Wie sozial ist Hamburg? Beispiel Winterhude: Anwohner verhindern mit juristischen Finessen die Eröffnung einer Kita. Beispiel Harburg: Anwohner sorgen sich um den Wert ihrer Grundstücke und bekämpfen die Eröffnung eines Hospizes für Sterbenskranke. Beispiel Sasel: Anwohner klagen gegen ein Wohnheim für Kinder, die als Opfer von Missbrauch und Misshandlung dringend aus ihren Familien herausgelöst werden müssen. Das sind nur drei Beispiele aus den zurückliegenden Wochen. Ist Hamburg noch sozial?

Die Macher des Internetlexikons Wikipedia verstehen darunter "die Fähigkeit (zumeist) einer Person, sich für andere zu interessieren, sich einfühlen zu können, das Wohl anderer im Auge zu behalten oder fürsorglich auch an die Allgemeinheit zu denken".

Insofern: Ja, Hamburg ist eine zutiefst soziale Stadt. Hamburg ist die Stadt der Stiftungen, der großen Hilfsprojekte, des ehrenamtlichen Engagements. Das zeigt sich trotz der drei Negativbeispiele auch in Sasel. Andere Anwohner stehen auf und heißen die Neubürger willkommen, ein Pfarrer entsagt der Neutralität und gibt der Pro-Gruppierung Gesicht und Stimme, Menschen aus allen Teilen der Stadt wenden sich mit äußerst mitfühlenden Briefen an diese Zeitung. Das macht Mut.

Traurig macht, dass ein Projekt wie das der diakonischen Großstadt-Mission überhaupt nötig ist. Dass Kinder aus ihren Familien genommen werden müssen, bevor sie wieder zu "Fällen" werden, vergleichbar denen, die mit den Vornamen Verstorbener verknüpft sind: Jessica, Lara-Mia, Chantal.

Ist das Verhalten der Gegner des Saseler Sozialprojekts einfach nur egoistisch, kleinmütig oder verantwortungslos? Oder ist es vielleicht auch so, dass die Menschen Angst haben? Angst vor Neuem? Angst, dass fremde Heranwachsende Drogenprobleme in ihr Quartier, zu ihren Kindern bringen?

Angst ist ein wirklich schlechter Ratgeber, doch zumindest ist dieser Fall ein guter, um daraus zu lernen. Er zeigt, wie wichtig es ist, Anwohner rechtzeitig zu informieren, statt sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Mündige, selbstbewusste, engagierte Nachbarn früh aufzuklären, sie mit ihrem möglichen Protest abzuholen, statt abzuwarten, ist die Konsequenz. Je besser und frühzeitig Nachbarn über ein solches Projekt informiert sind, desto klarer wird ihnen, wie wenig es ihr eigenes Leben negativ betrifft. Niemand, der für sich in Anspruch nimmt, sozial zu sein, dürfte dann noch auf die Idee kommen, den Wert eines Grundstücks aufzurechnen gegen das Wohl eines Kindes.

Die Spaltung unserer Gesellschaft in Arm und Reich spiegelt sich immer deutlicher in den Hamburger Stadtteilen. Bis auf wenige Viertel, in denen sich der Trend vielleicht noch stoppen oder gar umkehren lässt, werden die meisten Stadtteile auf Sicht solche sein mit sozialen Schieflagen oder solche nahezu ohne; Stadtteile mit einer "gesunden" oder einer "ungesunden" Sozialstruktur. Diese Entwicklung, fürchten Fachleute, werden auch die besten Wohnungsbauprogramme nicht aufhalten können.

Wenn es also so ist, dass Quartiere wie Sasel, wie Niendorf oder wie Blankenese kaum etwas leisten müssen, beziehungsweise können, für eine soziale Stadtentwicklung, so ist es erst recht deren Aufgabe, Projekten wie dem der Großstadt-Mission eine Heimat zu geben.

Ein gewachsener Stadtteil wird nicht zum Problemviertel durch den Zuzug von einigen Kindern aus problematischen Familien. Wenn nicht solche intakte Quartiere - wer dann soll sie aufnehmen? Ausgerechnet die Stadtteile, die als Problemviertel gelten? Oder die mit einem schönen Industriegebiet, wo hilfsbedürftige Kinder wenigstens nicht ins Auge fallen? Bitte nicht.