Kleinere Läden haben es immer schwerer. Neun von zehn haben binnen drei Jahrzehnten geschlossen. Handel sieht “Amerikanisierung“.

Hamburg. Die Zahl der inhabergeführten Fachgeschäfte in Hamburg ist dramatisch gesunken. Derzeit führen die Fachverbände des Hamburger Einzelhandels nach den Worten ihres Ersten Geschäftsführers Wolfgang Linnekogel noch 224 solcher Unternehmen in ihrer Kartei. "Als ich im Jahr 1979 zum Verband kam, waren es genau 2546", sagt Linnekogel. Die Mitgliederzahlen als Anhaltspunkt genommen, sind somit in gut drei Jahrzehnten neun von zehn Fachgeschäften aus den Einkaufsstraßen verschwunden.

Insgesamt aber wächst in Hamburg die Verkaufsfläche des Einzelhandels weiter: einer Erhebung der Handelskammer Hamburg zufolge allein in den Jahren 2003 bis 2010 um mehr als zehn Prozent auf aktuell knapp 2,6 Millionen Quadratmeter. Linnekogel schätzt mit Blick auf die Zahlen seines Verbandes, dass vier Fünftel davon mittlerweile von Handelsketten eingenommen werden. "Wenn irgendwo eine Fläche frei wird, die Kaufkraft verspricht, kommt ein Filialist", sagt er. Vor allem aber hätten die großen Fachmärkte den kleinen Geschäften zugesetzt. Mit ihnen habe sich das Kaufverhalten der Kunden geändert. Linnekogel: "Fachmärkte mit großen Parkplätzen vor der Tür bringen aufgrund der großen Vielfalt unter einem Dach schon einen Vorteil für die Kunden." Er spricht von einer "Amerikanisierung", wenngleich die Situation in Hamburg mit seinen vielen Stadtteilzentren und einer hohen Kaufkraft noch nicht so brisant sei wie anderswo.

+++ Das Aus kommt nach 119 Jahren +++

+++ Kunde trägt Mitschuld +++

+++ Einzelhandel: Zu wenig verkaufsoffene Sonntage +++

Trotzdem: Kleinere Läden haben es immer schwerer - nicht zuletzt durch die neue Konkurrenz aus dem Internet. Eines der jüngsten Opfer in Hamburg ist das Fachhaus Möller in Hamburgs bevölkerungsreichstem Stadtteil Rahlstedt. Ende Mai schließen die Schwestern Marina Stegner und Sylvia Müsing, Inhaberinnen in der vierten Generation, das kleine Traditionskaufhaus nach 119 Jahren im Familienbesitz. "Das Internet macht den Fachhandel kaputt", beklagt Marina Stegner. Zuletzt hätten sich Kunden oft nur beraten lassen; einige von ihnen hätten noch im Geschäft mit ihren Smartphones online bestellt.

Während der Internet-Handel boomt, hat sich der Anteil der Fachgeschäfte ohne Filialen am deutschlandweiten Gesamtumsatz nach Angaben des Handelsverbands Deutschland (HDE) mehr als halbiert: von 31,2 Prozent im Jahr 1995 auf 14,2 Prozent im Jahr 2010. Dagegen wird das Online-Geschäft allein in diesem Jahr um 13 Prozent auf 29,5 Milliarden Euro wachsen, so die Prognose von Stefan Hertel, Pressereferent beim HDE. Bei einem prognostizierten Gesamtumsatz des Handels von 421 Milliarden Euro in diesem Jahr entspräche das einem Marktanteil von sieben Prozent.

Wolfgang Linnekogel hält es angesichts dieser Entwicklung für ratsam, dass sich auch Fachhändler über eigene Online-Shops neue zusätzliche Vertriebswege erschließen: "Die Umsätze im Internet steigen rasant. Das wird auch so bleiben, das kann man nicht wegreden." Im Endeffekt, so Linnekogel, entscheide aber der Kunde. Er müsse wissen, was ihm wichtig sei: "Ich finde es fast grotesk: Immer wenn ein Fachgeschäft schließt, sagen die Kunden, wie schade das sei. Dabei sind in Wirklichkeit sie es, die durch ihr Verhalten bestimmen, welche Zukunft der Fachhandel hat."