Oberlandesgericht definiert den Begriff “Besitz“ neu. Die Voraussetzungen für die Verfolgung des Besitzes der Bilder sind nun verschärft.

Hamburg. Schluss, aus, vorbei - das juristische Nadelöhr für Nutzer, die sich im Internet Kinderpornos anschauen, ist dicht: Als erstes deutsches Obergericht hat gestern der zweite Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts entschieden: Schon das Betrachten kinderpornographischer Internet-Seiten ist strafbar, sofern der Nutzer solche Inhalte bewusst und gewollt aufruft.

Bislang war eine Verurteilung nur möglich, wenn dem Beschuldigten der vorsätzliche Besitz einschlägiger Dateien nachzuweisen war. Wer die Schmuddelbilder- und filmchen auf statischen Speichermedien wie Festplatten oder DVDs hortet, erfüllt den Straftatbestand nach § 184 b, Absatz 4, des Strafgesetzbuches und muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren rechnen. Die spannende Rechtsfrage: Ist selbst der kurzfristige Gebrauch der Dateien schon dem Besitz gleichzustellen?

Ja, entschied nun das Oberlandesgericht. Ob die Videos und Bilder bewusst gespeichert oder flüchtig angeschaut werden, ist nach Auffassung des Senats irrelevant. Kinderschutzverbände begrüßen das Grundsatzurteil. "Je härter man gegen Kinderpornografie vorgeht, umso besser", sagt der Jugendmedienschutzbeauftragte des Deutschen Kinderschutzbundes, Ekkehard Mutschler. Seit Jahren laufen Verbände Sturm gegen die rechtliche Einordnung des Herunterladens von Kinderpornos als schlichtes Vergehen. Die Fälle landeten deshalb vor den Amts- und nicht vor den Landgerichten. Nun sei es an dem Gesetzgeber, das Strafmaß zu erhöhen, sagte der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann. Für Michael Kappe, Sprecher der Kinderschutzorganisation CareChild, steht fest: "Bislang kamen viele ungeschoren davon, weil sie die Dateien nicht gespeichert haben. Dieses Schlupfloch ist geschlossen." Nun heißt es: Betrachten gleich Besitzen. Selbst wenn die Dateien nur kurzfristig im Arbeitsspeicher oder dem Internet-Cache abgelegt sind, übt der Internet-Nutzer nach Auffassung des Senats eine "Herrschaftsmacht" aus: Weil er die Dateien nach Aufruf speichern, kopieren oder verbreiten könne. Wie lange sich solche Dateien auf einem Rechner befinden, ist nach Überzeugung des Senats unerheblich. Dies ergebe sich "aus der dem Medium Internet typischen Schnelligkeit".

Das OLG hob damit ein Urteil des Amtsgerichts Harburg vom Januar 2009 auf. In erster Instanz war Christian F. vom Vorwurf, sich in 16 Fällen in den Besitz von Kinderpornos gebracht zu haben, freigesprochen worden. Die 19 Bilder und Videos, die Kinder im Alter zwischen vier und elf Jahren zeigten, hatte er gezielt im Internet gesucht, allerdings nicht abgespeichert. Stattdessen lagen die Dateien im Internet-Cache, wo sie lediglich temporär zwischengespeichert werden. Weil dies dem Angeklagten nicht bewusst gewesen sei, kam er ungeschoren davon: Es fehle an einem Besitz der Dateien, lautete die Begründung des Amtsgerichts.

Ausdrücklich bezog indes das OLG in sein Urteil die im Internet-Zeitalter geänderten Vermarktungsformen für kinderpornographische Schriften ein. Noch vor gut 20 Jahren sei der Besitzbegriff an "körperlichen Gegenständen" wie Videokassetten entwickelt worden. Längst profitierten kommerzielle Anbieter von Kinderpornos allein vom Aufruf der Internet-Seiten. Um den Willen des Gesetzgebers umzusetzen, den Markt für Kinderpornos trocken zu legen, sei indes ein zeitgemäßer "spezifischer Besitzbegriff" nötig. Eine erweiternde Auslegung erlaube die Rechtsprechung.

Gegen das Harburger Urteil hatte die Hamburger Staatsanwaltschaft Sprungrevision eingelegt. Staatsanwaltschafts-Sprecher Wilhelm Möllers: "Das Urteil gibt uns schon bei der Strafverfolgung mehr Rechtssicherheit."