Schwarz-Grün und offenbar sogar die SPD wollen heute beide Lesungen zum Schulgesetz durchbringen. Die Eile stößt bei Verfassungsrechtlern auf Skepsis. Ein Volksentscheid kann die Primarschule auch später noch kippen.

Der Plan der schwarz-grünen Koalition, die umstrittene Schulreform heute innerhalb einer Sitzung von der Bürgerschaft beschließen zu lassen, stößt bei Experten auf Skepsis. "Ich sehe das verfassungspolitisch kritisch", sagte Arndt Schmehl, Professor für öffentliches Recht an der Universität Hamburg, dem Abendblatt. "Bei einer Frage von derart großem öffentlichen Interesse wäre es angemessen, dass das Parlament vier Wochen Zeit bekommt, sich damit zu beschäftigen." Ursprünglich hatte die Koalition auch vorgehabt, die obligatorische zweite Lesung des neuen Schulgesetzes nicht heute, sondern erst in die kommenden Bürgerschaftssitzung am 4. November abzuhalten, sich dann aber für die schnelle Lösung entschieden.

"Ich verstehe diesen Schweinsgalopp nicht", sagt der Verfassungsrechtler Professor Ulrich Karpen, früher selbst für die CDU Mitglied der Bürgerschaft. Im Gegensatz zu drängenden Entscheidungen wie bei der Rettung von Hapag Lloyd sei die "Eilbedürftigkeit" nicht gegeben. Damit, dass die Reform ohne konkreten Finanzierungsrahmen verabschiedet werde, sei er "nicht einverstanden", sagt Karpen.

Der Hintergrund: Die Geschäftsordnung der Bürgerschaft schreibt bei Gesetzesvorlagen zwei Lesungen (inklusive Beratung und Abstimmung) vor, zwischen denen mindestens sechs Tage liegen müssen. Wenn der Senat zustimmt und nicht mindestens ein Fünftel der 121 Abgeordneten Widerspruch erhebt, kann die zweite Lesung auch "zu einem früheren Zeitpunkt" stattfinden. In der Praxis hat es sich aber etabliert, dass meistens beide Lesungen direkt hintereinander stattfinden. Das Vorgehen von CDU und GAL wäre also nicht ungewöhnlich - wenn sie nicht zunächst explizit eine zweite Lesung für den 4. November angekündigt hätten.

"Das haben wir nur gemacht, weil wir davon ausgegangen sind, dass die SPD einer sofortigen zweiten Lesung nicht zustimmen wird", sagt CDU-Fraktionssprecher Hein von Schassen. Da die Sozialdemokraten dies aber trotz ihrer Ablehnung der Reform tun wollen, spreche nichts gegen die gängige Praxis, beide Abstimmungen heute durchzuführen. Eines stehe aber fest: Sollte es Widerspruch geben, werde die zweite Lesung definitiv am 4. November und nicht etwa bereits morgen, am zweiten Tag der Doppelsitzung, stattfinden.

Pikant: Diese Möglichkeit hatten CDU und GAL erst im Juli durch eine Änderung der Geschäftsordnung geschaffen. Anlass war der Beschluss zum Bau der HafenCity-Universität (HCU). Seinerzeit hatte die SPD aus Ärger über die aus ihrer Sicht unsolide Finanzierung die zweite Lesung verweigert und so, weil danach Sommerpause war, das ganze Projekt verzögert. Schwarz-Grün setzte daraufhin durch, dass bei Ablehnung einer sofortigen zweiten Lesung diese am zweiten Tag einer Doppelsitzung erneut auf die Tagesordnung kommen kann.

Dass man von dieser Neuregelung keinen Gebrauch machen will, lässt Raum für Spekulationen. "Wenn die Opposition eine spätere zweite Lesung will, machen wir das eben. Da bricht uns kein Zacken aus der Krone", sagte Bürgermeister Ole von Beust gestern auf dem CDU-Parteitag. Schwarz-Grün dürfte es aber vor allem darum gehen, den Reformgegnern der Initiative "Wir wollen lernen" Wind aus den Segeln zu nehmen. Deren Bürgerbegehren läuft am 28. Oktober an und könnte unter dem Eindruck leiden, die Reform sei unabänderbar beschlossen - dabei kann ein späterer Volksentscheid die Reform sehr wohl noch scheitern lassen.

Die SPD hingegen ist zerrissen: Das Ziel des längeren gemeinsamen Lernens teilt sie grundsätzlich, lehnt aber einzelne Punkte der Reform ab und will dem zentralen Projekt von Schwarz-Grün daher nicht zustimmen. Das kritisieren mehrere Abgeordnete - und diese innerparteilichen Gräben könnten in den vier Wochen zwischen zwei Abstimmungen offener zu Tage treten.