahren wurden noch knapp 270 000 Straftaten in Hamburg gezählt. Im vergangenen Jahr waren es nur noch knapp 229 000. Hält dieser Trend an? Schwächt er sich eventuell ab? Dreht er um? Fragen, mit denen sich die Arbeitsgruppe auseinandersetzt. Andere lauten: Wie wirken sich neue Brennpunkte in benachteiligten Stadtteilen auf die Kriminalitätsentwicklung aus? Wie mögliche Wirtschaftskrisen und wachsende Armut.

In einem zentralen Punkt gibt eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsentwicklung schon Entwarnung: Dass es mehr Senioren gibt, führt nicht dazu, dass automatisch mehr Rentner von kriminellen Jugendlichen überfallen werden. Denn die suchten sich ihre Opfer eher unter Gleichaltrigen. Eine alternde Gesellschaft produziere also nicht mehr Opfer.

"Wir brauchen den Blick über den Tellerrand", sagt Polizistin Last-Sack. Die Hamburger Polizei sei mit anderen deutschen Großstädten in ständigem Austausch, zum Beispiel mit Berlin und Stuttgart. "Wir suchen den Vergleich, um Tendenzen frühzeitig erkennen zu können." Das gelte auch für die Ausbildungssituation: Mit dem Demografieproblem könnte sich der akute Bewerbermangel weiter verschärfen.