Finanzexperten kritisieren: SPD-Senat drückt sich vor notwendigen Sparentscheidungen und schafft teilweise sogar neue Probleme.

Hamburg. Die Tagesordnung versprach nicht gerade ein Feuerwerk. Eine "Beratende Äußerung" zum Thema "Nachhaltige Finanzwirtschaft" wollte der Landesrechnungshof gestern vorstellen. Das 75-seitige Papier, das Rechnungshofpräsident Jann Meyer-Abich schließlich präsentierte, hatte es dann doch in sich - es war de facto ein Zeugnis für die Haushaltspolitik des Senats.

Die Kurzform: Im Prinzip macht der Senat zwar vieles richtig, im Detail drückt er sich aber vor den Problemen oder schafft sogar neue. Oder in den Worten von Meyer-Abich: "Man braucht mehr Mut und Ehrgeiz."

Mit 28 Milliarden Euro Schulden und einem jährlichen Defizit von rund einer Milliarde Euro sei die Lage sehr kritisch, so der oberste Aufseher über das Geld der Stadt. Dass der Senat eine langfristige, auf zwei Legislaturperioden ausgedehnte Strategie zur Konsolidierung der Finanzen verfolgt, die im Wesentlichen vorsieht, die Ausgaben nie um mehr als ein Prozent steigen zu lassen, entspreche den Forderungen des Rechnungshofs. "Der Senat hat den Wegweiser zur Konsolidierung richtig aufgestellt", sagte Meyer-Abich und setzte hinzu: "Senat, mach weiter so!"

Das war es aber an guten Noten.

Ebenso wie CDU, GAL und FDP sieht es der Rechnungshof sehr kritisch, dass der Senat den aktuellen Doppelhaushalt 2011/2012 nicht auf Basis der tatsächlichen Ausgaben in 2010 aufgestellt hat, sondern auf Basis der Planung für 2010. Satte 432 Millionen Euro an Mehrausgaben genehmige sich der Senat so, sagte Meyer-Abich. Ziehe man die Linie bis 2020 durch, komme man auf etwa drei Milliarden Euro Mehrausgaben. "Wo soll das Geld herkommen?", fragte der Präsident. "Es wird zusätzliche Verschuldung aufgebaut, die man mit mehr Mut und mehr Ehrgeiz hätte vermeiden können."

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Ein weiterer Kritikpunkt des Rechnungshofs: Da Dreiviertel des Haushalts (Zinsen, Personal, gesetzliche Leistungen - siehe Grafik) um etwa zwei Prozent pro Jahr wachsen und die Stadt darauf kaum Einfluss hat, müsste eigentlich im restlichen Viertel hart gespart werden, um insgesamt die Ein-Prozent-Grenze einhalten zu können. Doch tatsächlich hat der Senat diverse Bereiche von Sparzwängen weitestgehend ausgenommen, zum Beispiel Schulen, Kitas, bürgernahe Dienstleistungen, Kultur und öffentliche Sicherheit. So steigt der Druck auf den verbleibenden Teil des Etats noch stärker an. "Ein Viertel des Haushalts muss die gesamte Konsolidierung tragen - wie soll das gehen?", fragte Meyer-Abich. Man müsse auch fragen, ob die Schulklassen wirklich so stark verkleinert werden müssten, warum Hamburger Polizeibeamte schon mit 60 Jahren statt wie in anderen Ländern mit 62 Jahren in Pension gehen und ob die Dichte der Kundenzentren der Bezirke so beibehalten werden müsse.

Verschärft werde das Problem noch dadurch, dass der Senat in vielen Bereichen wie Schule, Kultur und Kitas nicht weniger, sondern mehr Geld ausgebe, und dass etliche Risiken den Haushalt bedrohten. Als Beispiel nannte der Rechnungshofpräsident den Sanierungsstau in der öffentlichen Infrastruktur (Gebäuden, Straßen, Brücken), den er auf 4,7 Milliarden Euro bezifferte. Daher komme man um härtere Einschnitte nicht herum, so Meyer-Abich: "Ohne Aufgabenkritik und ohne Strukturveränderungen wird die geforderte finanzpolitische Wende nicht zu schaffen sein."

Außerdem plädierte der Rechnungshof dafür, die Schuldenbremse in die Verfassung aufzunehmen. "Ein Gesetz genügt nicht", sagte Meyer-Abich und verwies auf die Landeshaushaltsordnung. Sie sieht bereits ein Schuldenverbot ab 2013 vor - doch dieses Gesetz will und kann die SPD mit ihrer Mehrheit abschaffen.

Die Opposition sah sich in ihrer Kritik bestätigt: Roland Heintze (CDU) sprach von "Voodoo-Sparen", das das Schuldenproblem nicht löse. "Der Bericht des Rechnungshofes zerpflückt die Haushaltspläne des Senats und hinterfragt zu Recht Olaf Scholz' leere Finanzrhetorik." Auch aus Sicht von Anja Hajduk (GAL) traf die Rechnungshof-Kritik ins Schwarze: "Worte und Taten passen beim SPD-Senat nicht zusammen. Man kann nicht ständig vom Sparen und Konsolidieren reden, gleichzeitig aber mitten in der Euro-Krise den Haushalt künstlich aufblähen." Norbert Hackbusch (Linke) warnte hingegen vor einer Fokussierung auf die Schuldenbremse. Sie allein werde die Probleme nicht lösen. "Dafür müssen endlich Maßnahmen ergriffen werden, die zu Einnahmesteigerungen führen."

Jan Quast (SPD) sah den Bericht hingegen als Bestätigung der SPD-Politik. Allerdings erwartet auch er, dass der nächste Haushalt 2013/2014 "den Weg zur Einhaltung der Schuldenbremse weiter konkretisiert".