Erstmals spricht die Frau, deren Baby abgemagert gestorben ist. Mit einer so milden Strafe wie im Vorjahr dürfte sie diesmal kaum davonkommen.

Neustadt. Die junge Frau verbirgt auch an diesem Donnerstag ihr Gesicht hinter der blondierten Mähne. Wie all die vergangenen Tage. Während der gesamten Verhandlung hat die 21-Jährige keinen Ton herausgebracht - bis gestern. Jessica R. bricht ihr Schweigen: "Ich wollte nie, dass so etwas passiert, ich werde mein Kind immer lieben", sagt die Angeklagte in ihrem Schlusswort und fügt trotzig hinzu: "Egal, ob man mir das glaubt oder nicht."

In der Tat, es fällt schwer. Jessica R. unternahm nichts, als ihre Tochter Lara Mia dramatisch abmagerte und im Alter von nur neun Monaten starb. Das Baby, das Sanitäter im März 2009 in einer verdreckten Wilhelmsburger Wohnung tot auffanden, war nur noch Haut und Knochen.

Im Juli 2010 war Jessica R. vom Landgericht in einem ersten Prozess lediglich zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Doch im Mai kassierte der Bundesgerichtshof den Schuldspruch und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung nach Hamburg zurück. Am Donnerstag kommender Woche will das Landgericht das Urteil verkünden.

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Mit einer so milden Strafe wie im Vorjahr dürfte Jessica R. diesmal kaum davonkommen. Vier Jahre Jugendstrafe forderte die Staatsanwältin gestern in ihrem Schlussvortrag. Jessica R. habe sich unter anderem des versuchten Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht. Zwar sei ein Hungertod "wahrscheinlich", jedoch könne nach dem Zweifelsgrundsatz auch ein plötzlicher Kindstod zugunsten der Angeklagten nicht ausgeschlossen werden. Gleichwohl habe es Jessica R. vorsätzlich unterlassen, die auch für Laien erkennbare tödliche Gefahr von Lara Mia abzuwenden. Sie habe so den Tod billigend in Kauf genommen.

Spätestens ab Oktober 2008, da war Lara Mia vier Monate alt, habe das bei der Geburt sehr propere Mädchen nur noch die Hälfte der benötigten Kalorien bekommen. Eine Zeugin hatte sich beim Anblick des Babys im Februar 2009 an ein "Kind aus Afrika" erinnert gefühlt, ein anderer Zeuge gab an, Lara Mia sei mit Essen stets so lange vollgestopft worden, bis sie sich erbrach.

Jessica R., der Muttergefühle fremd waren, habe das Leiden des Kindes gleichgültig in Kauf genommen und keinen Kinderarzt aufgesucht - aus Angst, das Jugendamt würde ihr dann Lara Mia wegnehmen. Eine Mitschuld treffe auch eine Betreuerin des Rauhen Hauses, die das Baby zwei Wochen vor seinem Tod sah und Jessica R. sagte: Mit einem Arztbesuch könne man warten, bis sie aus dem Urlaub zurück sei.

Verteidiger Reinhard Ehrich stellte keinen konkreten Strafantrag. Seine Mandantin sei antriebsschwach und unreif und mit der Kindespflege überfordert gewesen. Einen Tötungsvorsatz erkenne er jedoch nicht. Vielmehr hätten die staatlichen Stellen, die der jungen Mutter helfen sollten, versagt.