Die Nacht der Kirchen zog in Hamburg mit einem vielfältigen und oft auch kirchenuntypischen Programm wieder knapp 70.000 Besucher an.

Hamburg. Glocken läuteten, vor den geöffneten Kirchenportalen verbreiteten Fackeln Wärme und Licht, im Innern sangen die Menschen, machten Musik und lauschten besinnlichen Worten. Die Nacht der Kirchen zog mit einem vielfältigen und oft auch kirchenuntypischen Programm wieder knapp 70.000 Besucher an. Das Hamburger Abendblatt hat vier Kirchen an völlig gegensätzlichen Orten besucht: die St.-Raphael-Kirche in Wilhelmsburg und die Nienstedtener Kirche an der Elbchaussee, die prächtige Hauptkirche St. Michaelis in der Neustadt und die St.-Joseph-Kirche auf dem Kiez.

Über das Viertel auf der Elbinsel Wilhelmsburg legt sich Punkt 19 Uhr das Geläut der Kirchenglocken von St. Raphael, einer kleinen Backsteinkirche zwischen vernachlässigten Mehrfamilienhäusern. Die letzten Besucher gehen die von Feuerschalen flankierte Treppe zum Eingang hinauf und suchen sich einen freien Platz im gut gefüllten Kirchenschiff. Hingucker sind die großen Porträtfotos, die von Aufstellern rechts und links des Kirchenraums auf die Besucher blicken.

Es sind Gesichter, auf denen das Leben Spuren hinterlassen hat. "Gesichter der Armut" heißt die Ausstellung, die Pastorin Corinna Peters-Leimbach und Sozialberaterin Christel Ewert aus Bremen nach Wilhelmsburg geholt haben. Die Pastorin bestätigt, was ein Blick in die Gesichter mancher Besucher vermuten lässt: "Viele Menschen hier leben von Hartz IV und Sozialhilfe. Das Kirchennacht-Motto ,Es werde Licht!' haben wir zum Anlass genommen zu zeigen, dass es auch Menschen im Schatten gibt, der ja durch Licht erst entsteht." Detlef Mlynek findet es gut, dass eine Ausstellung zur Armut in einer Kirche gezeigt wird. "Kirche sollte nicht nur besinnlich, sondern auch lebensnah sein", sagt der Wilhelmsburger. Doch in St. Raphael wird auch Heiteres präsentiert: plattdeutsche Lieder der Inseldeerns und das Kabarett der Gruppe Notausgang.

Von Wilhelmsburg an die Elbchaussee. Die Backsteinfassade der Kirche Nienstedten ist malerisch blau und rot illuminiert. Unter Zelten vor dem Kirchenportal sind Büfett und Getränkestand aufgebaut. Es gibt Wein, Saft und Bier, Käsebrötchen und Suppen. In der Kirche tritt der Gospelchor auf, begleitet vom Kinderchor. Zur musikalisch untermalten Vesper unter dem Motto "Tischlein deck dich" lassen sich die Besucher an den mit Kerzen und Heidekraut geschmückten Holztischen im Kirchenschiff nieder, an die Decke sind biblische Botschaften projiziert. Michael Pietzcker war mit Frau Sybille und den Töchtern Corinna, 13, und Carola, 10, schon im letzten Jahr hier. Ihnen gefallen das gesellige Beisammensein beim gemeinsamen Essen und der Gospelgesang. "Es ist schön, wenn Kirche sich so offen präsentiert", sagen die Eltern. "Besonders für Jugendliche und Menschen, die sonst nicht zur Kirche kommen."

Der Michel, Hamburgs Wahrzeichen, gibt sich in der Nacht der Kirchen hanseatisch zurückhaltend. Keine Festbeleuchtung von außen, im Innern überwiegt elektrisches Licht. Das Programm ist intellektuell: Meditationen über Texte des Psalters, dezente Orgelimprovisationen und Bildbetrachtungen. Die Kirchenbänke sind gefüllt, aber nicht voll besetzt. Für Peter Meier aus Bad Segeberg ist es die erste Nacht der Kirchen. "Es ist ein gutes, anspruchsvolles Programm", sagt Meier, dem besonders ein theologischer Vortrag und die Orgelmusik gefallen haben. "Und eine schöne Gelegenheit, diesen Ort auf sich wirken zu lassen." Für Gabriele Josef ist es schon die sechste Kirche, die sie heute Nacht besucht. "Mir gefällt, dass alle Kirchen etwas anderes bieten."

Von der gediegenen Hauptkirche an die Große Freiheit. Musik dröhnt aus den umliegenden Kneipen, doch die katholische St.-Joseph-Kirche hält mit: Hier treten die Kiezmusiker Jason Foley und Danny Guitar auf. "Das ist etwas ganz anderes als sonst", sagt Agata Pogoretcryk aus Eppendorf, die hier jeden Sonntag die polnische Messe besucht.

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