Auf dem Spielplatz, an der Alster und im Café ist die Bürgerschaftswahl ein Thema. Der Gang ins Wahllokal hat etwas Verbindendes.

Hamburg. "So viel Geld für dieses neue Wahlsystem", sagt der Mittfünfziger und nimmt seine Frau an die Hand. Was das wohl kostet. "Wir haben's ja", sagt er noch und "dass die Straßen bestimmt löchrig bleiben". Das Paar kommt gerade aus dem Wahllokal in Eimsbüttel. Es ist 10 Uhr am Wahlsonntag. Diese besondere Atmosphäre liegt in der Luft. Es ist zwar einfach nur Sonntag, aber der Gang ins Wahllokal hat etwas Verbindendes. "Und warst du schon wählen?", fragen sich die Nachbarn beim Bäcker. Eine Redewendung, genau wie "Frohes neues Jahr!" Genau wie am ersten Tag eines neuen Jahres geht es ja auch bei einer Wahl um einen Neuanfang. Der Florist um die Ecke verkauft noch Blumen. Es ist eben auch nur ein Arbeitstag, dieser Sonntag. Zum Wählen will er sich aber gleich auf den Weg machen. Immer schön gelassen bleiben. Hat er sich auf das neue Wahlsystem eingestellt? "Ich hätte die Namen der Kandidaten googeln müssen, dazu habe ich aber keine Lust gehabt."

Der Beginn der neuen Regierungsära fängt kalt an. Kleine Kinder müssen aber trotz der Minusgrade bespaßt werden. Zum Wählen ist Julia Trautmann bis zum Mittag nicht gekommen. Sie steht stattdessen auf dem Spielplatz am Goldbekplatz in Winterhude und schubst ihren Sohn Ferenc, 4, auf der Schaukel an. "Das Wahlergebnis wird ja nicht so überraschend ausfallen", sagt sie. Wer gewinnt, interessiert sie schon, aber deshalb macht sich Frau Trautmann nicht verrückt. "Ich wünsche mir, dass die Regierung die Kita-Gebührenerhöhung zurücknimmt", sagt die 30-Jährige. Bis sie am Nachmittag wählen geht, habe sie noch zu tun. Kochen, Mittagessen, und hoffen, dass Ferenc schläft. Dann können sie und ihr Mann sich ein wenig ausruhen. So aufreibend dieser Tag bis zu den ersten Prognosen für die Parteien ist, so nebensächlich scheint er für andere zu sein.

Der Vater der vierjährigen Emma, ein paar Schritte weiter, war zu diesem Zeitpunkt schon wählen. Er hört sich an wie ein Politiker, wenn er sagt: "Ich hoffe auf eine vernünftige Politik." Der 45-Jährige hat keine besonders hohen Erwartungen an die neue Regierung. "Ich bin von der Politik enttäuscht, weil es handwerklich unter aller Kanone ist." Am Abend wird er sich die Prognosen im Fernsehen anschauen. "Ich bin schon gespannt."

Ortswechsel. An der Alster sind an diesem sonnigen Wahltag die üblichen Spaziergänger unterwegs. Die Stimmung ist eisig. Das liegt aber nicht an einer möglichen Politikverdrossenheit, sondern schlicht an den Temperaturen und dem fiesen Wind. Gelegenheit, sich den Kopf frei pusten zu lassen. Simone und Michael Aguski aus Altona haben ihre Kreuzchen gleich nach dem Frühstück gemacht. Von dem neuen Wahlsystem sind sie alles andere als begeistert. Von der Politik ebenso wenig. "Ich wünsche mir endlich eine Regierung ohne Skandale und mit mehr Bürgernähe", sagt der 53-Jährige. Klar seien sie neugierig auf das Ergebnis. "Wir schauen später ins Internet und Fernsehen."

Apropos Fernsehen. Sonntag ist auch "Tatort"-Zeit. Den wollen sich Johanna Tigges, 31, aus Barmbek und ihr Freund Serkan Agci, 35, auf jeden Fall ansehen. Sie freuen sich, als sie erfahren, dass es auch noch ihr Lieblings-"Tatort" aus Leipzig sein soll. "Man hat seine Prinzipien", sagt Serkan Agci und lacht. Jetzt sitzt das Paar noch tiefenentspannt bei Kaffee und Kuchen im Café Herr Max in der Schanze und lesen Zeitung. Diese Lässigkeit wird sich den ganzen Tag so durchziehen. Freunde wollen später dazukommen. Solch ein ausgedehnter Kaffeeklatsch bedeutet nun keinesfalls, dass die beiden politisch desinteressiert sind. Ganz im Gegenteil: Sie sind Parteimitglieder und waren schon am Morgen wählen.

Salesmanagerin Johanna Tigges hofft auf einen Regierungswechsel. "Und dass man diesen Politikwechsel deutlich spüren wird. Dass zum Beispiel mehr Geld in die Wohnungsbau investiert wird und Wohnen in Hamburg auch für Familien bezahlbar ist." Am frühen Abend wollen sie weiter zur Wahlparty der SPD in die Fabrik nach Altona. Serkan Agci ist schon lange in der SPD aktiv. Nur wählen durfte er noch nie. Er ist Türke, und dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, macht ihn noch lange nicht wahlberechtigt. Ihm fehlt die deutsche Staatsbürgerschaft. "Ich finde das natürlich schade", sagt er. Aber ständig auf dem Sofa zu sitzen wie an diesem Wahlsonntag und dann über die Politiker zu meckern, das sei auch nichts für ihn.