Paukenschlag: Dora Heyenn, die Fraktionschefin der Linken in der Hamburger Bürgerschaft, kandidiert als Bundesvorsitzende ihrer Partei.

Hamburg/Berlin. Wer Dora Heyenn, die temperamentvolle Fraktionschefin der Linken in der Bürgerschaft, kennt, der weiß, dass sie es ernst meint: Trotzdem war ihre Ankündigung am späten Freitagnachmittag, für das Amt der Bundesvorsitzenden ihrer zutiefst zerstrittenen Partei kandidieren zu wollen, ein Paukenschlag in der vorpfingstlichen Ruhe.

"Es gibt Situationen, in denen man nicht Nein sagen kann", erklärte die 63 Jahre alte Lehrerin im Gespräch mit dem Abendblatt. "Wenn eine Partei so leidet wie die Linke jetzt, dann muss man sehen, wie man helfen kann." Sie sei von vielen Seiten angesprochen worden, ob sie als Bundesvorsitzende kandidieren wolle. "Ein halbes Jahr lang habe ich Nein gesagt", so Heyenn.

Die Zeit drängt: Bereits am 2. Juni will die Linke auf dem Parteitag in Göttingen ihre Führungsspitze neu wählen. Die Partei, die aus PDS und WASG hervorgegangen ist, ist wegen des offen ausgetragenen Führungskonfliktes praktisch gelähmt. Zuletzt hatte Ex-Parteichef Oskar Lafontaine, der sein Comeback plante, entnervt das Handtuch geworfen, weil der stellvertretende Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch seine Bewerbung aufrecht erhielt. Inzwischen gibt es mit den Bundestagsabgeordneten Katja Kipping und Sabine Zimmermann sowie der nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Katharina Schwabedissen drei weitere Bewerberinnen. Die Linken-Satzung schreibt eine Doppelspitze mit mindestens einer Frau vor.

Heyenn sieht als Vorzug ihrer Kandidatur ihre Unabhängigkeit an. "Ich gehöre keiner der Strömungen innerhalb der Partei an und bin daher in die Grabenkämpfe nicht eingebunden", sagte die Frau, die die SPD 1999 wegen der Politik des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder verlassen hat. Ziel ihrer Bewerbung um das Spitzenamt ist es, die bislang verfeindeten Parteiflügel einzubinden. "Wir müssen Pluralität ausleben", sagt die resolute Pädagogin und kommt gleich mit einem Beispiel aus der Schule. "Ich sage meinen Fünftklässlern immer, dass man nicht jeden heiraten kann, aber dass man mit jedem zusammenarbeiten können muss."

+++ Hamburgerin will Chefin der Linkspartei werden +++

Heyenn führte die Linke 2008 und 2011 als Spitzenkandidatin in die Bürgerschaft. Seit 2008 ist sie Fraktionschefin. Heyenn hat wesentlichen Anteil daran, dass die Arbeit der Linken im Parlament über die Fraktionsgrenzen hinaus Anerkennung findet. Ihre Sachkenntnis als Bildungspolitikerin bestreitet ohnehin niemand. Heyenn ist es auch gelungen, die Bürgerschaftsfraktion von den zahllosen und bisweilen kuriosen Auseinandersetzungen freizuhalten, die den Landesverband durchaus kennzeichnen.

Heyenn gilt als humorvoll-direkte Rednerin in der Bürgerschaft. Unter ihrer Leitung fährt die Linken-Fraktion einen insgesamt pragmatischen Kurs, der nicht ausschließt, gelegentlich mit der SPD-Mehrheitsfraktion zu stimmen. Das war zum Beispiel beim Ankauf weiterer Anteile der Reederei Hapag-Lloyd durch die Stadt der Fall.

Sollte sie in Göttingen in das Spitzenamt gewählt werden, will Heyenn beruflich kürzer treten. "Ich werde dann schweren Herzens das Unterrichten aufgeben müssen", sagte die Lehrern, die mit reduzierter Stundenzahl an der Gyula-Trebitsch-Stadtteilschule in Tonndorf Biologie und Chemie unterrichtet. Auch bei ihren Hobbys Töpfern, Nähen und Kochen werde sie Abstriche machen müssen.

Die Sozialdemokratie hat das politische Leben Heyenns am längsten geprägt: Sie war 28 Jahre lang Mitglied der SPD und von 1990 bis 1992 Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein. Heyenn gehörte zeitweilig dem dortigen SPD-Landesvorstand an. Die auf Fehmarn geborene Politikerin war mit dem 2009 gestorbenen langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten Günther Heyenn verheiratet, der auch nach ihrem Austritt in der Partei geblieben war.