Eine Städtische Firma lockt junge Leute mit einer Traumwohnung auf dem Kiez und einem befristetem Job. Die Hamburger SPD ist verärgert.

St. Pauli. Alles ist weiß. Die Wände, die Decke, die Lampen, der Tisch, die Stühle, das Sofa, sogar der Blick aus dem Fenster fällt auf einen schneeweißen Altbau. In den Räumen stehen coole junge Menschen zwischen Laptops und Umzugskartons und halten Astra-Knollen in die Kamera.

Die Bilder stammen aus der "hh-wg", einem "200-Quadratmeter-WG-Palast mitten auf der Reeperbahn", wie die Hamburg Marketing GmbH schreibt. Sie sucht - kein Witz - vier junge Leute, die dort ab Oktober ein Jahr lang umsonst wohnen wollen. Drei von ihnen, auch das ist todernst gemeint, erhalten zudem für ein Jahr eine bezahlte Stelle bei den Firmen Otto, Sparda-Bank oder Radio Hamburg. Der vierte Bewohner bekommt eine "Wildcard" - er oder sie darf frei entscheiden, was er in dem Jahr an der Elbe macht. Einzige Bedingung: Das Quartett verpflichtet sich, regelmäßig in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder YouTube über den Alltag an der Elbe zu berichten. Die Kandidaten, die sich bis zum 8. August bewerben mussten, sollten daher nicht aus Hamburg kommen.

534 000 Euro kostet das Projekt, 279 000 davon, also mehr als die Hälfte, trägt die städtische Marketing GmbH. "Mit der WG wollen wir auf Hamburg aufmerksam machen und junge, kreative Menschen für die Stadt begeistern", sagte deren Sprecher Sascha Albertsen dem Abendblatt.

In der Politik hält sich die Begeisterung über die WG jedoch arg in Grenzen, nicht nur wegen der immensen Kosten. "Hamburg Marketing inszeniert hier einen absurden Wettbewerb und spielt mit den Perspektiven junger Menschen", sagt Norbert Hackbusch (Linkspartei), Vorsitzender des Kulturausschusses der Bürgerschaft. Er hatte zwei Kleine Anfragen an den Senat zu der WG gestellt und ist über die Fakten entsetzt. "Die Stadt und ihre Partnerunternehmen benutzen vier junge Leute ein Jahr lang als Statisten für einen Marketing-Gag."

Die Marketing GmbH spricht selbst von einem "Gewinnspiel", die vier Bewohner würden in einem "Casting" ermittelt. Das geht so: Von den 51 Bewerbern, von denen sich 30 auf die Wildcard, neun für Radio Hamburg, sieben für die Sparda-Bank und fünf für Otto beworben haben, sucht eine Jury je drei pro Jobangebot aus. Aus den vier Dreier-Gruppen wird dann jeweils einer per Internet-Abstimmung ausgewählt. Halten sie sich nach dem Einzug nicht an die Regeln, verweigern etwa die Kommunikation über den Alltag, drohen Abmahnungen oder gar die Kündigung von Job und/oder Wohnung.

Auch aus Regierungskreisen gibt es Kritik an dem Projekt: "Ich bin darüber nicht glücklich", sagte Andy Grote, Stadtentwicklungsexperte der SPD-Bürgerschaftsfraktion. "Unter jungen Menschen, auch aus anderen Städten, ist Hamburg auch so beliebt. Man muss nicht 280 000 Euro Steuergeld ausgeben, um das über soziale Netzwerke zu verbreiten." Mit Blick auf die angespannte Wohnungssituation und die Debatte über die Gentrifizierung von Szenestadtteilen wie St. Pauli sei das "unpassend". Die Aktion der städtischen PR-Leute wird auch in Senatskreisen kritisch gesehen. Offiziell äußern wollte sich dazu gestern niemand, aber man werde sich damit befassen, hieß es. Für Thorsten Kausch, Geschäftsführer der Hamburg Marketing GmbH und ehemaligen CDU-Bürgerschaftsabgeordneten, dürfte es dann ungemütlich werden. Er hatte erst Ende Juli einen Rüffel erhalten, als die Marketing GmbH via Facebook 5000 Menschen zu Freibier am Elbstrand einlud - ungeachtet der Tatsache, dass kurz zuvor die ebenfalls über Facebook inszenierte Party von "Thessa aus Bramfeld" völlig ausgeartet war. Auf Druck des Senats musste die Freibier-Aktion gestoppt werden. Sie sollte übrigens Werbung für die "hh-wg" sein.