Palermos Oberstaatsanwalt Roberto Scarpinato fordert in der Hansestadt die Strafverfolgungsbehörden auf, endlich genau hinzuschauen.

Hamburg. "Die Mafia ist keine Geschichte von Pizzabäckern." Diesen Satz wiederholt Roberto Scarpinato mehrfach. Der Leitende Oberstaatsanwalt von Palermo, qua Amt gewissermaßen Italiens oberster Mafia-Jäger, ist nach Hamburg gekommen, um aufzuklären und der Verharmlosung des Verbrechersyndikats entgegenzutreten. Mafia - das ist heute ein weltweit operierendes Unternehmen mit scheinbar unerschöpflichen Finanzreserven. "Weiße Kragen"-Kriminalität eben.

Mafia-Geld fließt in den Energiesektor, die Müllentsorgung, in Einkaufszentren und die Nahrungsmittelindustrie, sogar in die Mikroelektronik. "Die richtige Mafia braucht keine Schießerei, die richtige Mafia ist einer der größten internationalen Konzerne", sagt Scarpinato.

Diese Mafia hat Deutschland mit seiner Wirtschaftskraft längst als lukratives Betätigungsfeld entdeckt. Nur die Deutschen selbst, so Scarpinato mit ernstem Blick, scheinen das nicht wahrhaben zu wollen. "In Deutschland herrscht immer noch die Vorstellung vor, dass Mafiosi Pizzabäcker sind, die von Restaurants Schutzgeld erpressen", sagt der smarte Endfünfziger. Er ist ein Mann klarer Worte: "Wir müssen dem Feind begegnen, der mit der Mafia zusammenarbeitet. Und der schlimmste Feind ist die Ignoranz." Schnell wird klar: Der Mann ist nicht gekommen, um Komplimente zu verteilen.

"Wir wissen, dass die Mafia in Hotels und Restaurants in Hamburg investiert hat", sagt Scarpinato. Genauer wird er nicht, und er wird seine Gründe dafür haben. Sind Hamburgs Hafen als weltweite Handelsdrehscheibe und das Mega-Bauprojekt HafenCity Einfallstore für mafiöse Unternehmen? "Das könnte passieren", antwortet der Strafverfolger wieder vorsichtig. "Aber von Italien aus können wir kaum überprüfen, ob der Hafen oder die HafenCity von der Mafia infiziert sind."


+++ DIE VIER GROSSEN MAFIA-GRUPPEN +++

Der Satz ist die kaum verhüllte Aufforderung des Mafia-Jägers an die deutschen Strafverfolgungsbehörden, aber auch die Politik, endlich genau hinzuschauen. Das deutsche Strafgesetzbuch stamme aus dem 19. und 20. Jahrhundert. "Für das dritte Millennium ist es einfach nur historisch." Um Mafia-Aktivitäten in Deutschland konsequent nachzuspüren, müssten Telefon- und Raumüberwachungen ausgeweitet und die Beweislast zur Beschlagnahme illegalen Vermögens umgekehrt werden. Nicht die Staatsanwaltschaft müsse nachweisen, dass ein Vermögen aus Geldwäsche stamme, sondern umgekehrt, der Tatverdächtige müsse belegen, dass das nicht der Fall sei. "In Deutschland ist die Zugehörigkeit zur Mafia kein Straftatbestand", sagt Scarpinato. "Die Instrumente reichen für eine Blinddarmoperation, aber nicht für eine komplizierte Herzoperation." Wenn Scarpinato bei seinem Kampf gegen die Mafia auf diese weitreichenden Befugnisse der Strafverfolgung verzichten müsste, wäre das Ergebnis klar: "Der Patient wäre tot." Soll heißen: Das organisierte Verbrechen hätte gesiegt.

Wie die Mafia die Gesellschaft schleichend unterwandert, erläutert Scarpinato am Beispiel Norditaliens. Die Lombardei, Piemont und Ligurien mit ihrem hohen Lebensstandard galten viele Jahrzehnte als Mafia-resistent. Das organisierte Verbrechen war in Italien nach vorherrschender Meinung ein Phänomen und ein Problem des armen Südens. Das war einmal.

"Im vergangenen Jahr gab es fünf große Mafia-Verfahren in Norditalien", so Scarpinato. Einige Gemeinderäte seien aufgelöst worden, weil sie von der Mafia infiltriert waren. "Das organisierte Verbrechen bietet Dienstleistungen an, die für die Bürger wichtig sind." Zum Beispiel die Entsorgung von Giftmüll: Ein asbestverseuchtes Gebäude soll abgerissen werden. Die Mafia bietet die Entsorgung zur Hälfte des Preises anderer, legaler Unternehmen an und erhält den Zuschlag. Die zweite Stufe: Das organisierte Verbrechen biete den Unternehmen, die wegen entgangener Aufträge in eine Schieflage gerieten, frisches Kapital aus illegalen Geschäften an und mache sie so abhängig.

In Deutschland gründeten Mafiosi zur Geldwäsche gezielt Gesellschaften auf den Namen deutscher Bürger. Die Unternehmen - etwa Restaurants - seien so klein, dass für sie nur eine vereinfachte Buchhaltung nötig sei. Die Strohleute kassierten zwischen 50.000 und 100.000 Euro. Heute, so Scarpinato, gebe es noch keine Verbindungen zwischen der Mafia und der deutschen Politik. "In zehn bis 20 Jahren wird das anders sein", sagt der Mafia-Jäger. In Italien sei die Verstrickung von Mafia und Politik eines der größten Probleme.

Scarpinato, der auf Einladung des Hamburgischen Richterverein an die Elbe gekommen ist, führt ein Leben im Ausnahmezustand. Seit 1989 steht der Jurist, der mit den 1992 von der Mafia ermordeten Staatsanwälten Giovanni Falcone und Paolo Borsalino zusammenarbeitete, unter ständigem Polizeischutz. Auch in Hamburg ist der Süditaliener stets von drei Sicherheitsbeamten umgeben. Was bedeutet diese Einschränkung der Privatsphäre für ihn? "Man kann sich nie daran gewöhnen", lautet die knappe Antwort.

Scarpinato traf sich zu einem informellen Gespräch mit Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) und Generalstaatsanwalt Lutz von Selle. Heute Abend spricht er zum Thema "Mafia - ein Parasit überfällt Europa" im Ziviljustizgebäude am Sievekingplatz. Beginn: 18.30 Uhr, Eintritt fünf Euro.