Abendblatt-Redakteurin Rebecca Kresse über die lange Parlamentsdebatte und die Expertenanhörung zum Thema Rückkauf der Netze.

Eine Stunde, 13 Minuten und 48 Sekunden - so lange debattierten am Mittwoch die Parlamentarier in der Bürgerschaft über das Für und Wider der städtischen Minderheiten-Beteiligung an Hamburgs Versorgungsnetzen für Strom, Gas und Fernwärme. Am Ende gab es trotz aller Argumente genau das Abstimmungsergebnis, mit dem alle gerechnet hatten: Die SPD stimmte mit 62 Stimmen (volle Fraktionsstärke) für das eigene Konzept.

An dieser Entscheidung konnten weder die Parlamentsdebatte noch die vorangegangene Expertenanhörung etwas ändern. Dabei hätte gerade die Expertenanhörung noch einmal alles ändern können. Zu eindeutig waren nach Ansicht von CDU, GAL, FDP und Linken die Warnungen der vor dem Ausschuss erschienenen Fachleute. Zu eindeutig ihr Votum gegen die Verträge mit den Energieversorgern. Wenn all das am Ende aber nicht zählt, drängt sich die Frage auf: wozu das Ganze überhaupt? Sind Expertenanhörungen überflüssig?

Es geht für die Fraktionen oft darum, die eigene Position zu stärken

Es gibt nur wenige, die öffentlich das aussprechen, was sich vielen Beobachtern solcher Anhörungen unweigerlich aufdrängt. Einer tut es doch. "Das ist eigentlich alles nur Show", sagt der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Kai Voet van Vormizeele. "Die Meinungsbildungsprozesse finden vorher statt." So drastisch sehen es andere nicht. Aber sowohl in Regierungs- als auch in Oppositionsfraktionen will keiner verhehlen, dass es in einer solchen Anhörung oft vor allem darum geht, die längst gefestigte eigene Position zu stärken.

Offiziell ist zu den Anhörungen wenig geregelt. In der Geschäftsordnung der Bürgerschaft heißt es lediglich: "Die Ausschüsse können Sachverständigen, Interessenvertretern und anderen Auskunftspersonen Gelegenheit zur mündlichen oder schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem Ausschuss geben. Die Auskunftsperson bestimmt der Ausschuss." Egal, mit wem man spricht, ob mit Regierung, Opposition, Bürgerschaftskanzlei oder Experten - in einem sind sich alle einig: Je brisanter ein Thema ist, desto mehr wird eine Expertenanhörung zur Showveranstaltung. "Je weniger öffentliches Interesse an einem Thema besteht, desto eher kann man auf die üblichen politischen Rituale verzichten", gibt einer zu. Und nicht wenige wünschten sich das häufiger für ihre politische Arbeit.

Zumal eine solche Anhörung nicht billig ist. So kostete die Expertenanhörung zum Rückkauf der Netze die Bürgerschaftskanzlei rund 4000 Euro. Ausreißer nach oben war die Anhörung zur weiteren Beteiligung der Stadt an Hapag-Lloyd. Weil ein Experte aus London eingeflogen wurde und ein Simultanübersetzer zur Verfügung gestellt werden musste, kostete diese Veranstaltung rund 6000 Euro. Eine Ausnahme, wie Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) betont.

Trotzdem Grund genug, künftig auf solche Anhörungen zu verzichten? Nein, sagen sowohl Parlamentarier als auch Interessenverbände. "Wir brauchen die Expertenanhörung, um alle Positionen abzubilden. Außerdem ist das auch ein Rechtfertigungszwang für die Regierungsfraktion", sagt mit GAL-Fraktionschef Jens Kerstan jemand, der solche Anhörungen sowohl in Regierungsverantwortung als auch in der Opposition erlebt hat. Grundsätzlich ist die Expertenanhörung vor allem aber ein Instrument der Opposition. Sie setzt auf die öffentliche Wirkung. Sie versucht, die Regierung durch eine geschickte Auswahl der Experten und deren Argumente schlecht aussehen zu lassen. Auch wenn allen von vornherein klar ist, dass das am Ergebnis nichts ändern wird.

Obwohl auch das schon vorgekommen ist. Eine Expertenanhörung zum digitalen Wahlstift im November 2007 hat letztlich dazu geführt, dass die damals allein regierende CDU von der Einführung des digitalen Wahlstifts zurückgetreten ist. Dies aber nur deshalb, weil sich die Fraktionen darauf verständigt hatten, einvernehmlich entscheiden zu wollen. Nachdem nicht nur Farid Müller für die GAL seine Zweifel geäußert hatte, sondern auch die SPD ihre Zustimmung verweigerte, zog die CDU den Antrag zurück. Sowohl CDU als auch GAL und SPD geben heute aber zu: Das war nur möglich, weil es ein gemeinsames Parlamentsvorhaben war und nicht der Antrag des regierenden Senats. Dies habe eine Kehrtwende "ohne Gesichtsverlust" ermöglicht.

Die Beratung zu den Netzen ist nicht spurlos an der SPD vorbeigegangen

Im aktuellen Fall war eine Kehrtwende nicht eingeplant. Aus der SPD-Fraktion heißt es: "Der point of no return", der Moment, in dem man die Verhandlungen noch hätte rückgängig machen können, war zum Zeitpunkt der Anhörung längst überschritten. Mit Experten hat sich die SPD trotzdem ausgetauscht. Nur eben viel früher und ohne die Opposition. Schon vor der Bürgerschaftswahl gab es in der SPD eine Projektgruppe, die sich mit der Beteiligungsfrage beschäftigte und mit Fachleuten sprach.

Trotzdem ist die Anhörung vor dem Umweltausschuss nicht spurlos an der SPD vorübergegangen. Zahlreiche Sozialdemokraten hatten nach dem harschen Urteil der Experten Zweifel bekommen. Neben der offiziellen Befragung des Senats hat es deshalb weitere, interne Treffen zwischen Senat und Fraktion gegeben. Jeder sollte seine Fragen beantwortet bekommen und seine Zweifel äußern dürfen, heißt es. Am Ende ist ein Zusatzantrag herausgekommen, den die SPD-Fraktion unter anderem mit der Forderung nach einem energiepolitischen Beirat als wichtige Ergänzung ansieht, die Opposition öffentlich als "Nullnummer" verspottet. Bis zum Schluss gibt keine Seite die politischen Rituale auf. Das gehört wohl zum parlamentarischen Alltag dazu. Genau wie die Expertenanhörungen.