Einige Signale wirken wie eine Befreiung, andere sind für die Wahlkämpfer irritierend. Die CDU sucht ihren Weg nach der Ära von Beust.

Hamburg. Man muss schon auf eine besondere Art hartgesotten sein, um hier den Vormittag zu verbringen: Ein feuchtkalter Wind fegt durch die Fußgängerzone in Neugraben. Der Sonnenschirm der örtlichen CDU wackelt daher heftig, wenn wieder eine besonders kräftige Böe durch die Schlucht der 70er-Jahre-Gebäude rauscht. Sie wurden gebaut, als Harald Adickes, 75, und viele seiner Mitstreiter am Info-Stand ihre Familien gegründet hatten.

Heute ist Adickes Rentner und wartet auf den Bürgermeister, der sich wie in vielen Stadtteilen dieser Tage zu einem Wochenmarkt-Rundgang angesagt hat. Ihre orangefarbenen CDU-Schals haben die Wahlkämpfer um den Hals geschlungen und verteilen vorab schon einmal Flugblätter. "Moin Harald", grüßt ein Passant. "Hallo Harald", ein anderer. Man kennt sich und man kennt die Basis der Harburger CDU, die hier fernab vom Machtzentrum im Hamburger Rathaus für die Stadtteile im Süden der Stadt aktiv ist. "Auf dem Balkan, wie es drüben auf der anderen Elbseite heißt", sagt Adickes und lacht.

Die schon historisch schlechten Umfragewerte für seine Partei scheinen ihn nicht zu stören. Jedenfalls nicht, wenn ein Reporter ihn danach fragt. "Die Stimmung ist besser als die Lage", sagt er dann. Ein Satz, der gut eine Woche vor den Bürgerschaftswahlen oft an den CDU-Infoständen in der Stadt fällt - wenn danach gefragt wird. Hinter vorgehaltener Hand klingt mancher CDU-Bezirkspolitiker schon etwas weniger optimistisch. Von Durchhalten ist dann die Rede, vom Hoffen auf die Stammwähler. Man wolle versuchen, wenigstens nicht zu stark zu verlieren. Die Partei des strahlenden Bürgermeisters Ole von Beust ist zu einer Mannschaft im Rückzugsgefecht geworden.

Nach dem Beust-Rücktritt und dem mehrerer CDU-Senatoren, nach gescheiterter Schulreform und nach dem Platzen der Koalition mit der GAL muss sich die Partei neu finden, so scheint es. "Es fehlt die Aufbruchstimmung", sagt ein junges CDU-Bürgerschaftsmitglied, das wie so viele in diesen Tagen lieber nicht mit vollem Namen über die Befindlichkeiten der eigenen Partei sprechen möchte.

Mancherorts in Hamburg grummelt es eben heftig in der Partei, kaum verhohlen die Kritik an Weichenstellungen der jüngsten Zeit. Zumal die Partei um gut die Hälfte ihrer heutigen Bürgerschaftsmandate fürchten muss und entsprechend heftig um letzte Posten gerungen wird.

Viel Kritik muss jetzt vor allem der CDU-Landesvorsitzende Frank Schira aushalten. Schon beim CDU-Nominierungsparteitag Anfang Januar wurde er von den Delegierten auf seinen Listenplatz 2 nur mit 61,6 Prozent gewählt. Ein mageres Ergebnis, das allgemein als deutliches Unmutsbekenntnis der Basis bewertet wurde. Solche Abstimmungen sind in der Partei zwar nicht neu: Ähnlich war es auch schon Schira-Vorgänger Michael Freytag ergangen. 2008 straften ihn die Mitglieder auf einem Landesparteitag ebenfalls ab - mit einem mageren Wiederwahlergebnis.

Seinerzeit war es aber eine abgesprochene Aktion der Bezirkspolitiker in der CDU. Sie hatten sich geärgert, dass der Finanzsenator Freytag nicht die geringen Aufwandsentschädigungen für Bezirkspolitiker anheben wollte - die seit Jahren schon auf altem Stand geblieben waren. "Dass ihn das so getroffen hat, war für uns aber sehr überraschend", so ein CDU-Bezirkspolitiker. Man kennt die weitere Geschichte: Sein Stern begann zu sinken; wegen der HSH-Nordbank-Krise zog sich Freytag schließlich im März 2010 aus der Politik zurück, und kurz darauf begann das gesamte CDU-GAL-Gebäude zu bröseln.

Die Schira-Schlappe war aber nicht abgesprochen. Sie kann daher getrost als echtes Stimmungsbarometer gewertet werden, wie unzufrieden die CDU-Basis mit dem Krisenmanagement ihrer Führungsriege ist.

Und in der Tat sind manche Signale irritierend: Auf der Landesliste etwa sind die in der Partei als besonders kompetent geltenden Senatoren Dietrich Wersich (Soziales) oder Heino Vahldieck (Innen) auf eher hinteren Plätzen gelandet. Vahldieck sogar weit abgeschlagen auf Platz 31. Der sogenannte 17er-Kreis der Hamburger CDU hatte die Liste eher nach Regional-Proporz bestückt. "Das signalisiert doch schon gleich Rückzug in die Opposition, wenn man die eigenen Regierungsleute so weit hinten platziert", sagt ein Altonaer CDU-Mann.

Verärgerung gebe es aber auch über das CDU-Wahlplakat, auf dem die Christdemokraten mit dem Rückgang der Kriminalität werben wollen und ein irritierendes "Und nu?" an den Slogan hängen. Besser kann man die eigene Ratlosigkeit nicht ausdrücken - auch wenn wohl etwas ganz anderes gesagt werden sollte. "Das ist von Nicht-Hamburgern in der Geschäftsstelle ausgedacht worden und kommt total falsch rüber", so der parteiinterne Kritiker.

Beifall bekommt indes Sozialsenator Wersich, der sich als Front-Wahlkämpfer entpuppt und den nicht wenige als kommenden Mann der Hamburger CDU handeln. Wohlüberlegt bezeichnete er die Versprechen des SPD-Spitzenkandidaten Olaf Scholz kürzlich als "Verarsche". Ein kräftig-derber Ausdruck, der so gar nicht zu dem feingeistigen CDU-Politiker passt.

Ein Ausdruck aber, der an der Basis goutiert wurde und wohl von manchem Wahlkämpfer auch als Motivationsschub gebraucht wurde angesichts der Umfragewerte, die aktuell nur bei rund 25 Prozent liegen. "Endlich hat da einer von uns mal richtig auf den Putz gehauen", sagt der Neugrabener CDU-Wahlkämpfer Adickes. "Das tat richtig gut, und der Wersich hat ja recht", sagt einer seiner Mitstreiter am Info-Stand. Es klingt wie ein Aufatmen, endlich einmal die Meinung rauslassen zu können. Zu lange schon mussten etliche CDU-Mitglieder bei Themen wie der umstrittenen Schulreform gegen ihre Überzeugung argumentieren, weil das Schicksal der CDU-GAL-Koalition so eng damit verwoben war. Und weil Ole von Beust sich persönlich so stark dafür eingesetzt hat. "In der eigenen Familie gab es viel Kritik - aber wir sind ihm treu und brav gefolgt", sagt Adickes.

Vieles mussten CDU-Mitglieder in dieser Koalition offenbar mehr hinnehmen als begeistert mittragen. Jetzt vermitteln manche Parteiveranstaltungen das Bild eines Befreiungsrituals. Eng stehen an einem Sonnabend CDU-Mitglieder in Logensaal der Hamburger Kammerspiele zusammen. Die CDU Eimsbüttel hat zum Neujahrsempfang geladen. Und Spitzenkandidat Ahlhaus gibt die Liturgie vor, die die Partei jetzt wohl braucht.

"Wir haben da einen Fehler gemacht", sagt er öfter. Und, dass vieles von der GAL mehr Ideologie als Politik für die Bürger gewesen sei. Zwar haben viele im Saal das oft mitgetragen, doch das Abwatschen der GAL gefällt jetzt. Oft gibt es kräftigen Zwischenapplaus. "Der Drops ist noch nicht gelutscht, wir können noch etwas schaffen", sagt eine Frau begeistert. Und dass die Stimmung eben besser als die Lage sei.

Da muss etwas dran sein. Auch am Info-Stand auf dem Öko-Wochenmarkt Nienstedten hat sich an einem Freitagvormittag ein gutes Dutzend CDU-Wahlkämpfer eingefunden, um Ahlhaus bei seinem Rundgang zu begleiten. Trotz des heftigen Regenwetters. Nur wenige Menschen huschen von ihrem Auto zu den Ständen. Der CDU-Trupp wirkt da schon wie ein kleiner Demonstrationszug.

Hier in den Elbvororten hatte die CDU wegen der Schulpolitik von der eigenen Klientel böse Kritik einstecken müssen. Hier war die Volksinitiative, die diese Reform schließlich zu Fall brachte, besonders gut organisiert. Doch ausgerechnet hier bekommt die CDU nun Zulauf aus diesem Lager - immerhin gelang der Union, den schärfsten Kritiker der Schulreform Walter Scheuerl auf die eigene Liste zu locken.

Zu den altgedienten CDU-Mitgliedern haben sich dort auch Katja Steffens und Susanne Schütt in den Regen gestellt, mit CDU-Flyern in der Hand. Beide engagierten Mütter waren in der Volksinitiative aktiv, sprechen von Leistung als notwendigem Maßstab, bewährten Strukturen und christlichen Werten. Und beide, die Ärztin und die Juristin, sind erst kürzlich in die CDU eingetreten und kandidieren bereits fürs Bezirksparlament in Altona.

Der Streit scheint vergessen, die CDU ist wieder politische Heimat. Und die Parteimitglieder dürfen wieder richtige CDU sein. Vielleicht geht es nach neun Jahren nun in die Opposition. Aber, na klar, "die Stimmung ist besser als die Lage", sagt der CDU-Bezirksabgeordnete Tim Schmuckall, der im Dauerregen brav hinter Ahlhaus übers Pflaster stapft.

Vermutlich hat er sogar recht.