In kaum einem Bundesland klaffen Arm und Reich so sehr auseinander wie in Hamburg. SPD wirft Senat vor, Daten geschönt zu haben.

Hamburg. Mit Statistiken ist das so eine Sache. Interpretiert man sie zu sehr zum eigenen Vorteil, kann das nach hinten losgehen. So rühmte sich die CDU erst kürzlich mit "großen Erfolgen der Armutsbekämpfung": Der Sozialpolitiker Eckbert von Frankenberg betonte, es ergebe sich ein "bemerkenswert positives Bild". In Hamburg würden nur 13 Prozent der Bevölkerung als armutsgefährdet gelten, was deutlich besser als der Bundesdurchschnitt sei. Der Stadtstaat Bremen liege bei 22 Prozent. Doch abgesehen davon, dass nach dieser Rechnung immerhin 230.000 Menschen in Hamburg in finanziellen Nöten sind, entsprach die Jubelmeldung der CDU anlässlich des "Europäischen Jahres zur Bekämpfung der Armut" offensichtlich nur der halben Wahrheit: Denn in Sachen Armut steht Hamburg nur gut da, wenn man den bundesweiten Einkommensmedian zugrunde legt.

+++ Senator Wersich: "Armut in Hamburg nimmt nicht zu" +++

Betrachtet man jedoch das regionale Einkommensniveau, das ebenfalls vom Statistischen Bundesamt erfasst wird und dem Abendblatt vorliegt, belegt Hamburg hier den vorletzten Platz. Das bedeutet zumindest: In kaum einem anderen Bundesland klaffen Arm und Reich so sehr auseinander wie in Hamburg. SPD-Sozialpolitiker Dirk Kienscherf warf auch Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) gestern in der Bürgerschaft daher eine Täuschung der Öffentlichkeit vor: "Wer trotz sozialer Spaltung und trotz massiver Probleme in Stadtteilen von einem großen Erfolg spricht, nimmt die Realität in dieser Stadt nicht mehr wahr."

Laut dieser Statistik lag der Anteil der von Armut gefährdeten Menschen in Hamburg im Jahr 2008 bei 16,1 Prozent, höher war diese Quote nur in Bremen. Im Jahr 2007 belegte Hamburg sogar mit 16,8 Prozent einen traurigen Spitzenplatz. Laut Definition ist von Armut bedroht, wer dauerhaft unter 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens verdient.

"Der Senator würde durch die unmittelbaren Vergleichszahlen mit realistischeren und unangenehmeren Fakten konfrontiert", sagte SPD-Politiker Kienscherf, der auch auf eine Einschätzung des Statistischen Bundesamtes verwies. Schließlich seien die Lebenskosten im einkommensstarken Hamburg höher. So drohe Stadtteilen im "Armutsgürtel", von Jenfeld und Billstedt im Osten über Veddel und Wilhelmsburg bis nach Harburg im Süden, eine soziale "Abkopplung". CDU-Politiker Frankenberg wollte davon auch gestern in der Bürgerschaft nichts wissen: "Wer behauptet, wir haben eine soziale Spaltung in Hamburg, geht an den Realitäten vorbei."

Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) bezeichnete die Rechenweise, die Löhne in Hamburg als Maßstab zu nehmen, als ungeeignet. "In einem florierenden Stadtstaat gibt es einen höheren relativen Armutsbegriff als in einer Stadt, die am Boden liegt". Mit 2,7 Milliarden Euro jährlich stelle Hamburg immense Ressourcen zur Vermeidung von Armut zur Verfügung. "Es ist unsere Aufgabe, diese Maßnahmen wirksamer zu machen." Transferleistungen führten häufig dazu, Armut zu verfestigen. "Unter dem Druck der Linkspartei entdeckten die Sozialdemokraten aber wieder das sozialstaatliche Füllhorn", sagte Wersich. Man dürfe nicht wie in Berlin sagen: "Arm, aber sexy", sondern "Hamburg ist nicht nur schön, sondern auch besser", so der Senator.

"Es geht hier nicht um Selbstzufriedenheit", konterte SPD-Politiker Dirk Kienscherf. "Sondern um den ehrlichen Umgang mit Daten." So sei es unredlich, eine der beiden "entscheidenden Kennziffern" nicht zu nennen. "Dann kann nämlich von einem positiven Trend keine Rede sein", sagte Kienscherf: Das Ziel des Europäischen Aktionsjahres gegen Armut sei eben nicht, geschönte Bilanzen vorzulegen, sondern das "Bewusstsein" zu schärfen. Die EU stellt aus diesem Grund einen Etat in Höhe von 18 Millionen Euro zur Aufklärung zur Verfügung.

"Hamburg schneidet nur auf den ersten Blick gut ab", bekräftigte auch Wolfgang Joithe-von Krosigk (Linke). "Wenn der Senat in seiner Rechnung nicht mal berücksichtigt, dass Hamburgs Mieten bundesweit zu den höchsten zählen, dann frage ich mich, welches Geschwätz wir uns hier anhören."

GAL-Sozialpolitiker Lieven hielt die Entscheidung seines CDU-Kollegen, nur eine der statistischen Kennziffern zu nennen, offenbar für unbedenklich: "Hamburg mit dem Bund zu vergleichen ist ein sehr geeigneter Faktor, um die Armutsgefährdungsquote zu erfassen." Schließlich sei die Kaufkraft dieselbe: "Ob in einem Discounter in Hamburg oder in Süddeutschland."