Was war der Gund? Drei Theorien, warum SPD- und CDU-Abgeordnete dem neuen Präsidenten des Rechnungshofs ihre Zustimmung verweigerten.

Hamburg. Zeitweilig schwebte an diesem Mittwochabend der Geist des "Heide-Mörders" durch das Hamburger Rathaus. Gleich viermal hatte jener bis heute unbekannte Abgeordnete 2005 der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) bei der Wiederwahl die Stimme versagt - bis sie schließlich entnervt aufgab.

Ganz so weit war es bei Stefan Schulz nicht. Aber auch der neue Rechnungshofpräsident war bei seiner Wahl in der Bürgerschaft im ersten Versuch völlig unerwartet durchgefallen: Obwohl die SPD mit 62 und die CDU mit 28 Mandaten zusammen über 90 Sitze im Parlament verfügen und damit deutlich mehr als die 81, die die nötige Zweidrittelmehrheit bedeuten, hatte er nur 78 Jastimmen bekommen.

+++ Erste Kratzer im Lack +++

+++ Schuldenbremse kommt in die Verfassung +++

Da zwei CDU-Abgeordnete fehlten, mussten also mindestens zehn Vertreter von SPD und CDU dem früheren Staatsrat der CDU die Zustimmung verweigert haben. Er selbst sowie die Fraktionen von SPD und CDU, die sich vorher auf ihn geeinigt hatten, fragten sich, ob es sinnvoll sei, Schulz gleich ein weiteres Mal ins Rennen zu schicken, um die Scharte schnell auswetzen zu können. Oder würde er im Stile Heide Simonis' erneut "gemeuchelt" und damit als Präsident des überparteilichen und unabhängigen Rechnungshofs irreparabel beschädigt?

Das Ergebnis hätte dramatischer kaum ausfallen können: Während die kleinen Fraktionen von GAL, FDP und Linkspartei sich weigerten, eine zweite Abstimmung durchzuführen, setzten SPD und CDU die Wahl ein zweites Mal auf die Tagesordnung. Und diesmal erhielt Schulz exakt die nötigen 81 Jastimmen. Mit anderen Worten: Obwohl alle 88 anwesenden Abgeordneten von SPD und CDU Stein und Bein geschworen hatten, dass sie Schulz jetzt wählen würden, stimmten wieder sechs Parlamentarier mit Nein, einer enthielt sich.

Seitdem wird wild spekuliert: Wer wollte hier wem eins auswischen? Und warum? War Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) die Zielscheibe? Oder der Kandidat Schulz? Oder die Fraktionschefs Andreas Dressel (SPD) und Dietrich Wersich (CDU)? Oder war es ein Mix aus allem? Im Mittelpunkt steht die Frage, wer wohl die Abtrünnigen waren.

Theorie eins: Die Abtrünnigen waren alle SPD-Abgeordnete

Dafür spricht ein latenter, bislang nicht öffentlich geäußerter Unmut in Teilen der SPD-Fraktion über den eigenen Senat. Einige Abgeordnete waren inhaltlich nicht einverstanden mit den Rieseninvestitionen für den Kauf von Hapag-Lloyd-Anteilen (420 Millionen Euro) und für 25,1 Prozent der Energienetze (543 Millionen). Einige teilten auch einfach nur die Bedenken der Opposition, das Parlament sei nicht ausreichend informiert worden. Andere - zum Teil dieselben - setzen die gigantischen Ausgaben ins Verhältnis zu geplanten Sparmaßnahmen im Sozialbereich, zum Beispiel bei Kinderkuren auf Föhr, die sie für falsch halten.

Kurzum: Der Druck auf die SPD-Abgeordneten, in kurzer Zeit weitreichende Entscheidungen (Hapag-Lloyd, Netze-Rückkauf) abzunicken, ist in den vergangenen Wochen enorm gestiegen. Druck sucht sich ein Ventil, um zu entweichen. Insofern kann die Wahl des Rechnungshofpräsidenten genau die Chance gewesen sein, um in geheimer Wahl Dampf abzulassen. Es ging also nach dieser Theorie um einen Denkzettel für den Bürgermeister.

Eines kommt hinzu: Stefan Schulz hat nach übereinstimmenden Berichten bei seiner Vorstellungsrunde in den fünf Fraktionen durchaus keine gute Figur gemacht. Ihm liegen die freie Rede und der öffentliche Auftritt nicht sehr. So soll er in der SPD-Fraktion auf die Frage des SPD-Haushaltspolitikers Jan Quast nach seinen Erfahrungen in den drei Behörden, in denen er als Staatsrat tätig war, nicht überzeugend geantwortet haben.

Es mag also Abgeordnete gegeben haben, die Stefan Schulz für nicht wählbar hielten. So gesehen war Schulz der falsche Kandidat. Vertreter der Opposition berichteten nach der Schulz-Pleite, sie hätten beobachtet, wie Sozialdemokraten mit Nein gestimmt haben. Dagegen spricht generell, dass viele SPD-Abgeordnete ihren Wahlerfolg und ihr Mandat nur der großen Beliebtheit des Bürgermeisters verdanken - sie haben keinen Grund, daran zu rütteln.

Theorie zwei: Es waren vor allem CDU-Abgeordnete

Dafür spricht das, was nun geschieht: Die Diskussion über die möglicherweise angekratzte Autorität des Bürgermeisters spielt der Opposition in die Karten. Auch die Tatsache, wie schnell CDU-Abgeordnete nach der Schulz-Pleite im ersten Wahlgang die Beobachtung von mit Nein stimmenden Sozialdemokraten verbreiteten, kann als Legen einer falschen Fährte interpretiert werden. Bekannt ist auch, dass Fraktionschef Wersich keinen 100-prozentigen Rückhalt im eigenen Haus genießt - es ist nicht auszuschließen, dass einige "Parteifreunde" das mal wieder klarstellen wollten. Allerdings wäre der Preis für dieses Verhalten recht hoch: das Scheitern eines Parteifreundes - Stefan Schulz - bei der Bewerbung um eines der höchsten Ämter der Stadt. Denn dass der eher unauffällige Schulz in der CDU Feinde und Neider hat, ist nicht sehr plausibel. Denkbar ist schließlich, dass es politische Puristen in den CDU-Reihen gibt, die für klare Oppositionskante sind. Denen müsste ein CDU-Rechnungshofpräsident von SPD-Gnaden ein Dorn im Auge sein.

Fazit: Es mag den einen oder anderen Abweichler in den CDU-Reihen geben, zehn Neinstimmen gegen Schulz lassen sich so nicht erklären.

Theorie drei: Es waren sowohl SPD- als auch CDU-Abgeordnete

Für diese Variante spricht einiges - bei einem klaren SPD-Übergewicht. Der zweite Wahlgang zeigt, dass hier einige hoch gepokert haben: Die sechs Abgeordneten aus dem SPD-CDU-Lager, die mit Nein gestimmt haben, haben das Scheitern des Kandidaten Schulz bewusst in Kauf genommen.

Das ist die eigentliche, beunruhigende Botschaft für SPD und CDU. Vor allem aber für Bürgermeister Scholz.