Manuel Sarrazin (GAL) hat zwar kaum Chancen auf das Direktmandat, in den Bundestag kommt der 27-Jährige wohl trotzdem wieder.

Hamburg. Der Blaumann ist grün. Etwas verblichen zwar, aber immer noch eindeutig eher grün als blau. "Ein Grünmann", sagt Pia Kohorst, die Trägerin der Latzhose. Sie arbeitet im Berliner Büro des Bundestagesabgeordneten Manuel Sarrazin und hat die Farbe ihrer Hose zur politischen Botschaft erklärt. Sonst noch eine? "Man müsste das durchgendern", sagt ein Parteikollege, das ist Neudeutsch für Korrektheit in Geschlechterfragen. Also "Grünfrau"? Diskussionen heben an, Grüne in ihrem Element.

Die Stimmung ist gut in Sarrazins Team, nicht nur an diesem Nachmittag auf dem Harburger Rathausplatz. Kein Wunder: Die politische Karriere des Studenten kannte bislang nur einen Weg: steil nach oben. Mit 18 Mitglied im Kreisvorstand, mit 19 Kreisvorsitzender, mit 22 der jüngste jemals in die Bürgerschaft gewählte Abgeordnete und heute, mit 27, das zweitjüngste Mitglied des deutschen Bundestags. Dabei soll es mindestens bleiben. Das Direktmandat ist wohl illusorisch, aber Sarrazin steht auf Platz zwei der Landesliste - hinter Krista Sager, die war früher mal Zweite Bürgermeisterin. Das wäre doch ein Ziel.

"Ich war immer schon etwas öko", hatte Sarrazin am Morgen bei einer Kandidatendiskussion vor Oberstufenschülern in Allermöhe gesagt. "Als ich noch jünger war als ihr jetzt, habe ich Unterschriften gegen den Walfang gesammelt und an die japanische Regierung geschickt." Als er sein Alter nennt, wird getuschelt. "Der ist erst 27?" Das lichte Haar und ein paar Pfund mehr als zu Schulzeiten lassen ihn älter wirken. Dass er als Politiker schon ziemlich erfahren ist, dass er schon mit Anfang 20 Floskeln draufhatte wie ein Generalsekretär, das verbirgt er an diesem nebeligen Morgen gut. Er spricht die Schüler direkt an, er sagt "Tacken" statt Euro, er heimst donnernden Applaus für Brandreden gegen Atomkraft und die NPD ein, und als ein Jugendlicher im weißen Schlabber-T-Shirt und Jogginghose die Politiker nach ihrer Haltung zum Wahlrecht mit 16 fragt, schnappt Sarrazin sich das Mikro und sagt: "Ich bin sehr dafür!"

Es ist eine seltsame Fügung, dass ausgerechnet der Wahlkreis Harburg-Bergedorf, sonst keine Hochburg der Öko-Partei, einen grünen Bundestagsabgeordneten hat. Denn kein anderer Wahlkreis in Hamburg ist so "grün". Von den Obstanbaugebieten im Alten Land über die Fischbeker Heide und die Harburger Berge bis hin zu den Vier- und Marschlanden, dem riesigen Gemüsebeet der Stadt, liegen "grüne" Themen auf der Straße. Wer hier Wahlkampf macht, muss auch damit rechnen, dass er von Landwirten auf die Milchquote angesprochen wird.

Oder halt auf Krümmel. Atomkraft, auch so ein grünes Thema. Aber eines, bei dem auch Mark Roach punktet. Der Gewerkschafter, der für die Linke kandidiert, wohnt in Neuallermöhe- West, näher dran an dem Pannenreaktor als alle anderen Kandidaten. Wenn er von seinen drei Töchtern erzählt und davon, wie Kinder nach Tschernobyl nicht draußen im Sand spielen durften, dass ihm das "emotional nahegehe", wirkt er authentisch.

Krümmel ist an diesem Morgen ein großes Thema, aber es steht auch sinnbildlich für das Problem des Wahlkreises. Zusammengesetzt aus den Bezirken Harburg und Bergedorf und ergänzt durch Wilhelmsburg ist er ein schwer beherrschbares Kunstgebilde. In Bergedorf ist Krümmel das Thema, in Neugraben eher das Kohlekraftwerk Moorburg und der Bahnlärm und in Wilhelmsburg die Pläne für eine neue Autobahn. "Das ist ein Problem für alle Kandidaten", sagt Roach.

Wolfgang Müller-Kallweit von der CDU und Kurt Duwe von der FDP kennen das. Was Roach in Harburg nicht hat, fehlt ihnen in Bergedorf - Bekanntheit. "Da hat Uli Klose natürlich einen Vorteil", sagt Müller-Kallweit. Dass der frühere Bürgermeister den Wahlkreis wie stets seit 1983 gewinnt, will Müller-Kallweit aber nicht als Automatismus akzeptieren. "Ich bin sehr zuversichtlich", sagt der Bürgerschaftsabgeordnete.

Die Worte stehen in merkwürdigem Kontrast zu dem ungemütlichen Wind, der durch die Neugrabener Marktpassage pfeift. Seine Pfeife kommt nicht recht in Gang, sechs Streichhölzer liegen schon auf dem Boden, der CDU-Schirm weht fast weg, das Interesse der Passanten ist mäßig. Auch am Imbiss gegenüber, "Angebot des Monats: Schweinshaxe 4 Euro", läuft's noch nicht so recht. Immerhin kommt Müller-Kallweits Frau Theres vorbei, die vier Söhne sind in der Schule und im Kindergarten. "Ich sehe ihn ja sonst kaum, ist halt Wahlkampf", sagt sie. Das muss auch Norbert Schöps von der SPD erkennen. "Kommst du am Sonnabend zum Skat?", will er wissen, aber Müller-Kallweit kann nicht - Wahlkampf. Er geht zum SPD-Skat? "Warum nicht", sagt der Rechtsanwalt und erzählt von seinem christlichen Menschenbild, dass ihm Respekt vor Andersdenkenden wichtig sei und die Familien die größten Leistungsträger der Gesellschaft. Für seinen Einsatz für ein "steuerliches Familiensplitting" hatte er von den Schülern in Allermöhe sogar höflich Applaus bekommen. Mitgerissen hat er sie nicht gerade.

Hans-Ulrich Klose muss niemanden mehr mitreißen, er muss einfach da sein. Wie an diesem Abend in Wilhelmsburg. Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Metin Hakverdi lädt zum "Bürofest", das klingt furchtbar öde. Aber die Menschen strömen herbei, junge Leute mit Kindern, Ältere mit Hörgerät, Deutsche, Türken. Es ist ein milder Abend, die Menschen stehen auf dem Bürgersteig, scharen sich um ihren "Uli", er ist hier einer von ihnen. 16 Jahre, von 1983 bis 1999, hat Klose in Wilhelmsburg gewohnt, ist noch Mitglied im örtlichen SPD-Distrikt. "Das ist hier wie ein Klassentreffen", sagt der 72-Jährige und räumt ein: "Diesen Teil des Wahlkreises kenne ich am besten." Kein Wunder: Es geht um die geplante Autobahn, die kaum einer will, Soziales, Stadtentwicklung - klassische SPD-Themen. Nebenan, bei book & byte, verkauft die Arbeitsloseninitiative gebrauchte Taschenbücher für einen Euro.

Auch große Teile Wilhelmsburgs sind viel ländlicher, als die meisten Hamburger ahnen. Insofern passt die Elbinsel gut in den "grünen" Wahlkreis Harburg-Bergedorf. Aber hier an der Veringstraße, mitten im Reiherstiegviertel, passt das Bild nicht. Hier ist Klose-Terrain, hier ist der Wahlkreis tiefrot.