Teil IV des Schwerpunktthemas Lesen und Schreiben: Zwei Hamburger Lehrerinnen argumentieren pro und kontra Grundschrift.

Hamburg. Schreiben Hamburgs Grundschüler bald nur noch wie gedruckt? Seit diesem Schuljahr können die Schulen selbst entscheiden, ob die Zweitklässler weiter Schreibschrift lernen oder auf die vereinfachte Grundschrift - eine Art Druckschrift mit Buchstabenverbindungen - umsteigen. Bereits vor den Sommerferien war um die Änderung im "Bildungsplan Grundschule" ein hitziger Streit entbrannt. Hamburg ist das erste Bundesland, in dem das Lernen einer verbundenen Schreibschrift nicht mehr verbindlich vorgeschrieben ist. Während die Befürworter darin eine Förderung des individuellen Schreibens sehen, befürchten Kritiker den Verlust einer gemeinsamen Kultur.

Die Debatte ist hitzig. Sogar Bundesbildungsministerin Annette Schawan (CDU) hat sich unlängst in den hansestädtischen Schriften-Streit eingemischt - und sich klar gegen die vereinfachte Grundschrift ausgesprochen. Andere Experten, wie die Hamburger Pädagogikprofessorin Mechthild Dehn dagegen haben nichts gegen die Grundschrift als eine von mehreren Alternativen: "Es darf keinen Zwang zur Verbindung von Buchstaben geben."

Noch ist völlig offen, wie viele Schulen in diesem Schuljahr tatsächlich mit der neuen Grundschrift starten. Voraussetzung ist, dass die Lehrerkonferenz einen entsprechenden Beschluss gefasst hat. "Wir rechnen damit, dass sich nicht mehr als eine Handvoll Schulen für die neue Schrift entscheiden", sagte der Sprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht. Das Abendblatt hat zwei Grundschullehrerinnen gefragt, warum die eine die Schulausgangsschrift beibehalten und die andere mit der Grundschrift starten will.

Jessica Werk kämpft für die Schreibschrift

Ihr wichtigstes Argument für die Schreibschrift hat mit den leeren Stellen dazwischen zu tun. "In der verbundenen Schrift sehen die Schüler auf einen Blick: Eine Buchstabengruppe ist ein Wort, mehrere Worte sind ein Satz", sagt Jessica Werk. Das, so die Deutschlehrerin an der Schule Wielandstraße, sei unerlässlich, damit sie lesbar und richtig schreiben lernten. Um zu untermauern, was sie meint, holt sie das Übungsheft eines Erstklässlers aus dem Regal. In Druckbuchstaben hat er über den Elefanten Elmar geschrieben. Einen ganzen Satz in einem durch, ohne die notwendigen Wortabstände. "Ich habe die Befürchtung, dass sich das mit der Grundschrift, die ja nichts anderes ist als eine modifizierte Druckschrift, verfestigt." Das habe negative Folgen für die richtige Groß- und Kleinschreibung, später auch für die Grammatik.

Deshalb setzt sich die 30-Jährige für die sogenannte Schulausgangsschrift ein. Ihre Kollegen hat sie hinter sich. Auch wenn es noch keinen Beschluss der Schulkonferenz gibt, werden an der deutsch-spanischen Grundschule in Eilbek wohl erst mal weiter die Schreibschrift-Buchstaben geübt. Der Weg ist seit Jahren erprobt: Am Beginn der zweiten Klasse machen die Schüler Schwungübungen, daraus erwachsen dann die Buchstaben. "Die Kinder lernen das recht schnell, weil sie das Alphabet schon kennen und die Laute zuordnen können. Nach acht Wochen können sie auch eigene Texte schreiben", sagt Werk und betont einen weiteren Vorteil: "Das verbundene Schreiben schult die Feinmotorik."

Schaut man in die Hefte ihrer Schüler, sieht man, was sich zwei Jahre später am Anfang der vierten Klasse geändert hat. Gleichmäßig, mit Häkchen und Schleifen reihen sich Buchstaben auf den Linien zu Worten, zu Sätzen und schließlich zu längeren Texten, in den meisten Heften jedenfalls. "Die Schreibschrift ermöglicht ja erst einen Schreibfluss, dagegen ist die Grundschrift eher abgehackt", sagt Lehrerin Werk. Das Argument, die Schüler - vor allem die Jungen - würden durch die Schönschreib-Übungen unnötig gequält, weist sie zurück. "Meine Erfahrung ist, dass die Kinder es auch entspannend finden, schön zu schreiben."

Natürlich koste das Zeit, aber auch das sei aus ihrer Sicht kein Grund, die Schreibschrift nicht mehr zu lehren. "Man würde zwar Unterrichtszeit sparen, aber man nimmt den Schülern auch eine Chance, den Umgang mit dem Alphabet zu verfestigen." Gerade bei Kindern, die nicht in der deutschen Sprache und im Schriftbild zu Hause seien, könne das ein Problem werden. "Ich habe Angst, dass sich alles zu sehr beschleunigt."

Und dann ist da ja noch das Problem mit dem Schulwechsel in ein anderes Bundesland. "Hamburg ist bislang das erste Land, das die Grundschrift in dieser Form zulässt." Da könne ein Umzug dazu führen, dass die Schüler plötzlich die klassische Schreibschrift neu lernen müssten

In Ansätzen, sagt Jessica Werk, die selbst gern schreibt und auch ein kleines Schreibschrift-g perfekt aufs Papier bringt, ist die Einführung der Grundschrift auch der Verlust einer Kulturtechnik. "Aber es gibt ja schon lange nicht mehr die eine Schreibschrift." (s. Infokasten). In den nächsten Monaten will die Pädagogin sich die Erfahrungen mit der Grundschrift erst mal anschauen. "Sinnvoll wäre aber auf jeden Fall, wenn es eine einheitliche Schrift in ganz Deutschland gäbe."

Ursula Priebe-Wessel unterrichtet jetzt die neue Grundschrift

Das große G ist besonders tückisch. Aber auch das L und das kleine t mit der Schleife sind nicht ohne. "Das sind Buchstaben, die sich in der bisherigen Schreibschrift sehr von der Druckschrift unterscheiden. Deshalb sind sie für die Kinder so schwierig zu schreiben", sagt Ursula Priebe-Wessel. Vor ihr auf dem Lehrerpult liegt ein Stapel Karteikarten. Buchstaben sind darauf, große und kleine. Und ganze Wörter. "Das ist die neue Grundschrift. Die ist aus meiner Sicht einfacher zu lernen", sagt die Deutschlehrerin an der Ganztagsschule Franzosenkoppel und zeigt auf das kleine h, das aussieht wie gedruckt mit einem kleinen Häkchen unten dran. In den nächsten Monaten wird sie ihren Zweitklässlern diese Schrift beibringen statt der bislang in Hamburg vorgeschriebenen sogenannten Schulausgangsschrift.

"Ich glaube, dass die vereinfachte Schreibschrift die Kinder entlastet und auch motiviert", sagt die 40 Jahre alte Pädagogin. Schon vor den Sommerferien hatte die Stufenkonferenz beschlossen, dass alle zweiten Klassen der Luruper Grundschule in einem Modellversuch mit der Grundschrift starten. "Im Prinzip werden die erlernten Druckbuchstaben zu einer Schreibschrift verbunden." Dagegen sei das Lernen der Schulausgangsschrift wie eine Vollbremsung, weil die Schüler so damit beschäftigt seien, die neuen Buchstaben zu üben und über ihr Schriftbild nachzudenken, dass die anderen Faktoren, richtig zu schreiben und eigene Texte zu verfassen, in den Hintergrund gerieten.

Ganz ohne Schwünge kommt aber auch die neue Schrift nicht aus. Deshalb haben die Zweitklässler das Schuljahr mit einigen gezielten Schwungübungen angefangen und Silbenkombinationen wie "en", "le" oder "ei" geübt. Danach bekommen sie die Karteikarten und schreiben die Buchstaben nach. In einigen Fällen gibt es verschiedene Varianten, zum Beispiel beim kleinen l. Am Ende der Einheit will die Lehrerin mit jedem Schüler besprechen, warum welche Schreibart am besten und passendsten ist. "Es geht darum, deutlich und lesbar zu schreiben", sagt Priebe-Wessel. Die Grundschrift folgt den Bewegungsabläufen beim Schreiben - von oben nach unten und von links nach rechts - und sei deshalb einfacher. "Bei der Schulausgangsschrift geht es am Anfang nur mit Abschreiben und Einbimsen."

Kritik des Grundschulverbandes an den Kosten für das neue Unterrichtsmaterial weist sie zurück. "Wir haben für den Jahrgang zwei Sätze Karteikarten gekauft und für jedes Kind ein Schulheft mit einem speziellen Linienblatt. Das war kostengünstiger als die Lernhefte, die für die Schulausgangsschrift verwendet werden."

Auch das Argument, der einheitliche Schriftstandard gehe verloren, weist sie zurück. "Den gibt es doch schon jetzt nicht mehr." In den Bundesländern würden unterschiedliche Schriften gelehrt (s. Infokasten), die vereinfachte Grundschrift sei deshalb eine sinnvolle didaktische Weiterentwicklung. Schon in der vierten Klasse hätten viele Schüler eine eigenständige Schrift entwickelt, die oft nur noch wenig an die Schulausgangsschrift erinnere. Zudem, betont die Pädagogin, die drei schulpflichtige Kinder hat, würde Schreibschrift im Alltag keine Rolle spielen, nicht mal mehr Bücher in Schreibschrift gebe es. "Wenn sie so gut wäre, würden sie doch alle schreiben."

In der Donnerstag-Ausgabe lesen Sie, welche Anforderungen die Lehrpläne für die Grundschüler für welches Jahr formulieren.