Wer den Innensenator in diesen Tagen beobachtet, erlebt einen professionellen und nach außen stets beherrschten Politiker.

Hamburg. Knapp ein Jahr ist es her, dass sich in Hamburg ein Regierungswechsel abzuzeichnen begann. Als seinerzeit immer häufiger die Frage gestellt wurde, wen der vermutlich nächste Bürgermeister Olaf Scholz in seinen Senat holen würde, war nur ein einziger Name stets gesetzt: Michael Neumann. Nach 14 Jahren Bürgerschaft, davon sieben als Fraktionschef an der Oppositionsfront, hatte Neumann quasi freie Hand bei der Jobwahl. Dass er sich für die Innenbehörde entschied, lag auf der Hand, schließlich hatte er sich schon als Gegenspieler von Innensenator Ronald Schill Meriten erworben.

Wer aus dieser Vorgeschichte aber die Erwartung abgeleitet hatte, der Innensenator Neumann müsse zwangsläufig ein Schwergewicht im Senat werden, war auf dem Holzweg. Schwergewichte gibt es im Scholz-Senat nur eines - Scholz selbst. Alle anderen boxen eine Preisklasse darunter, wobei das bislang klaglos akzeptiert wird, weil die herausgehobene Stellung des Bürgermeisters allen nützt. Da der Innen- und Sportsenator zudem mit den Hauptthemen des Senats wie Wohnungsbau und Haushalt wenig zu tun hat, waren die ersten neun Monate seiner Amtszeit politisch gesehen relativ ruhig. Neumann hat sich sogar bewusst zu diversen Themen nicht geäußert, bei denen das durchaus möglich oder vielleicht sogar angebracht gewesen wäre - beispielsweise die Räumung des Bauwagenplatzes Zomia oder der lange Streit um die Toilette und die Sicherheit unter der Kersten-Miles-Brücke auf St. Pauli. In beiden Fällen überließ Neumann seinem SPD-Parteifreund, Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber, die Bühne und die Probleme.

Umso gespannter wird nun verfolgt, wie Neumann seine erste große Bewährungsprobe meistert, zumal es gleich ein Doppelschlag ist. Erst gab er die Ablösung von Polizeipräsident Werner Jantosch bekannt, und kurz darauf stürzten die Krawalle beim Fußballturnier in der Alsterdorfer Sporthalle auf ihn ein. Um es vorweg zu nehmen: Wer den Innensenator in diesen Tagen beobachtet, erlebt einen professionellen und nach außen stets extrem beherrschten Politiker, der aber inhaltlich noch auf der Suche nach der richtigen Interpretation seiner neuen Rolle ist.

Oberflächlich betrachtet weist Neumann das klassische Profil eines Hardliners auf: Berufssoldat, Händedruck wie ein Schraubstock, politische Heimat in der eher dem rechten Flügel zugeordneten SPD-Mitte und früher ohne Scheu, die CDU mit markigen Sprüchen rechts zu überholen. Und der 41-Jährige pflegt dieses Bild durchaus. Bei seinen Dutzenden Besuchen bei Feuerwehren, Polizeiwachen oder Sportvereinen fühle er sich sichtlich wohl und rede seine Gastgeber voller Überzeugung schon mal als Kameraden an, berichten Wegbegleiter. Das Schanzenviertel erklärte er rund um das Fest noch konsequenter als die Vorgänger von der CDU zum "Gefahrengebiet".

Auch im Innenausschuss der Bürgerschaft am Dienstagabend entsprach Neumann zunächst diesem Bild. Auskunft über die Umstände der Entlassung von Jantosch, wie von der Opposition gefordert? Abgelehnt! Offiziell war das zwar eine Entscheidung der SPD-Fraktion, aber es wäre naiv zu glauben, der Senator hätte Interesse gehabt, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Über die Krawalle in Alsterdorf sprach der Senator hingegen gern - da hatte er das Heft des Handelns schnell in die Hand genommen und nutzte die Bühne, um sich bedingungslos vor die anwesenden Polizeichefs zu stellen. Dass unter den 90 Verletzten auch viele Unbeteiligte waren, die unter dem Pfefferspray der Beamten gelitten hatten, tue ihm leid, so Neumann, aber: "Die Gewalt ist nicht von unserer Polizei ausgegangen." Die Vehemenz, mit der der SPD-Politiker das Gewaltmonopol des Staates verteidigte und sich nicht erkennbar daran störte, dass die Polizei in ihrem Bericht rassistische Sprüche und Hitlergrüße Lübecker Fans ausgeklammert hatte, wunderte einige Ausschussmitglieder.

Denn viele Weggefährten kennen auch den sensiblen, blitzgescheiten Michael Neumann, der so gar nicht dem Bild des schlichten Hardliners entspricht. Der sich seiner Tränen nicht schämte, als er mit Mitte-Genossen über seinen Aufstieg aus einfachen Verhältnissen zum Senator sprach. Der Bücher schreibt und an der Bundeswehr-Uni gelehrt hat. Schon im Ausschuss zeigte der Senator diese andere Seite, als er davon erzählte, dass er eigentlich mit seiner Tochter zu diesem Turnier gehen wollte und lange mit seiner Frau über die Krawalle diskutiert habe.

Nach dem Fußball-Gipfel am Donnerstag im Rathaus klang Neumann deutlich vorsichtiger. Jetzt legte er auch Wert darauf, dass "Vorwürfe gegenüber der Polizei" aufgeklärt werden müssten. Eher ungewöhnliche Worte für einen Innensenator, die seine Beamten registriert haben dürften. Nicht ausgeschlossen wird, dass es dezente Hinweise aus der SPD gab, den harten Kurs in der Innenpolitik nicht zu übertreiben. Offensichtlicher ist, dass Neumann im Spannungsfeld zwischen bedingungsloser Unterstützung der Polizei und der ebenfalls nötigen Kritikfähigkeit gegenüber den Beamten seinen Kompass noch justiert.

Nächste Standortbestimmung ist am Mittwoch - dann führt der Innensenator den neuen Polizeipräsidenten Wolfgang Kopitzsch (SPD) ins Amt ein.