Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber verstand es immer wieder, die CDU-geführten Senate mit gezielten Attacken zu treffen.

Hamburg. Als Ole von Beust noch Bürgermeister war und die CDU im Rathaus regierte, gab es einen Spruch, der vielen Sozialdemokraten nicht schmeckte. "Der Einzige, der wirklich Opposition macht, ist Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber." Das war nicht gerecht, weil auch die SPD-Bürgerschaftsfraktion den Senat in seinen unterschiedlichen Konstellationen bisweilen vor sich hertrieb. Aber ganz falsch war das Urteil auch nicht. Sozialdemokrat Schreiber verstand es immer wieder, obwohl als Beamter zur Loyalität verpflichtet, die CDU-geführten Senate mit gezielten Attacken zu treffen. Für manche Christdemokraten war Schreiber das rote Tuch schlechthin.

Die Sozialdemokraten mögen erwartet haben, dass sich der Bezirksamtsleiter nach dem Regierungswechsel aus Parteiräson zurücknimmt. Nun, jedenfalls alle, die Schreiber nicht kennen. Das heißt: Im Rathaus hat niemand damit gerechnet, dass Schreiber plötzlich den Mund hält, nur weil sein Parteifreund Olaf Scholz regiert. Und der Mitte-Bezirkschef ist sich treu geblieben. Zwei Beispiele aus dieser Woche: Dass Schreiber gegen die Großfigur "Die Badende" auf der Binnenalster aufmuckte, deren Wasserung die Umweltbehörde genehmigte, darf noch als Meinungsäußerung auf dem weiten Feld der Kunst durchgehen.

Als dann am Mittwoch aber ein Zehn-Kilo-Steinbrocken vom maroden Turm der Nikolaikirche auf den Radweg stürzte, forderte Schreiber forsch Geld vom SPD-Senat für die Sanierung, obwohl der Bezirk Mitte für die Instandhaltung und Verkehrssicherheit des Mahnmals zuständig ist. "Ich verstehe meinen Job so, dass ich das beste für den Bezirk Mitte erstreite", sagt Schreiber über sein Amtsverständnis. Das gelte unabhängig davon, welche Partei gerade den Senat stelle. Man darf das als die eine Seite der Wahrheit durchgehen lassen. Das Ergebnis des Zuständigkeitsstreits um die Sanierung von St. Nikolai (siehe nebenstehenden Bericht) gibt Schreiber recht.

Kein anderer Bezirksamtsleiter profiliert sich so wie Markus Schreiber

Die andere Seite der Medaille ist jedoch, dass der selbstbewusste Mitte-Bezirkschef das eigene Renommee stets im Blick behält. Keiner der sechs anderen Bezirksverwaltungschefs profiliert sich in ähnlicher Weise. Sicher: Mitte ist das spannendste Pflaster mit der Innenstadt, St. Pauli und dem Hafenrand. In Mitte ballen sich die sozialen Probleme der Stadt. Der Mann muss immer wieder in Konfliktlagen Stellung beziehen. Aber es ist eben Schreiber, der sagt, sein Schreibtisch (wie die seiner Mitarbeiter) müsse im schicken Neubau in der HafenCity stehen und nicht der des Wirtschaftssenators Frank Horch. Das muss man sich auch erst einmal trauen.

Dass sich Schreiber für höhere Aufgaben berufen fühlt, zeigt er gelegentlich sehr unverblümt. Ende des vergangenen Jahres, die SPD lag schon im Umfragehoch, schlug sich der Bezirksamtschef via Interview als Stadtentwicklungssenator vor - minus der Zuständigkeit für den Umweltbereich. "Sollte mich Olaf Scholz fragen, stünde ich bereit", sagte Schreiber damals. Eine öffentliche Bewerbung um ein Senatsamt ist in dieser Stadt unüblich und programmiert den Misserfolg gewissermaßen schon mit ein. "Das war ehrlich, aber taktisch unklug", sagt Schreiber heute eher kleinlaut über seinen Vorstoß von damals.

Schreiber bewarb sich selbst als Senator und wurde übergangen

Es ist nur milde übertrieben zu sagen, dass Scholz genug Genossen aus der SPD Mitte fand, die er mit wichtigen Posten betrauen konnte, um auf Schreiber verzichten zu können. So konnte sich SPD-Mitte-Chef Johannes Kahrs, der für seine Durchsetzungsfähigkeit in Personalfragen berüchtigt ist, nicht über mangelnde Berücksichtigung seines Sprengels beklagen.

Manche haben es als Rache eines Enttäuschten bezeichnet, dass Schreiber, kaum dass Scholz Bürgermeister war, dem Senat kräftig vors Schienbein trat. Der Bezirksamtsleiter kündigte forsch an, einen Bauwagenplatz in Wilhelmsburg Ende April räumen zu lassen. Kurz vor dem 1. Mai, dem traditionellen Randale-Tag, kam die Anwendung geltenden Rechts Scholz nicht sehr recht. Der Bürgermeister verdeutlichte Schreiber dann den Unterschied zwischen der "bezirksrechtlichen" und der "politischen" Dimension. Die Bauwagen stehen noch immer da.

Es ist wohl eher so: Hier versucht einer die Grenzen seines Amtes immer wieder neu auszuloten. Nur einmal hat der Beamte Schreiber in neun Jahren übrigens ein Disziplinarverfahren kassiert. Das hatte der damalige Stadtentwicklungssenator Mario Mettbach (damals Schill-Partei) angestrengt, weil er sich von Schreiber übergangen fühlte. Ausgerechnet Justizsenator Roger Kusch (damals CDU) stellte das Verfahren ein. Im Bezirk Mitte regierten SPD und CDU gemeinsam ...

Markus Schreiber weiß mit den Wechselfällen der Politik umzugehen. "Er sieht sich selbst als wahren Zweiten Bürgermeister der Stadt", heißt es in der SPD. Und das Rathaus "gehört" schließlich auch zu Schreibers Bezirk. (abendblatt.de)