Der Linken-Abgeordnete J. Bischoff hat sein Bürgerschaftsmandat aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt. Der Abschied fiel ungewöhnlich aus.

Es war ein jäher Abgang, bei dem die Ärzte Regie geführt haben. Aus gesundheitlichen Gründen hat der Linken-Abgeordnete Joachim Bischoff sein Bürgerschaftsmandat überraschend niedergelegt. In der Generaldebatte zum Doppelhaushalt 2011/12 ergriff der Haushalts- und Finanzexperte seiner Fraktion am Dienstag noch einmal das Wort. Am Mittwoch und Donnerstag blieb Bischoffs Platz schon leer.

Mit dem 67 Jahre alten Verlagslektor, der dem Parlament seit 2008 angehörte, geht ein Politiker, der über die Fraktionsgrenzen hinweg anerkannt und respektiert ist. Weil alle Abgeordneten immer auch Konkurrenten spätestens bei der nächsten Wahl sind, zählt Wertschätzung für den Nachbarn nicht zu den hervorstechendsten Eigenschaften von Politikern. Im Falle Bischoffs kommt hinzu, dass er der Linkspartei angehört, die vielerorts als parlamentarisches Schmuddelkind gilt.

Angesichts dieser besonderen Umstände fiel auch der Abschied durchaus ungewöhnlich aus. Nach der üblichen kleinen Würdigung durch Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit, die jedem ausscheidenden Abgeordneten zuteil wird, nutzte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel seine Haushaltsrede, um Bischoff zu danken. Mit dem Linken-Parlamentarier gehe "das haushaltspolitische Gewissen von Bord". Auch wer nicht Bischoffs Meinung gewesen sei, so Dressel, habe "seine treffenden Analysen" geschätzt. Was folgte, hat in der Bürgerschaft Seltenheitswert: Quer durch alle Fraktionen spendeten die Abgeordneten dem sichtlich gerührten Bischoff kräftigen Applaus.

Mit dem abwägenden, ja beinahe bedächtig formulierenden Redner verlässt der Vertreter eines seltenen Parlamentarier-Typus die politische Bühne. Wenn Bischoff ans Pult trat, wurde es in aller Regel still in der Bürgerschaft. Einem wie Bischoff wurde aufmerksam zugehört, weil ihm zugetraut wurde, dass er etwas zu sagen hatte. Und Bischoff holte gern aus, stellte Zusammenhänge her. Manch Finanzsenator rutschte durchaus unruhig auf seinem Stuhl hin und her, wenn Bischoff kenntnisreich und detailsicher zum Beispiel die dramatische Lage der taumelnden HSH Nordbank sezierte.

Es gibt andere Politiker, die sich der ungeteilten Aufmerksamkeit des Hohen Hauses sicher sein können, wenn sie das Wort ergreifen. Dazu zählt eigentlich immer der Bürgermeister, ob nun Olaf Scholz oder seine Vorgänger. Auch für viele Senatoren und manche Fraktionschefs gilt, dass ihnen zunächst einmal intensiv zugehört wird. Aber entscheidend sind hier die Ämter, die Funktionen. Bischoff war dagegen einfacher Abgeordneter, der sich Achtung durch seine Kompetenz erworben hatte. Es kommt hinzu, dass er frei sprach und sich seinen Zuhörern direkt zuwandte, um sie zur Diskussion einzuladen. In einem Parlament, in dem viele Abgeordnete ihre Reden vom Blatt ablesen, stur die Fraktionslinie vertreten und die politischen Gegner mit Vorwürfen überziehen, sind nachdenklich-diskursive Stimmen, die die eigene Position auch einmal infrage kritisch stellen, die Ausnahme.

Auch der langjährige GAL-Abgeordnete Martin Schmidt, der in dieser Woche gestorben ist, zählte zu dieser Spezies. Schmidt, dessen berufliches Lebenswerk die Herausgabe des "Lexikons des frühgriechischen Epos" war, wurde als Verfassungsexperte in allen Fraktionen hoch geschätzt. In den 90er-Jahren, als die GAL ihr Revoluzzer-Image erst langsam ablegte, war Schmidt etwa an der großen Parlamentsreform oder der Kürzung der Senatorenpensionen maßgeblich beteiligt. Auch Martin Schmidt schätzte die spontane, freie Rede und nahm damit die Bürgerschaft als Ort der kontroversen, offenen Debatte sehr ernst.

"Es dürfte ziemlich selten sein, dass ein einzelner Abgeordneter - zudem die längste Zeit in der Opposition - eine so markante demokratische Spur in der Verfassung von Bürgerschaft und Senat hinterlassen hat", hat Ex-Stadtentwicklungssenator Willfried Maier, wie Schmidt ein GAL-Urgestein, jetzt in einem Nachruf über seinen Parteifreund geschrieben. Maier selbst ist ein weiteres Beispiel für den Typus des kompetenten und leidenschaftlichen Debattierers, dem im Parlament stets aufmerksam zugehört wurde. Den Respekt anderer Fraktionen hat dem Finanz- und Kulturexperten auch eingetragen, dass er seine traditionell "spendablen" Fraktionskollegen dazu brachte, neue Ausgaben im Haushalt nur dann vorzuschlagen, wenn die Gegenfinanzierung stand. Maier war ein früher Vertreter des Prinzips "Pay as you go" (Zahle, wenn du losgehst), das Olaf Scholz jetzt zur Staatsräson erhoben haben will.

Martin Schmidt war in den 90er-Jahren Vordenker eines rot-grünen Bündnisses, Maier in den Jahren nach der Jahrtausendwende ein Wegbereiter von Schwarz-Grün in der lange zweifelnden GAL. Beide Grün-Alternative waren in diesem Sinn durchaus Brückenbauer. Joachim Bischoffs Verdienst dürfte unter anderem darin bestehen, dass die schroffe Ablehnung, die der Linken bei ihrem Start in der Bürgerschaft 2008 entgegenschlug, parlamentarischer Normalität wich.

Die CDU vertrat gegenüber der PDS-Nachfolgepartei lange einen konsequenten Kurs der Ächtung: keine Zustimmung zu Anträgen der Linken, schon gar keine gemeinsamen Anträge.

Doch die Zeiten änderten sich: Geradezu legendär ist die Szene, als sich der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) auf die Armlehne von Bischoffs Abgeordnetenplatz setzte, um angeregt mit ihm zu plaudern. Das war der Ritterschlag.

Am Ende der dreitägigen Etatdebatte warf sich Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn jetzt temperamentvoll für alle vier Oppositionsfraktionen in die Bresche und lobte deren Arbeit. Da gab es, wie selbstverständlich, auch Beifall aus den Reihen der CDU.