So war's. Die erste Einheitsfeier im Jahr 1991 wurde überschattet und stand in Hamburg unter dem Eindruck von Übergriffen auf Ausländer.

Altstadt. Jedem Anfang wohnt ein spezieller Zauber inne - man muss ihn nur entdecken. So stritten sich die Geister, ob die Zeremonie des deutschen Einheitstages am 3. Oktober 1991 in Hamburg ein geglückter Startschuss war. Zwar feierten mehr als eine Million Menschen im Herzen der Hansestadt ein fröhliches Fest, doch hielten viele die Distanz zwischen Volk und Politik für zu groß. Während beim Bürgerfest draußen Remmidemmi angesagt war, zelebrierten 1300 geladene Gäste im Börsensaal der Handelskammer den zentralen Festakt wenig lustvoll. Ernste Themen dominierten, und so war der Kontrast schon krass.

"Die fröhliche und heitere Hansestadt" schrieb das Hamburger Abendblatt in seiner Ausgabe vom 4. Oktober 1991 und veröffentlichte Fotos wahrhaftigen Frohsinns: Luftballons, Würstchenbuden und bunte Fähnchen zwischen Jungfernstieg und Rathausmarkt. Auf der Hauptbühne moderierte Günther Jauch gewohnt gekonnt, und Justus Frantz spielte Chopin auf dem Klavier. Dazwischen wurde deftige Kost aus deutschen Landen offeriert. Das Volk langte kräftig zu. Genüsslich zitierte der "Spiegel" Standchef Norbert Thon aus Mühlhausen. "Um halb vier waren wir total abgeräumt", berichtete der Kaufmann fassungslos. "500 Kilogramm Wurst. Wie eine Horde Hunnen sind die Leute eingefallen."

Der Fiesta auf der Straße stand die streng abgeschirmte Zeremonie im voll besetzten Saal gegenüber. Sehr viele Paten der Wiedervereinigung, das Bonner Kabinett, die fast komplette Ministerpräsidentenriege, aber auch Ehrengäste wie Heidi Kabel, Max Schmeling oder Ulrich Wickert waren gekommen, um den ersten Jahrestag des historischen Ereignisses in Würde zu begehen.

"Beide Städte sind freien Geistes", sagte Anatoli Sobtschak, Bürgermeister aus Hamburgs Partnerstadt St. Petersburg. "Sie zeichnen sich durch ihren besonders weltoffenen Charakter aus." Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau warnte die Westdeutschen vor "selbstgefälliger Unbarmherzigkeit" den ostdeutschen Landsleuten gegenüber. In allen Bundesländern, hier wie dort, würden die Menschen durch Zukunftsängste belastet.

Fraglos lag ein ernster Unterton auch an der politischen Lage im Herbst vor 19 Jahren: Brutale Gewalt gegen Ausländer und mehrere Anschläge auf Asylbewerber überschatteten den Tag der Deutschen Einheit 1991. In der Nacht vor dem Festtag erschütterten kriminelle Vorfälle nicht nur die eigentlich zum Feiern in den Stadtstaat gereisten Ehrengäste. In Hünxe am Niederrhein brannte ein Fremdenheim, auf Rügen steckten 30 vermummte Jugendliche eine Holzbaracke in Brand, in der 21 Asylbewerber untergebracht waren. Praktisch zeitgleich mussten Polizei und Feuerwehr in Bremen, Rostock, Mönchengladbach und Berlin-Kreuzberg wegen ausländerfeindlicher Aktionen massiv eingreifen. Meist war es dann schon zu spät.

Mithin kein Wunder, dass alle Redner in der Handelskammer auf diese Problematik zu sprechen kamen. Für Frohsinn war hier kaum Raum. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth wandte sich nachdrücklich gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus im gerade erst vereinten Deutschland. Aufgabe der Demokratie sei es, angesichts der nationalsozialistischen Vergangenheit das Asylrecht als Menschenrecht besonders inbrünstig gegen Ausschreitungen zu verteidigen. Ähnlich formulierte es Bundeskanzler Helmut Kohl, der sich lange mit Brandenburgs Sozialministerin Regine Hildebrandt über die Chancen der Einheit unterhielt.

Voscherau, der durch seine Funktion als Bundesratspräsident Gastgeber der Feierlichkeiten für den 1. Jahrestag der Einheit war, ließ sich den Spaß dennoch nicht gänzlich nehmen. Gemeinsam mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker bummelte er durch die Hamburger Innenstadt und machte sich einen Eindruck vom Angebot an den Ständen und Zelten, auf denen sich die alten und die neuen Bundesländer von ihrer attraktivsten Seite zeigten - nicht nur kulinarisch, sondern auch historisch und kulturell.

Dass sich mehr als eine Million Festbesucher über die Einheit freuten, ging als erfreuliche Nachricht durch das vereinte Land. Dass Gastgeber Hamburg letztlich zuzahlen musste und Kosten in Höhe von 1,2 Millionen Mark verbuchte - es blieb eine Randnotiz.