4400 Polizisten schützen die Demonstration der 700 Neonazis. Nicht alle Gegner protestieren friedlich. Autonome greifen Beamte an

Wandsbek. Auf einmal schallt die Stimme der US-Sängerin Aretha Franklin über die Kreuzung Pappelallee, Ecke Hammer Straße. Das Lied "Think". Franklin singt darin über Menschen, die einander brauchen, über das Nachdenken, bevor man etwas tut oder sagt, und sie singt über die Freiheit. Auf dem Platz stehen Neonazis, viele mit Kapuzenpullover und Sonnenbrille, schwarz gekleidet. Und sie halten Spruchbänder in die Luft wie: "Deutscher kann nur sein, wer deutscher Abstammung ist."

Ihre Parolen beißen sich mit dem Sound von Franklin. Die Gegendemonstranten haben ihren Lautsprecherwagen nur 30 Meter entfernt vom Kundgebungsort der Neonazis aufgefahren. Es ist kurz nach 15 Uhr am Sonnabend, und die von der Polizei geschätzten 700 Rechtsextremisten starten ihre Demonstration drei Stunden später als geplant. "Nationaler Sozialismus jetzt", skandieren sie.

Entlang der Route der Neonazis gibt es friedlichen Protest, Anwohner hängen Spruchbänder auf ihren Balkonen auf. "Nazis sind eine Schande" steht dort. Auch die meisten Sitzblockaden verlaufen friedlich, wird die Polizei später erklären. Doch entlang der Strecke kommt es immer wieder auch zu Übergriffen gewalttätiger Gegendemonstranten: Flaschen, Steine und Eier fliegen in Richtung Neonazis, aber vor allem auch in Richtung Polizisten, die mit mehreren Tausend Beamten den Aufmarsch der Rechtsextremen schützen. An vielen Stellen des Demonstrationszugs durch Wandsbek stehen Neonazis und Gegendemonstranten nur wenige Meter auseinander.

Die Polizei spricht von insgesamt rund 3500 Teilnehmern an verschiedenen Orten. Das Hamburger Bündnis gegen rechts schätzt die Zahl auf 6000 Demonstranten. Etwa 1000 von ihnen waren laut Polizei gewaltbereit. Anwohner am Eilbeker Weg berichten von Vermummten, die durch ihre Gärten laufen, Steine aus Fußwegen reißen und Barrikaden errichten. Sie ziehen Bauschutt auf die Straße und zünden mehrere Mülltonnen an. Bauwagen sind umgestürzt, Fahrradständer aus dem Boden gerissen. Um kurz nach 11 Uhr riecht die Luft am Versammlungsort der Neonazis verbrannt. Gerade einmal ein Dutzend versammeln sich zu dieser Zeit um die Organisatoren Christian Worch und Thomas Wulff.

Knapp eine Stunde vor dem geplanten Start der Neonazi-Demo laufen bereits drei Gegendemonstrationen rund um die Marschroute. Als Teilnehmer eines von Andreas Blechschmidt angemeldeten Aufzugs an der Wagnerstraße Polizisten mit Flaschen und Steinen bewerfen, erklärt der Veranstalter die Versammlung für beendet. Daraufhin zerstreuen sich bis zu 700 Demonstranten in alle Richtungen, mehrere Hundert kesselt die Polizei ein. Sie werden in Gewahrsam genommen und kommen erst Stunden später wieder frei.

Parallel zu den Randalierern ziehen etwa 2000 Menschen friedlich in einem Protestmarsch durch Blumenau und Auenstraße bis an den Eilbeker Weg, wo sie später an der Fichtestraße von der Polizei gestoppt werden. Auf der Kreuzung Pappelallee, wo ein Dutzend Neonazis noch auf Teilnehmer sowohl aus Westdeutschland als auch aus Ostdeutschland wartet, protestieren acht Menschen mit einer Sitzblockade gegen den Aufmarsch. "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen", sagt eine Frau. Sie wolle ein Zeichen setzen. Kurz darauf werden sie und die anderen von Polizisten weggetragen.

Erst nach 15 Uhr setzt sich der Zug der Neonazis in Bewegung - nicht wie geplant über den Eilbeker Weg, sondern über eine Ersatzroute entlang der Hasselbrookstraße. Von dem Taktikwechsel überrascht, dauert es, bis Gegendemonstranten an der neuen Route auftauchen. Als sich der Neonazi-Aufzug der Kreuzung von Hammer Steindamm und Hasselbrookstraße nähert, warten dort jedoch bereits 200 Protestler, unter ihnen auch einige Vermummte. Südlich des Jacobiparks löst sich eine Gruppe Neonazis aus ihrem Block, will Gegendemonstranten angreifen. Die Polizei geht dazwischen, liefert sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit Autonomen im Park. Der Neonazi-Aufmarsch ist erheblich in die Länge gezogen, die Polizei hat Mühe, die Seiten zu besetzen. Zwei Wasserwerfer fahren vor, um die Strecke zu räumen. Doch nach mehreren Blockaden von Gegnern der Neonazi-Demo muss der Aufzug erneut die Route ändern und biegt in den Peterskampweg ein. Wieder geht es nicht vor und nicht zurück, eine halbe Stunde lang. In südlicher Richtung versammeln sich etwa 1500 Gegendemonstranten auf der Kreuzung zur Marienthaler Straße. Ihre Sitzblockade versperrt den Weg. Autos samt ihren Fahrern stecken in der Menschenmenge fest. Dann geht die Polizei hart zur Sache, versucht die Blockade mit Wasserwerfern, Pfefferspray, Schlagstöcken und Pferden auseinanderzutreiben. Doch die Zahl der Protestler ist hoch. Einige Demonstranten werfen Holzlatten, Böller, Eier und Flaschen auf die Beamten. Andere rufen im Chor: "Keine Flaschen, keine Flaschen." Szenen einer teilweise undurchsichtigen Situation. Ein Zugführer hilft einem verletzten Pärchen, spült ihm die Augen aus - die beiden hatten eine volle Ladung Pfefferspray abbekommen. "Glauben Sie, wir haben Lust auf diesen Scheiß? Wenn die Rechtsradikalen verboten wären, dann hätten wir doch diese ganze Problematik gar nicht", sagt der Polizist.

Erst nach einer halben Stunde kämpft die Polizei eine Gasse an der Kreuzung frei, damit die Neonazis weitermarschieren können. Es ist die heftigste Auseinandersetzung zwischen Polizei und Gegnern der Neonazis während der Demonstration. Danach kommt der Aufmarsch schnell voran. "Dass die Nazis marschieren dürfen, ist eine Beerdigung des Grundgesetzes", sagt ein friedlicher Teilnehmer der Gegendemo. Eine junge Frau sagt: "Ich bin Türkin, habe die deutsche Staatsbürgerschaft und liebe Hamburg. Die Nazis gehören die Elbe heruntergespült." Anwohner zeigten sich geschockt über die Sprüche der Rechtsextremen, andere waren wütend über die Gewalt unter den Gegendemonstranten.

Bei der Räumung der Sitzblockaden gingen einzelne Polizisten auch hart gegen friedliche Demonstranten vor, das belegen Augenzeugenberichte. Polizisten stoßen eine ältere Frau in der Griesstraße über einen Poller. Sie stürzt zu Boden und schlägt mit dem Hinterkopf auf den Asphalt. Demonstranten helfen ihr. Auch 38 Polizisten werden verletzt.

Das Hamburger Bündnis gegen rechts, das die Demonstrationen in Wandsbek organisierte, kritisiert das Vorgehen der Polizei. Sie habe "den Neonazi-Aufmarsch unter Einsatz von Pfefferspray, Wasserwerfern, Schlagstöcken durchgesetzt", sagte Bündnissprecher Olaf Harms. Die Polizei habe die gesetzlichen Möglichkeiten für ein Verbot der Ersatzroute nicht genutzt.

"Der Einsatz war vom Grundsatz her erfolgreich", sagte dagegen der Sprecher der Polizei, Mirko Streiber. Gemessen an der Zahl der Gewaltbereiten habe es vergleichsweise wenig Ausschreitungen gegeben. Das Versammlungsrecht sei gewährleistet worden. Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch freute sich über friedlichen Protest. Er bedauerte aber, dass "Gewalttäter den Protest für Ausschreitungen ausgenutzt haben, Sachbeschädigungen verübten und viele Polizisten verletzt haben. Dies ist durch nichts zu rechtfertigen." Nachdem die Blockade an der Marienthaler Straße aufgelöst wird, kommt der Aufmarsch schnell voran. Die Polizei verkürzt die Route, am Bahnhof Hasselbrook ist Schluss. In S-Bahnen eskortieren Beamte die Neonazis zum Hauptbahnhof. In Wandsbek rückt die Straßenreinigung an.