Ein Modellversuch kann Streit um die richtige Schrift beilegen

Dem Streit über die richtige Lernschrift für die Erst- und Zweitklässler haftet etwas herrlich Grundsätzliches an. Schon deswegen wird diesem Zwist ein langes Leben in der Bildungsdebatte beschert sein.

Sicherlich: Die Schreibschrift in ihren unterschiedlichen Ausprägungen gehört zum tradierten Kanon des Schreiben- und Lesenlernens. Wohl alle Eltern der heutigen Grundschüler haben auf diesem Weg einst selbst die Welt der Buchstaben erobert. Die neue Grundschrift mit ihren Lücken zwischen den Buchstaben mag dagegen nicht ganz so schön sein, ist aber möglicherweise praktikabler, weil einfacher zu erlernen.

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) meinte schlau zu handeln, als er den Grundschulen freistellte, nach welcher Methode sie ihren Erstklässlern das Schreiben beibringen wollen. Das ersparte ihm zwar die schwierige Entscheidung, welches denn nun der richtige Weg sei. Aber es trug ihm auch den Vorwurf ein, das Kulturgut Schreibschrift leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Dass nach Ansicht von Experten 90 Prozent der Hamburger Grundschulen bei der Schreibschrift bleiben werden, besänftigte die Kritiker nicht. Mit anderen Worten: Der Streit geht unvermindert weiter.

Rabe hätte sich seine Amtskollegin und Parteifreundin Gabriele Warminski-Leitheußer zum Vorbild nehmen sollen. Die baden-württembergische Kultusministerin hat einen Modellversuch zur Erprobung der Grundschrift an bis zu 16 Grundschulen gestartet. Im Südwesten wird nun wissenschaftlich ermittelt, welche Auswirkungen die neue Methode unter anderem auf die Lesbarkeit der Handschrift der Kinder hat.

So viel lässt sich aber schon heute sagen: Beim Schreibenlernen geht es bestenfalls in zweiter Linie um die Ästhetik. Vor allem geht es um Teilhabe an unserer Kultur, die nun einmal Schreiben und Lesen als Grundfertigkeiten voraussetzt. Es kommt hinzu, dass sich die Schrift der meisten Menschen im Laufe weniger Jahre stark individualisiert - und dann häufig eine bunte Mischung aus mehreren Varianten ist. Kurzum: Es gibt drängendere Probleme in den Schulen.