Am Fischmarkt demonstrierten Tausende für den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie - auch mit Kuttern und Booten auf der Elbe.

Hamburg. Trommelwirbel, Trillerpfeifen, Rasseln: Wer gegen Kernenergie demonstriert, muss Nerven bewahren. Zumal die Redner auf der Bühne am Fischmarkt mit sich überschlagenden Stimmen gegen den pfeifenden Wind ankämpfen. Die übersteuerte Lautsprecheranlage traktiert die Ohren mit schrillen Tönen. "Abschalten!", skandiert eine Gruppe bunt gekleideter Aktivisten am Kai. Die Atomkraft meinen sie, nicht die Mikrofone.

Trotz oder gerade wegen des Krachs ist die Laune famos: Viele Tausend Hamburger, die Veranstalter sprechen von 20.000, die Polizei von der Hälfte, verwandeln das Elbufer zwischen Fischauktionshalle und Landungsbrücken in eine Festmeile. Flaggen wehen, Transparente wackeln, Spruchbänder flattern. Dazwischen tanzen Kinder. Auf einem Anhänger stehen gelb angemalte Öltonnen. Atommüll! Der Fahrer des grünen Treckers mit einem Heuwagen dahinter lenzt eine Bierbuddel. Motto: Je ernster der Anlass, desto ausgelassener die Stimmung. Die meisten haben den Marktplatz mit dem Demonstrationszug aus Richtung Gänsemarkt erreicht, andere sind mit dem Radl da.

Und Karin Holzapfel ist mit dem Krabbenkutter gekommen. Im Verbund mit gut einem Dutzend anderer Boote hat die Skipperin aus Wedel das Demogelände von Övelgönne aus angesteuert - mit steifer Brise auf den Segeln. "Flagge zeigen!" ist angesagt. Im wahrsten Sinne des Wortes: In zehn Meter Höhe hängt der international bekannte Protest mit der lachenden roten Sonne am Mast. Atomkraft? Nein danke. Auch am Heck ist sie zu sehen. Von der Kaimauer aus gibt es Applaus für diese alternative Art des Protests. "Wir wollen Aufmerksamkeit erregen und auch junge Leute an Bord holen", hat Frau Holzapfel vor dem Start gesagt. Neben der wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Hochschule für Angewandte Wissenschaften befinden sich noch Sohn Nils, dessen Freundin und einer ihrer ehemaligen Studenten auf der "Mavrodaphne". Der 7,30 Meter lange Kahn schaukelt in der aufgewühlten Elbe.

Doch aus dem geplanten Anlegemanöver direkt am Fischmarkt wird nichts: Die Hadag hat das Festmachen verwehrt. Da zudem die Tide kippt und tückische Strömungen vorherrschen, dreht Karin Holzapfel mit ihrem Boot ab. Seite an Seite mit dem Haikutter "Victor Jara" steuert sie den Steg hinter der Fischauktionshalle an.

Auf der Aktionsbühne ergreift derweil ein aufgeregter Redner das Wort. "In 21 deutschen Städten wird heute für den sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft demonstriert", hallt es über den Markt. Und zur gleichen Zeit sollten sich nun alle hinsetzen, um auf diese Art Solidarität zu zeigen. Doch offensichtlich hält das Gros der Protestler nichts von Autoritäten und Befehlen. Die meisten bleiben stehen. Ist ja auch kühl auf dem Steinboden.

Ebenso beeindruckt die Fantasie der meisten Teilnehmer. Viele haben selbst bemalte Plakate dabei. "Ein GAU ist wahrscheinlicher als sechs Richtige im Lotto" steht auf einem. "Der Kapitalismus ist schuld an allem" auf einem anderen. Das beste Beispiel für diese These ist direkt nebenan zu beobachten: An einem großen Stand eines Biohofs werden winzige Bratwürste und kleine Backcamemberts zu umso größeren Preisen angeboten. So etwas nennt man Nepp. Und Marktmonopol. Bei Geld hört eben nicht nur die Freundschaft, sondern offensichtlich auch die Solidarität auf. Kristina Leitgen aus Wohldorf ärgert sich mehr über die ihrer Meinung nach zögerliche Energiepolitik der Bundesregierung. "Wir dürfen nicht lockerlassen und müssen weiter Druck machen", meint die Grafikerin mit der Protestfahne als Umhang. "Fukushima ist auch bei uns möglich", warnt Jörg Willotts aus Billstedt. "Eigentlich müsste die ganze Stadt aufstehen und demonstrieren."

Auf dem Marktplatz in Wedel, dem Wohnort der protestierenden Skipperin Karin Holzapfel, wird jeden Montag eine Mahnwache abgehalten. Hier entstand die Idee der Segeldemo. "Warum immer nur zu Fuß oder mit dem Fahrrad?", fragt sie sich nach dem Anlegen am Steg hinter der Auktionshalle. Mehrere Kutter und Motorboote, aber auch vier Paddler haben mitgemacht. Zwar wurde die angepeilte Zahl von mindestens 100 Booten klar verpasst, doch ist der Einsatz der anderen bei rauem Strom und stürmischen Winden umso höher einzuschätzen. Bringen solche Demos denn überhaupt etwas, Frau Holzapfel? "Es ist ein gutes Gefühl, dabei zu sein und etwas getan zu haben", entgegnet sie. Jetzt gibt's erst mal ein Stück Kuchen und Kaffee. Dann wird der Schulauer Heimathafen angesteuert. Dort herrscht himmlische Ruhe.