Vertritt die neue Bürgerschaft ihre Wähler repräsentativ? Das Abendblatt wertet die Daten aus. Wissenswertes über die Abgeordneten.

Hamburg. Die neu gewählte Hamburgische Bürgerschaft steht fest. Und sie ist jünger, weiblicher und ein wenig kinderreicher als die vorige. Um genau zu sein: Im Schnitt drei Jahre jünger, sechs Frauen und einige Kinder mehr. Eigentlich sollte die Bürgerschaft als Hamburger Parlament im Idealfall die Wählerschaft repräsentieren, doch bei genauerem Hinsehen ergeben sich einige gravierende Unterschiede.

Vor allem was die weiblichen Abgeordneten betrifft, kann nicht davon gesprochen werden, dass das neue Bürgerparlament sein Wahlvolk repräsentiert. So ist zwar immerhin der Frauenanteil durch die sechs neuen Bürgerschafts-Kolleginnen von einem Drittel der 121 Sitze auf knapp 40 Prozent gestiegen. Das kommt aber noch lange nicht an die Hamburger Bevölkerung heran: In der Hansestadt ist etwas mehr als die Hälfte der 1,7 Millionen Bürger weiblich.

"Mehr als ein Drittel Frauen im Parlament, das ist schon mal sehr gut", sagt Ulrich Karpen. Er ist Professor an der Uni Hamburg im Gebiet des Staatsrechts und war selbst bis 2001 für zehn Jahre in der Hamburgischen Bürgerschaft. Damals, so sagt er, dominierten die Männer noch viel stärker. Allerdings übt der 71-Jährige auch heute noch Kritik daran, dass Frauen deutlich unterrepräsentiert sind. Gerade in der Politik komme es nicht auf spezielle fachliche oder berufliche Qualifikationen an, sondern auf die gesellschaftliche Herkunft. "Und da müsste ein Parlament eigentlich ausgeglichen sein", sagt der Staatsrechtler dem Abendblatt.

Obwohl die Bürgerschaft deutlich jünger geworden ist, nämlich von einem Durchschnittsalter in der 19. Wahlperiode von zuletzt 49 Jahren auf 46 Jahre, spiegelt sie kaum die Verteilung der Altersgruppen wider, wie sie unter allen Hamburgern ab 20 Jahren herrscht.

In der Hansestadt nämlich sind bis auf die über 60-Jährigen alle Altersgruppen in etwa gleich stark vertreten, doch unter den alten und neuen Abgeordneten sticht eine Gruppe massiv hervor: die 40- bis 49-Jährigen. In der Bürgerschaft stellen sie 45 Sitze, also gut ein Drittel, während ihr Anteil an der Bevölkerung laut dem aktuellen Mikrozensus des Statistikamts Nord von vor zwei Jahren nur ein Fünftel beträgt.

"Der Weg in die Bürgerschaft ist ein steiniger", urteilt Ulrich Karpen. Obwohl die junge Generation in der Bürgerschaft unterrepräsentiert ist, sieht er junge Parlamentarier auch skeptisch. "Wer jung in der Bürgerschaft ist, hat eine strikte Politdruck-Karriere hinter sich und sich wahrscheinlich von der eigentlichen Gesellschaft entfremdet." Zudem sei Erfahrung im Politikbetrieb wichtig, was ebenfalls für ein nicht allzu junges Einstiegsalter spreche.

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Am stärksten von der Wählerschaft unterscheiden sich Bildungsstand und ausgeübte Berufe in der Bürgerschaft. Hier gibt es deutliche Unterschiede. So arbeiten in Hamburg mehr als zwei Drittel der Beschäftigten in einem Angestelltenverhältnis. Blickt man auf die neuen Volksvertreter, so fällt sofort auf: Rechtsanwälte und Beschäftigte im öffentlichen Dienst, also vor allem Beamte, sind völlig überrepräsentiert. Doch ist die Hamburgische Bürgerschaft ein Feierabend-Parlament, sie soll also den Abgeordneten ermöglichen, nebenher ihren normalen Beruf auszuüben. Angestellte oder Beamte der Verwaltung werden da traditionell mehr Zeit für abendliche Gremiensitzungen haben als ein viel beschäftigter Unternehmer. "Aber ein Schwung unabhängiger Wirtschaftsleute wäre für die Hamburger viel besser als die Neigung zum Beamtendenken in der Bürgerschaft", fordert Karpen, der selbst im öffentlichen Dienst tätig ist. Denn die Bürgerschaft solle die Verwaltung führen und ihr Aufträge erteilen und somit erste Staatsgewalt sein - und sich nicht selbst aus ihrer Bürokratie rekrutieren.

Ein großer Teil der Hamburger ist indes in der neuen wie der alten Bürgerschaft extrem wenig vertreten - das sind die Nicht-Akademiker. Einer von zehn Hamburgern ist Arbeiter, jeder vierte hat als höchste Schulbildung die Hauptschulreife - in der Bürgerschaft kann man diejenigen ohne Hochschulabschluss an wenigen Fingern abzählen. "Das ist nicht in Ordnung. Im Parlament muss gelten: Wer kein Abitur hat, ist kein schlechterer Politiker", fordert Ulrich Karpen.

Auch wenn gerade durch das neue Wahlsystem "Kumulieren und Panaschieren" die Kandidaten-Direktwahl gefördert werden soll - wer in die Bürgerschaft kommt, um seine Wähler zu vertreten, bestimmen vor allem immer noch die Parteien. Sie setzen ihre Mitglieder auf die Listen. "So lange die Parteien hauptamtliche und lang gediente Politiker bevorzugen und frischen Leuten von draußen keine Chance geben, kann auch die Bürgerschaft nicht ausgeglichener werden", sagt Ulrich Karpen. Denn so verlören sie den Draht zur Gesellschaft.

Da ist es erfrischend zu sehen, dass junge Leute wie Doris Müller, die Krankenschwester, oder Birte Gutzki-Heitmann, die Möbeltischlerin, es in die Bürgerschaft geschafft haben. Sie wird die Zahl der Kinder von Abgeordneten demnächst erhöhen.