200 Besucher waren beim Vortrag des Geistlichen Seine Heiligkeit der 12. Gyalwang Drukpa im Curio-Haus in Hamburg.

Hamburg. Seine Heiligkeit lässt sogar das akademische Viertel verstreichen. Die 200 Zuhörer warten trotzdem geduldig. Ist ja auch schön im Vortragssaal des altehrwürdigen Curio-Hauses, das zwei Tage lang ganz im Zeichen des hohen Besuchs stand. Seine Heiligkeit der 12. Gyalwang Drukpa, der eigentlich Jigme Pema Wangchen heißt und die zwölfte Inkarnation von Tsangpa Gyare ist, kommt also zu spät.

Zeit genug, fernöstlichen Klängen zu lauschen und mental Fahrt aufzunehmen. Ganz langsam. Ruhig auszuatmen und ruhig ein; draußen ist es kalt, klirrend kalt. Der Frost tropft von schweren Stiefeln, viele haben die Augen geschlossen, und dann ist er da. Schreitet mit seinem Gewand die Reihen ab, in denen alle emporgesprungen sind. Zack, ganz schnell ging das. Manche beugen den Kopf dezent nach vorne und legen die Handflächen aufeinander. Seine Heiligkeit kommt in Begleitung anderer Mönche und eines Dolmetschers, das Defilee ist wie ein sanfter Windhauch, dann sitzt der Abgesandte der tibetisch-buddhistischen Lehre auch schon in seinem Sessel. In der Sprache seiner Religion ist es eine Belehrung, die er den Hamburger Buddhisten und Dalai-Lama-Fans angedeihen lassen will, Thema: "Was ist das Leben wert?" Seine Heiligkeit will Führer sein auf dem Weg der Erleuchtung, und während er es sich bequem macht (seine Diener sitzen deutlich unkomfortabler, unter dem Stoff ihres Gewandes liegt nur ein Kissen), umspielt sein Gesicht ein Grinsen.

Es gefällt ihm, mit einer Geste, die eine Mischung aus Wohlwollen und Großzügigkeit ist, sein Auditorium dazu zu bewegen, es sich ebenfalls bequem zu machen. Der imposante Kronleuchter ist heruntergedimmt, aber die Veranstaltungstechniker leisten mit ihrem Gerät ganze Arbeit und leuchten den Abkömmling des Drukpa-Ordens aus. Buddhafiguren schmücken den Raum. Die schönste steht direkt über der Tür mit dem Schild "Notausgang", Seine Heiligkeit hebt an zu sprechen und taucht ein in die buddhistische Philosophie, die in Deutschland spätestens seit Hermann Hesse viele Fans hat. In perfektem Englisch belehrt Seine Heiligkeit der 12. Gyalwang Drukpa seine Zuhörer darüber, wie jedermann das Glück finden kann - ohne den Begriff "Glück" oft zu gebrauchen. "Die Zuflucht", sagt der Geistliche, "bildet eine Einheit aus den Aspekten des Zeremoniells, der Praxis und der Philosophie". Die Blöcke sind gezückt, andächtig lauschen die Hamburger, sie notieren eifrig. Und während die Buchstaben eilig übers Papier fließen, kommt auch der Meister in Fahrt.

"Unsere Zuflucht ist unsere eigene Klugheit, sie leitet uns an", lässt der schlaue Asiate verlauten. Zuflucht verstanden als spirituelle Heimat, als religiöse Erweckung, in der Buddha Pate steht. Der, das ist Seiner Heiligkeit wichtig, formuliert in seiner Lehre nur eine Gebrauchsanweisung zum Glücklichsein, "das Steuerrad haben wir selbst in der Hand". Überhaupt sei der Buddhismus eine freie Religion und Buddha "kein Schöpfungsgott": Die Antworten müssen wir selbst finden. In einer Welt, in der alles mit allem zusammenhängt, in einer Welt, die relativ ist: weil für den einen der Raum im Curio-Haus mächtig ist, während für andere nur "der riesige Versammlungsort in Berlin" groß erscheint. Das Schmunzeln der Hanseaten - der Rivalität Hamburgs und Berlins wegen - muss der buddhistische Lehrer nicht verstehen, wohl aber die Erwartungshaltung des Publikums. Denn vom Buddhismus erwarten sich die meisten ja nichts weniger als das Erlangen eines Seelenheils, das sie in der christlich-abendländischen Tradition nicht finden können - wenn sie überhaupt noch suchen. "Wenn wir verstehen, dass alles relativ ist, können wir aus uns selbst glücklich werden", sagt Seine Heiligkeit also, und wer genau hinsieht, der kann genau jetzt einen matten Glanz in den Gesichtern mancher erkennen.

Seine Gedanken klingen verführerisch einfach - was dem Buddhismus ja oft genug zum Vorwurf gemacht wird. Wer ihnen Böses will, hat die Weisheiten der Mönche auch schon mal als seicht-platte Kalendersprüche abgetan. Wir leben in einer ohnehin schon viel zu komplizierten Welt, dabei ist alles doch so einfach, sagt der Hamburg-Reisende in Sachen spiritueller Erbauung an einer Stelle - als wolle er den Kritikern die Stirn bieten.

Moralinsauer ist Seine Heiligkeit übrigens an keiner Stelle, was er mit Vehemenz sowieso für jegliche religiöse Praxis einfordert. Was einen nicht verwundert, wenn man die bisweilen zutage tretende und sympathische Komik betrachtet, die sich aus der würdevollen Zelebrierung des buddhistischen Vortrags und gleichzeitigen Nonchalance Seiner Heiligkeit ergibt. Der feixt gerne mal spitzbübisch, und er weiß auch, was beim Publikum ankommt: Wellness für die Seele, dargereicht in kleinen Dosen. "Ich weiß nicht, warum viele so mürrisch beten - ich habe das noch nie jemandem beigebracht. Der Weg des Nichtlachens ist ein Irrweg!" Was allenthalben goutiert wird, klingt ja auch wie die oberste Regel aller Gestressten: die Anforderungen des Alltags einfach weglachen. Weil Seine Heiligkeit Fragen mag, kommen die Hamburger seinem Wunsch gerne nach. Die Quintessenz seiner Aussagen: Wir müssen uns stets verhalten, wie es Situation und Vernunft erfordern. Das klingt dann schon sehr nach Kant. 43 Euro kostet ein Ticket für die Buddhismus-Lehrstunde. Ein stolzer Preis.

Aber, wer mag es bestreiten, wenn es um die Erleuchtung geht, sollte man tunlichst nicht geizen.