Bewohner beklagen die Verdrängung von Traditionsgeschäften. Wie Andy Grote, Chef des Bezirks Mitte, den Charme St. Georgs erhalten möchte.

Hamburg. In St. Georg explodieren die Mietpreise, es brodelt im Quartier. Die alteingesessenen Bewohner beklagen die Verdrängung von Traditionsgeschäften. Sie fürchten, dass sich bald nur noch Ladenketten ein Geschäft an der Langen Reihe leisten können - der bunte Gewerbemix ginge verloren. Das Hamburger Abendblatt hat Andy Grote (SPD), den neuen Bezirksamtschef von Mitte, gefragt, was er für St. Georg tun will.

+++ Hamburg verliert seine kleinen Geschäfte +++

+++ St. Georg wehrt sich gegen zu hohe Mieten +++

Hamburger Abendblatt: Hunderte haben in St. Georg für den Erhalt der Buchhandlung Wohlers protestiert, die aufgeben muss, weil der Hauseigentümer die Miete verdreifachen will. Wohlers ist nicht das erste Traditionsgeschäft, das aufgeben muss. Wie kann der Bezirk Inhaber kleiner Geschäfte davor schützen?
Andy Grote: St. Georg ist ein vielfältiger und spezieller Stadtteil. Nirgendwo ist Hamburg mehr Großstadt als hier. Geht die Mischung aus Kleingewerbetreibenden verloren, büßt das Viertel an Attraktivität und großstädtischem Lebensgefühl ein. Doch anders als bei der Wohnbevölkerung, die wir als erster Bezirk mit der Sozialen Erhaltensverordnung schützen können (Anm. der Red.: verhindert die Umwandlung vom Miet- in Eigentumswohnraum) , haben wir zum Schutz der Gewerbetreibenden bislang kein Instrument in der Hand.

Die Bezirksversammlung fordert, dass Sie zum Schutz der Buchhandlung einen runden Tisch organisieren.
Grote: Ich habe bereits mit dem Hauseigentümer telefoniert. Er signalisiert eine gewisse Gesprächsbereitschaft und würde sich mit Vertretern aus Politik und Stadtteil zusammensetzen. Ich weiß aber nicht, ob das ausreicht.

Wenn überhaupt, wäre damit auch nur der Buchhandlung geholfen. Was ist mit allen anderen Geschäften, denen hohe Mietsteigerungen drohen?
Grote: Die SPD hat in der letzten Legislaturperiode in der Bürgerschaft einen "Schutzschirm gegen Verdrängung" beantragt, der auch den Schutz der gewachsenen Kleingewerbestrukturen mit einschloss. Ich werde mich dafür einsetzen, dass das von der Bürgerschaft noch einmal aufgegriffen wird. Sie könnte den Senat auffordern, eine Gesetzgebungsinitiative auf Bundesebene anzustoßen. Das ist nicht unumstritten, denn wer einzelne Geschäfte schützt, greift in den Wettbewerb ein. Und das Verfahren dauert lange. Deshalb sollten wir schnellstmöglich mit den Grundeigentümern eine Strategie für die Lange Reihe als "Straße der Vielfalt" entwickeln.

Wie stellen Sie sich das vor?
Grote: In Einkaufszentren, in denen ein Gewerbemix gewünscht wird, zahlen Inhaber kleiner Geschäfte oft weniger als Filialisten. Ähnlich könnte man auch an der Langen Reihe dafür sorgen, dass bestimmte Läden eine niedrigere Miete zahlen.

Aber welcher Hausbesitzer würde freiwillig auf Miete verzichten?
Grote: Das greift natürlich nur bei denen, die mehrere Immobilien an der Langen Reihe besitzen, und das sind einige. Wir sind auf ihren guten Willen angewiesen. Doch schließlich würde auch ihnen eine Verödung der lebendigen Straße schaden.

Dem Bezirk und der Stadt wird vorgeworfen, St. Georg als "Visitenkarte" für Touristen zu missbrauchen. Der Einwohnerverein spricht von bis zu 20.000 Hotelbetten gegenüber 10.000 Bewohnern. Wird St. Georg zum Hotelviertel?
Grote: Diese Bettenzahl hätte ich gerne verifiziert. Nichtsdestotrotz liegt St. Georg am Hauptbahnhof - dort gibt es viele Hotels. Und zur "Visitenkarte für Touristen": St. Georg ist ein Stadtentwicklungsgebiet, in das hohe Millionenbeträge geflossen sind, und zwar nur für anwohnerbezogene Projekte. (Anm.: Grote deutet auf den gut besuchten Spielplatz neben dem Café im Lohmühlenpark, in dem das Interview stattfindet) . Sehen Sie hier Touristen?

Sprechen wir jetzt mal über das Thema Gentrifizierung .. .
Grote: Das ist in der Tat ein Riesenproblem in St. Georg. Wir müssen hier dringend wieder öffentlich geförderten Wohnungsbau haben. Mittlerweile werden in jedem Stadtteil Sozialwohnungen gebaut, nur nicht in St. Georg. Die Politik muss ihre wohnungsbaupolitischen Ziele in den Verhandlungsverfahren mit Investoren auch durchsetzen.

Aktuell will die Allianz mit dem Bebauungsplan-Entwurf St. Georg 45 an der Alster einen Bürokomplex und auf dem rückwärtigen Teil des Grundstücks, an der Koppel, Eigentumswohnungen bauen. Die Anwohner fordern statt Büros einen Mix aus Eigentums- und Sozialwohnungen.
Grote: Mein Wunsch wäre, an diesem Standort tatsächlich sozialen Wohnraum zu schaffen. In dieser Sache ist das letzte Wort auch noch nicht gesprochen. Die Bürger haben mehr als 200 Einwendungen beim Bezirk eingereicht, die geprüft werden. Sie spielen in den weiteren Diskussionen mit dem Investor sicher eine Rolle. Die Verdrängung einkommensschwacher Menschen aus St. Georg ist problematisch. Auch hier bedeutet der Verlust der Vielfalt eine Bedrohung für ein Stück Lebensqualität.

Davon würde auch etwas durch die Schließung des Savoy-Kinos am Steindamm verloren gehen.
Grote: Dieser Kino-Standort ist wichtig für die Menschen im Viertel. Und es sieht so aus, als könnten wir ihn erhalten. Es gibt Verhandlungen mit einem privatwirtschaftlichen Nutzer. Überall dort, wo sich Verhandlungsspielraum ergibt, werden wir das nutzen.

Welche Projekte wollen Sie noch in Angriff nehmen?
Grote: Wir wollen versuchen, für St. Georg ein Integrations- und Bildungszentrum, eine neue Dreifeldsporthalle und die Erweiterung des Lohmühlenparks zu realisieren. Es wird allerdings eine echte Herausforderung, bei sinkenden Mitteln drei Projekte für jeweils mehrere Millionen Euro zu verwirklichen. Ich werde jedoch versuchen, hier so viel an Stadtteilentwicklungsmitteln wie möglich nach St. Georg zu holen.