Auch in Hausbruch protestierten Nachbarn einst gegen Kinderheim, fürchteten, ihre Grundstücke könnten an Wert verlieren - wie jetzt in Sasel.

Hamburg. Die Auffahrt führt durch dichtes Grün. Das Haus liegt am Hang, zwischen Bäumen und Sträuchern. "Distel Süderelbe" steht klein auf einem unauffälligen Schild. Nichts weist darauf hin, dass hier etwas anders ist als in den Nachbarhäusern. "Wir wollen nicht auffallen", sagt Toni Dix, Geschäftsführer der Erwin-Steffen-Heime. "Wir wollen nicht, dass man mit dem Finger auf uns zeigt."

Die Grundstücke sind groß am Bredengrund in Hausbruch. Es ist eine schmale Straße ganz im Süden Hamburgs, weitab vom Rummel der Großstadt. Wer hier herzieht, sucht Ruhe. Ärzte wohnen hier, Rechtsanwälte, Architekten. Und seit zwei Jahren auch zwölf Kinder und Jugendliche aus schwierigen familiären Verhältnissen, die das Jugendamt aus ihren Familien genommen hat.

+++ Die Pflicht zu helfen +++

+++ Bürger gegen Sozialprojekte +++

+++ Ein Kinderprojekt spaltet Sasel +++

+++ Protest gegen Wohngruppe für Jugendliche in Sasel +++

Toni Dix kennt die Ängste, die eine solche Wohngruppe bei den Nachbarn auslösen kann. Immer mehr Kinder aus schwierigen Verhältnissen möchte Hamburg in der Stadt erziehen lassen und nicht mehr außerhalb. Viele Wohnprojekte siedeln sich gerade in gut situierten Gegenden an. Dort sollen die Kinder sich integrieren, die Schule und Sportvereine besuchen, endlich in geordneten Verhältnissen leben. Doch gerade da, wo die Verhältnisse besonders geordnet sind, stoßen sich manche Anwohner daran. In Sasel wurde am Freitag eine Wohngruppe für Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit einer Feier eingeweiht, doch eine Bürgerinitiative kämpft seit Monaten dagegen und hat in dieser Woche sogar Klage eingereicht. Die Argumente sind stets dieselben: Drogen und Kriminalität könnten mit einziehen, die Grundstücke an Wert verlieren. Weil die freien Träger viel Geld für die Betreuung erhalten, seien solche Wohngruppen Verschwendung von Steuern und als Gewerbe verboten in einem Wohngebiet. Natürlich müsse man diesen Kindern helfen. Aber warum unbedingt hier?

Auch am Bredengrund schlossen sich vor zwei Jahren einige Anwohner zu einer Initiative zusammen. Die Jugendlichen, so eine Befürchtung, würden die älteren Nachbarn belästigen. Erbittert wandte sich die Initiative gegen das geplante Kinderhaus, doch die Bezirkspolitik unterstützte das Projekt. Die Kinder zogen ein.

Anna, 17, ist eine Bewohnerin der ersten Stunde. Sie war schon dabei, als das Haus noch eine Baustelle war. Sie hat die Proteste miterlebt. Sie hat versucht sie zu verstehen. "Aber ich habe mich natürlich gefragt, ob das gegen mich persönlich geht", sagt sie. Der Einzug ins Haus war begleitet vom Gefühl, unerwünscht zu sein.

Heute lebt sie zusammen mit elf anderen Kindern hier. Im Innern ist es ein Wohnhaus wie jedes andere auch, aufgeräumt, mit großer Wohnküche, großem Garten - und vielen, vielen Kinderzimmern. Die Kinder haben selbst gemalte Bilder an die Wände gehängt, Fotos und Briefe. Aus allen sozialen Schichten stammen sie, auch Kinder von Akademikern sind dabei. Sie alle haben eine schwere Zeit hinter sich. Sie kommen aus Familien, in denen Dinge schiefgelaufen sind - manche Eltern sind alkoholabhängig, manche einfach überfordert. "Die meisten Kinder haben Gewalt erfahren", sagt Toni Dix. Betreuerin Anke Wittkötter weiß, dass diese Kinder oft mit kriminellen Jugendlichen verwechselt werden. "Die Nachbarn haben sich wahrscheinlich vorgestellt, dass hier auf der Straße Drogen gedealt werden", sagt sie. "Aber für Drogensüchtige und Kriminelle gibt es andere Einrichtungen." Der vehemente Widerstand hat alle überrascht. Schon seit Jahrzehnten unterhält der Träger Wohngruppen gerade auch in besseren Wohngegenden. Probleme mit Nachbarn hat es zuvor nie gegeben.

Auch am Bredengrund haben die Dinge sich nach der Eröffnung beruhigt. Viele Anwohner kamen zur Einweihungsfeier, um sich die Räume anzusehen und das Konzept erklären zu lassen. Zu Weihnachten zogen Anna und ihre Mitbewohner mit selbst gebackenen Keksen los und klingelten bei den Nachbarn. Einige hätten noch immer abweisend reagiert, sagt sie. "Aber die meisten waren nett und haben auch Interesse gezeigt."

Heute haben die Anwohner sich an ihre neuen Nachbarn gewöhnt. "Klar, manchmal hört man ein bisschen Lärm, wenn die Kinder etwa zum Auto stürmen", sagt Anwohnerin Maren Missfeld. "Aber die Betreuer sind nett, die Kinder grüßen freundlich. Da gibt es gar keine Probleme." Menschlich, sagt auch Nachbar Wolfgang Köppen, seien alle zufrieden. "Die Kinder stören keinen. Rechtlich bleibt aber gewerbliches Wohnen im Wohngebiet zweifelhaft."

Bedenken werden immer wieder aufkommen. Das Miteinander im Stadtteil ist Arbeit und erfordert Offenheit auf beiden Seiten. Auch in Fuhlsbüttel gab es vor etwa 20 Jahren Protest, als der Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung ein Kinderhaus am Buschkamp plante. Heute ist es längst zur festen Einrichtung in der Nachbarschaft geworden, die Kinder gehen zusammen zur Schule, spielen miteinander und besuchen sich. "Aber es ist eine Arbeit, die nie aufhört", sagt Bettina Bormann vom Landesbetrieb. "Wir nehmen die Bedenken der Anwohner ernst. Die Betreuer müssen diese Sorgen auch den Kindern bewusst machen, damit sie lernen, wie man sich in der Nachbarschaft verhält. Wir achten darauf, transparent und immer ansprechbar zu sein. Nur so können wir Vertrauen aufbauen."

Für Anna ist das Haus im Grünen ihr Zuhause geworden, die Betreuer und anderen Kinder eine zweite Familie. Sie möchte etwas zurückgeben, irgendwann. Zurzeit macht sie eine Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistentin, danach will sie studieren und selbst als Erzieherin in einem Kinderhaus arbeiten. Einen Job hat Dix ihr schon zugesichert.