Gemeinsam mit Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt gab Aktivist “Florin“ dem Abendblatt ein Interview, in dem es um die Zukunft der Flora geht.

Hamburg. Zwei Welten treffen aufeinander - und reden miteinander. Auf der einen Seite des Tischs zwei Redakteure des Hamburger Abendblatts, auf der anderen zwei Aktivisten der Roten Flora, einer autonomen Institution, die in der Hansestadt vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Deutlich wird bei dem Gespräch: Die Rote Flora öffnet ihre Türen zwar nicht dem Bürgermeister, falls er kommen sollte. Aber sie selbst will sich ein Stück öffnen. Bis dieses Gespräch geführt werden konnte, war viel Geduld nötig, denn normalerweise enden Interview-Anfragen von Journalisten kategorisch vor der verschlossenen Tür der Roten Flora. Die diplomatischen Verhandlungen im Vorfeld waren entsprechend langwierig. Die erste Anfrage, weitergereicht über Bekannte von Bekannten, erfolgte vor Monaten. Dann wurden diskrete Erkundigungen eingezogen. Das erste Sondierungstreffen mit Andreas Blechschmidt, einem der Flora-Sprecher, fand bei einem Portugiesen im Schanzenviertel statt. Es wurde ein offenes und persönliches Gespräch: Wer man ist, was man macht, was man will. Und was nicht. Das Ergebnis trug Blechschmidt dem monatlichen Entscheidungsforum der Flora vor. Die Vollversammlung gab grünes Licht. Nach einem Besuch vor Ort folgte ein zweites Gespräch. Wenige Tage später kam es dann zum Interview an einem neutralen Ort: in der Kanzlei eines Rechtsanwalts.

Abendblatt: Olaf Scholz hat zum Thema Rote Flora gesagt: "Niemand hat vor, im Großen und Ganzen etwas am Zustand zu ändern." Klingt das nicht ungemein beruhigend für Sie?
Florin : Das ist erst mal eine große Blase, denn er hat sich auf eine Kultureinrichtung bezogen, und das kann ganz viel sein. Die Flora ist damals gegen das "Phantom der Oper" angetreten, und das ist ja letzten Endes auch ein Kulturprojekt. Scholz stiehlt sich aus der Verantwortung, weil er es nicht thematisiert, dass die SPD damals die Flora privat verkauft hat. Das ist der durchsichtige Versuch, einen Konflikt stillzustellen. Gleichzeitig wird, wenn Kretschmer einen Räumungstitel stellt, dieser politisch und polizeilich bedient. Beispiele aus anderen Städten, das Umdunghuset in Kopenhagen und die Liebigstraße 14 in Berlin, zeigen, dass Räumungsaktionen durchgezogen wurden, wenn private Eigentümer dies beantragten.

Abendblatt : Wirkte Olaf Scholz' Aussage wie das Rausholen einer Friedenspfeife?
Florin : Ich begreife das erst mal als Taktieren.
Andreas Blechschmidt: Das ist der Würgegriff der herzlichen Umarmung. Weil in den Statements von Scholz und Neumann ausgeklammert wird, dass die Flora als politischer Gegenentwurf zu vielen Dingen steht. Also zum Beispiel in Fragen der Flüchtlingspolitik, der Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes, in der Frage, wem gehört die Stadt eigentlich, in der Frage von bezahlbarem Wohnraum, in der Frage von forciertem Ausbau der inneren Sicherheit. Das sind alles Fragen, bei denen wir uns in einem diametralen Gegensatz zu einem Herrn Neumann und letztlich auch zu einem Herrn Olaf Scholz befinden.

Abendblatt: Falls Bürgermeister Scholz nun so neugierig geworden ist, dass er demnächst bei Ihnen vor der Tür steht, um sich ein eigenes Bild zu machen?
Florin : Es ist völlig klar, dass die Tür in dem Moment verschlossen bleiben würde. Für uns haben nicht nur private Investoren wie Herr Kretschmer an der Flora nichts verloren. Auch die Stadt ist für uns kein akzeptabler Kooperations- oder Verhandlungspartner. Was die städtische Politik gegenwärtig darstellt, ist Teil des Problems, zu dem wir einen Kontrapunkt schaffen wollen.

Blechschmidt : Herr Scholz ist für uns ein politischer Gegner, mit dem wir uns nicht auf ein Kaffeekränzchen zusammensetzen wollen.

Abendblatt : Warum braucht Hamburg die Rote Flora?
Florin : Die Flora ist für mich ein wichtiger Ort der Gegenöffentlichkeit, des Widerspruchs zu politisch forcierten Bestrebungen.

Abendblatt : Ist etwas falsch an dem Satz: Die Flora sorgt im Schanzenviertel für Aufwertung des Stadtteils, für Verdrängung und steigende Mieten?
Blechschmidt : Leider nein. Die Flora hat eine Doppelfunktion. In ihrer Resistenz ist sie auch zum Motor im Veränderungsprozess geworden, weil sie auch als konsumierbares subkulturelles Ambiente funktioniert. Den Prozess, den sie bekämpft hat, den hat sie auch befeuert. Diesen Widerspruch thematisieren wir seit 15 Jahren. Wir stehlen uns da nicht heraus. Damit müssen wir leben.

Abendblatt : Wie hat man sich die Rote Flora im Jahr 2011 vorzustellen? Ist das ein eingetragener Verein? Eine Betreibergemeinschaft? Eine linke WG? Eine Terrorzentrale? Eine abgeschottete Privatveranstaltung?
Blechschmidt : Die Flora ist von ihrer Organisierung und der politischen Programmatik her nichts anderes als im März 2001, als Kretschmer sie kaufte und als "Kraftort und Samenbank der Gesellschaft" tituliert hat. Für uns ist das nach wie vor ein besetztes Projekt. Es ist der Versuch, einen politischen, kulturellen und ökonomischen Gegenort zu schaffen. Ein Ort, der sich kommerziellen Interessen entzieht und ein Ort von gesellschaftlichen Gegenentwürfen. Das ist die Basis. Es ist seit 22 Jahren ein Konzept von möglichst großer Offenheit für Menschen, die sich darauf einlassen und diese Form von Selbstverwaltung richtig finden. Wir sind keine isolierte Punkabspiel-Bude.

Abendblatt : Was passiert, wenn das nächste Hamburger Erfolgsmusical "Rote Flora" und nicht "Heiße Ecke" heißt?
Blechschmidt : Ich glaube, dass wir unseren guten schlechten Ruf zu schützen wissen.

Abendblatt : Seit 22 Jahren steht die Rote Flora aber auch immer wieder für Gewalt ...
Florin : Es war immer Bestandteil der Flora-Haltung, sich nicht von militanten Aktionsformen zu distanzieren. Das ist nach wie vor so, das finden wir auch richtig. Aber ich finde den Fokus darauf auch zu kurz greifend. Es ist nicht das politische Ziel, ein Räumungsszenario und maximale Eskalation anzusteuern, sondern politische Fragen zu stellen und auch zu beantworten.
Blechschmidt : Es gäbe keine Rote Flora, wenn man sich im Sommer 1988 auf Unterschriftenaktionen und symbolische Blockaden beschränkt hätte. Wie es übrigens auch keine Hafenstraße gäbe. Wir finden es politisch richtig, den Rahmen des Legalen zu überschreiten, um damit politische Spielräume zu eröffnen.

Abendblatt : Wie halten Sie es konkret mit der Anwendung von Gewalt?
Blechschmidt : Damit, dass wir uns grundsätzlich von Gewalt nicht distanzieren, ist schon alles beantwortet. Alles andere ist Teil einer politischen Auseinandersetzung. Gewalt ist selbstverständlich kein Selbstzweck, wir streben ja auch Zustände an, in denen es gewaltfreie Verhältnisse gibt. Aber leider sind diese Ziele nun mal nicht immer gewaltfrei zu erreichen.

Abendblatt : Distanzieren Sie sich denn von den letzten Ausschreitungen, die offenbar nicht politisch motiviert waren? Da ging es eher darum, einen kleinen Laden in der Nachbarschaft zu zerstören.
Blechschmidt : Grundsätzlich distanzieren wir uns davon erst mal nicht. Wobei wir nicht jeden Stein, der geworfen wird, bejubeln und für eine revolutionäre Tat halten. Es gibt niemanden, der es politisch verteidigen würde, das Gartenmobiliar von Anwohnern zu verfeuern. Gleichwohl sind das eben nicht nur die hirnlosen zugereisten Krawallidioten. Das sind Dynamiken und Konflikte, die es auch in anderen europäischen Städten gibt. Mit diesen gewaltförmigen Konflikten muss man sich auseinandersetzen. Herrschende Politik ist auch gewaltförmig. Ein Innensenator, der abschiebt, ist auch Teil dieser Verhältnisse. Wenn wir über Gewalt reden wollen, müssen wir über gesamtgesellschaftliche Gewalt reden, dann sind auch die politisch Verantwortlichen gemeint.

Abendblatt : Trotzdem ist die Frage: Wo ist die Grenze?
Blechschmidt : Die Grenze ist für uns, wo die Gesundheit von Menschen gefährdet ist und das Leben von Menschen aufs Spiel gesetzt wird, das ist völlig klar.

Abendblatt : Dann hieße das zugespitzt: Autos abzufackeln, weil Kinder in Indien billige T-Shirts produzieren, ist o.k.?
Blechschmidt : Als gezielte symbolische politische Aktion, um auf das Thema hinzuweisen und durchaus ökonomischen Schaden zu verursachen - davon würden wir uns nicht distanzieren, das ist richtig. Aber wenn irgendwo in Lurup fünf Kleinwagen abgefackelt werden, dann hat das nicht mit Politik zu tun und ist etwas, wovon wir uns distanzieren.

Abendblatt : Es gab - abgesehen vom Hausverbot - nie einen persönlichen Kontakt mit dem Eigentümer Klausmartin Kretschmer?
Blechschmidt : Nie. Das Hausverbot haben wir nicht nur ausgesprochen, wir haben es auch politisch erklärt. Wenn man sich das Gebaren von ihm heute ansieht, haben wir goldrichtig gelegen. Wir haben ihm immer unterstellt, dass es ihm nicht um den Erhalt der Flora als besetztes Zentrum und Ort politischer Gegenöffentlichkeit geht. Sondern, dass er eigene Ziele verfolgt. Da sehen wir uns zu 100 Prozent bestätigt. Wir haben das Gespräch nicht gesucht, und das wird auch so bleiben.

Abendblatt : Zahlen Sie Müllgebühren, Strom, Gebäudehaftpflicht?
Florin : Die Betriebskosten, was Strom, Müll etc. betrifft, zahlen wir. Wir betreiben die Instandhaltung des Gebäudes. Die Brandschutzbestimmungen sind feuerpolizeilich abgenommen. Das Haus mag schmuddelig aussehen, ist aber grundsaniert. Es ist ein Teil unseres Selbstverständnisses, mit den Räumen verantwortlich umzugehen.

Abendblatt : Verweigern Sie sich einem runden Tisch?
Blechschmidt : Was soll denn da verhandelt werden? Für uns ist die Flora als Projekt nicht verhandelbar und nicht käuflich, ihre Idee ist für uns unbezahlbar. Es gibt überhaupt keine Verhandlungsmasse.

Abendblatt : Im Dezember gab es die "Rote Flora muss bleiben!"-Veranstaltungen, unter anderem mit Hamburger Künstlern wie 1000 Robota und Jan Delay. Sind solche Konzerte nicht auch schon Etikettenschwindel? 1000 Robota ist noch bei einem Indie-Label, Jan Delay trat bei Thomas Gottschalk auf. Mehr Mainstream geht nun wirklich nicht. Wo ist die Vereinbarkeit mit dem, wofür Sie hier stehen?
Florin : Diese Veranstaltungen waren eine Solidaritätsbekundung, und ich halte es für ein politisches Signal, wenn Delay kommt ...
Blechschmidt : ... erst recht, weil er ja unter anderem hier angefangen hat. Auch Tocotronic haben hier das erste Konzert gegeben. Es gibt Künstler, die sich ihrer politischen Wurzeln bewusst sind und das auch einsetzen. Es steht nirgendwo bei Marx geschrieben, dass man nicht auch Erfolg haben und Geld verdienen darf. Wir haben ein Problem damit, wenn Leute ein bestimmtes Image inszenieren oder sich damit eine Glaubwürdigkeit aneignen. Da machen wir dann nicht mit.

Abendblatt : Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, wer bei Ihnen auftreten darf?
Florin : Wenn Dinge an die Flora herangetragen werden, werden sie kollektiv entschieden. Es gab vor einigen Jahren eine Anfrage von MTV, die im Haus groß was auf die Beine stellen wollten. Das hatten wir als rein kommerziellen Ausdruck von Kultur abgelehnt.

Abendblatt: Wie halten Sie es mit Haus 73, wo ebenfalls alternative Kultur praktiziert wird?
Blechschmidt : Das ist jedenfalls ein anderer Entwurf von Kultur.

Abendblatt : Unvereinbar?
Blechschmidt : In der Konsequenz unvereinbar, weil wir den Eindruck haben, dass das Haus 73 von Anfang an auch den Stadtteil Schanze inszeniert hat und zur Verwertung beigetragen hat. Deswegen gibt es ein gepflegtes Ignorieren. Aber wir sind nicht die Kulturpolizei im Schanzenviertel. Natürlich können die ihr Programm machen. Unseres ist es nicht.

Abendblatt : Was passiert in der Nacht zum 1. Mai?
Blechschmidt : Von der Flora aus nicht viel.

Abendblatt : Aber um die Flora herum?
Blechschmidt : Das weiß ich nicht.
Florin : Sicher werden sich auch in diesem Jahr Leute auf der Straße tummeln, und es werden Dinge passieren. Eine Ankündigung von Kretschmer, die eine Räumungsdrohung konkreter macht, gießt durchaus Öl ins Feuer. Am 30. April wird es eine überregional große Demo in Hamburg geben zur Verteidigung der Roten Flora und für ein Recht auf Stadt. Es wird die Frage sein, wie sich bis dahin auch andere Konflikte in der Stadt entwickeln, wie zum Beispiel die Situation des Bauwagenplatzes Zomia in Wilhemsburg, der räumungsbedroht ist.

Abendblatt : Innensenator Neumann will sich Missbrauch des Demonstrationsrechts nicht gefallen lassen.
Blechschmidt : Er sollte zunächst mal bei der Polizei anfangen, was missbräuchliche Fragen im Versammlungsrecht angeht. Aber das ist ein anderes Thema.