Eine “Herzensangelegenheit“? Im Senta heißt es, Scholz habe erkannt, dass Wohnungsbau das entscheidente Thema der Legislatur sei.

Hamburg. Es war ein staatsmännischer Auftritt, den Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) in der Bürgerschaft zum Thema Wohnungsbau ablieferte. Das musste am Ende selbst die Opposition anerkennen. Eine Reaktion, die von der SPD von vornherein kalkuliert worden war. Denn es war weder ein Zufall, dass sich Olaf Scholz am Mittwoch in der Aktuellen Stunde zu Wort meldete, noch was er sagte. Schon bei der Anmeldung des Themas war die SPD-Fraktion mit dem Hinweis an den Bürgermeister herangetreten, es könnte doch "ganz sinnvoll" sein, wenn er etwas sagen würde. Ein solcher Auftritt passte genau in die Strategie, die die SPD im Bereich Wohnungspolitik seit Wochen verfolgt. Die Sozialdemokraten zählten die Tage bis zum 2. November - dem Tag, an dem der Hamburger Mietenspiegel veröffentlicht wurde. Die steigenden Mieten darin seien, so betonte der Senat immer wieder, das Ergebnis der Politik der Vorgängersenate. Ab dem Tag der Präsentation sollte es "nach vorn" gehen im Hamburger Wohnungsbau. Kein Blick zurück, sondern "volle Kraft voraus". Die SPD wollte ein "Aufbruchsignal" geben, heißt es aus der Fraktionsspitze. Und wer könnte das besser als der Bürgermeister.

Scholz ließ sich nicht lange bitten. Denn der Wohnungsbau ist sein Thema. Manch einer im Senat spricht sogar von einer "Herzensangelegenheit" des Bürgermeisters. Neben der Herzensangelegenheit ist es aber auch eine "strategische Überlegung", darauf zu setzen. Aus seinem Umfeld heißt es: "Er hat erkannt, dass Wohnungsbau das Thema der Legislatur wird. In dem Moment, in dem es die SPD schafft, die Versprechen einzuhalten, wird es schwer für die anderen Parteien im nächsten Wahlkampf." Das sei vergleichbar mit dem Thema Innere Sicherheit im Wahlkampf 2001. Damals habe die SPD das Thema nicht als das entscheidende erkannt - und deshalb die Wahl verloren.

Die Rede vor der Bürgerschaft war aber auch aus einem anderen Grund taktisch klug positioniert. Am liebsten wäre es Olaf Scholz, wenn alle Fraktionen geschlossen hinter dem Senatsprogramm für mehr Wohnungsbau in Hamburg stehen würden. Und so appellierte er leidenschaftlich: "Die ganze Politik in Hamburg muss sich verabreden, dafür zu sorgen, dass jeder, der eine bezahlbare Wohnung sucht, auch eine bekommt. Diese Anstrengung müssen wir gemeinsam angehen." Die Wahrheit ist: Scholz ist auf die Mitwirkung der anderen Fraktionen angewiesen, um seine Ziele zu erreichen. Arbeitet eine Partei auf Bezirksebene gegen ein Wohnungsbauvorhaben, könnte dies nicht nur zu Verzögerungen, sondern mitunter auch zum Aus führen - und somit die Senatsziele von 6000 neuen Wohnungen pro Jahr gefährden.

Aktuelles Beispiel: Der Bebauungsplan Fischbek 66 in Harburg. Auf dem Gelände der ehemaligen Röttiger-Kaserne soll gebaut werden. 450 Wohneinheiten waren ursprünglich geplant, vorwiegend Doppelhaushälften, Reihenhäuser und Einfamilienhäuser, um den Stadtteil aufzuwerten. An der Cuxhavener Straße sollte Kleingewerbe entstehen. Die SPD will nun sogar doppelt so viel Wohneinheiten wie geplant, damit sich das Projekt rechnet. Außerdem sollen statt Gewerberaum nun Sozialwohnungen gebaut werden.

Die CDU ist dagegen. "Wir wollen qualitativen Wohnungsbau", sagt Fraktionschef Dietrich Wersich. Es komme auf die Durchmischung im Stadtteil an. Noch heute leide die Stadt unter den Folgen von "falschem sozialen Wohnungsbau" in Form von Großsiedlungen. Die CDU im Bezirk wehrt sich und droht damit, ein Bürgerbegehren gegen die Pläne zu organisieren.

Wozu das führen kann, hat jüngst das Beispiel Wulffsche Siedlung gezeigt, inzwischen besser bekannt unter Langenhorn 73. Ein Bürgerbegehren, an dem sich nur ein kleiner Anteil der Bevölkerung aus dem Bezirk Nord beteiligt hatte, stoppte die Sanierung und den Bau von Wohnungen.

Eine Tatsache, die fraktionsübergreifendes Unverständnis auslöste. Die Entscheidung machte allen klar, dass die bestehende Volksgesetzgebung verändert werden muss. Uneins sind sich die Fraktionen aber, wie das geschehen soll. Während die SPD auch für Bürgerbegehren auf Bezirksebene die Einführung von Quoren, also eine Mindestwahlbeteiligung von zehn bis zwanzig Prozent wie bei einem Volksentscheid fordert - die CDU würde dem zustimmen -, ist die Linke gegen Quoren. Eine entscheidende Rolle am Verhandlungstisch wird auch der Verein "Mehr Demokratie" spielen. Schließlich wurde die bestehende Gesetzgebung mit einem von "Mehr Demokratie" initiierten Volksentscheid durchgesetzt. Zwar gibt es auch von Vereinsseite grundsätzlich das Signal, offen für die Veränderung von Verfahrensabläufen zu sein. Das Thema Quoren ist bisher aber ein Tabu.

Auch deshalb wollte die SPD-Fraktion die Rede des Bürgermeisters zum Wohnungsbau. Hoffte die Fraktionsspitze doch, Scholz könne mit seinem Appell, für das wichtige Ziel Wohnungsbau gemeinsam einzutreten, im besten Fall Wegbereiter für diese Verhandlungen sein. Denn genauso wie der Bürgermeister den Wohnungsbau als das Thema der Legislaturperiode erkannt hat, weiß die ganze SPD, dass der Bürger mit seinem immer stärker werdenden Willen zum Protest ein Stolperstein werden könnte. Bis Ende des Jahres will die SPD eine Einigung über die Gesetzesänderung erreichen.