Vor einem Jahr startete der Bundesfreiwilligendienst. Nun gibt es mehr Bewerber als Stellen. Einrichtungen beklagen jedoch “zu viel Bürokratie“.

Hamburg. Abitur - was nun? Auch Alexander Riestau stand vor einem Jahr vor dieser Frage. Er wollte die Zeit bis zum Studium sinnvoll überbrücken. Unter normalen Umständen wäre Riestau Zivildienstleistender geworden. Doch am 1. Juli 2011 wurde nach 65 Jahren die Wehrpflicht und mit ihr der Zivildienst abgeschafft. "Deshalb habe ich mich dann für den neuen Bundesfreiwilligendienst entschieden", sagt der 20-Jährige.

Als einer der ersten Hamburger "Bufdis" kam er beim Paritätischen Wohlfahrtsverband unter, fuhr Patienten zum Arzt, half beim therapeutischen Hausmeistern, absolvierte 25 vorgeschriebene Seminartage und resümiert nach einem Jahr in der Suchthilfe des Fachklinikums Hansenbarg in Hanstedt: "Der Dienst ist mit Skepsis beäugt worden und holprig gestartet. Aber für mich war das Jahr absolut richtig."

Tatsächlich fällt die Jahresbilanz des neuen Freiwilligendienstes nicht nur bei Alexander Riestau und Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) überwiegend positiv aus. Auch der Hamburger FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen spricht von einem "klaren Erfolg" des unter Schwarz-Gelb eingeführten Modells. Bundesweit fast 50 000 unterschriebene Freiwilligenverträge würden deutlich machen, "dass es keinen Pflichtdienst braucht, um sich gesellschaftlich zu engagieren".

+++ Deutschland kann mehr, als es glaubt +++

+++ Fast jeder fünfte Bundesfreiwillige älter als 50 +++

+++ Freiwilligendienstler sind hochmotiviert +++

Die Befürchtung, es könnte zu wenig Nachfrage bestehen, hat sich jedenfalls nicht bewahrheitet. Inzwischen gibt es mehr Bewerber, als die 344 Einsatzorte in Hamburg aufnehmen können. 700 Freiwillige, davon etwa die Hälfte Frauen, leisten derzeit in der Stadt ihren Dienst. 35 000 sind es in ganz Deutschland. Betrug die Abbrecherquote zu Beginn fast 20 Prozent, geht mittlerweile nur noch jeder zehnte Bufdi vorzeitig. Und weil es im Gegensatz zum Zivildienst keine Altersbeschränkung mehr gibt, ist nun fast jeder fünfte Freiwillige 50 Jahre und älter.

Doch der Ansturm auf den Bundesfreiwilligendienst (BFD), der Männern und Frauen ab 16 Jahren offensteht, in der Regel zwölf Monate dauert und mit 336 Euro nebst Zuschlägen vergütet wird, führt zu neuen Problemen. "Teilweise haben wir fünf Bewerber auf eine Stelle", sagt Richard Lemloh, Sprecher der Arbeiterwohlfahrt Hamburg (Awo). Aber selbst wenn die Awo ihre bisherigen 51 Stellen ausbauen wollte - sie könnte es nicht. "Das Kontingent ist vom Bund wegen fehlender finanzieller Mittel begrenzt worden." Jährlich 254 Millionen Euro genügen bundesweit aktuell nur für 35 000 Stellen. Zudem sei der Bundesfreiwilligendienst "ein unnötig bürokratisches Doppelkonstrukt" zum freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), sagt Lemloh. Für einen BFD-Vertrag seien etwa sechs Vertragspartner zuständig, die Verwaltung im zentral koordinierenden Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben sei schlecht organisiert.

Ähnlich klingt die Kritik von Peter Maaß, Geschäftsführer im Elsa-Brandström-Haus des DRK Hamburg. "Unnötig" und "zu viel Bürokratie" beklagt auch Maaß. 72 Kontingentplätze seien derzeit besetzt. "Wir könnten weit mehr einstellen", sagt er. Außerdem schaffe der Bund durch eigene Kontingentstellen zusätzliche Konkurrenz und trete als mächtiger Akteur auf.

Derweil hat sich im Vergleich zum Zivildienst die Zahl der ungelernten Hilfskräfte im Bereich des sozialen Engagements halbiert. Waren im Dezember 2011 noch 1810 Zivis in Hamburg im Einsatz, sind es im Dezember 2011 nur noch 725 Bufdis gewesen. "Doch das ist der allgemeine Trend in ganz Deutschland", sagt Roland Hartmann, Sprecher des zuständigen Bundesamts. "Denn trotz einiger Engpässe läuft es seit Februar gut." Vergessen sei der holprige Start mit spätem Gesetzesbeschluss und später Werbekampagne.

In der Diakonie Hamburg drückt sich diese Einschätzung mit ausschließlich besetzten Stellen aus. Von 274 BFD-Stellen seien aktuell 274 vergeben. Wartelisten für freie Plätze seien die Folge. "Wir freuen uns über den Andrang und sehen das als Erfolg", lässt Diakonie-Vorstandsmitglied Gabi Brasch ausrichten. So gesehen könnte auch der Paritätische Wohlfahrtsverband von einem Erfolg sprechen. Dort können seit Februar keine neuen Stellen besetzt werden, weil alle 100 verfügbaren Plätze vergeben sind. "Wir könnten locker 200 Leute einstellen", sagt Sprecher Christian Böhme. Doch vielen jungen Menschen werde durch die Kontingentlösung der Zugang verwehrt. "Es ist eine Katastrophe", sagt Böhme mit Blick auf den Fachkräftemangel. Seine Forderung an die Politik sei, die Mittel zu erhöhen, um weitere Plätze zu schaffen. Auch so könnte der Mangel an Pflegepersonal korrigiert werden. Zumal Einsatzgebiete wie Seniorenbetreuung oder Kindertagespflege stark nachgefragt seien.

Lilli Hamm konnte einen Platz in einer Kita ergattern. "Ich habe keinen FSJ-Platz bekommen, also habe ich mich für das Bundesfreiwilligenjahr entschieden", sagt die 19-Jährige. Und es sei sehr gut gewesen. "Richtig viel Verantwortung" sei ihr in der Kita im Volkspark übertragen worden. Man merke als Bufdi, wie wichtig das sei, was man mache. Außerdem war der BFD für die Hamburgerin ein wichtiger Schritt zum Fachabitur. "Jetzt geht es mit frischem Input in die Ausbildung."

Einen Schritt, den auch Alexander Riestau machen wird. Er bleibt dem sozialen Bereich treu und will auf Berufsschullehramt studieren. Nach einem Jahr Bundesfreiwilligendienst habe er viel gelernt und "sinnvolle zwölf Monate" hinter sich.