Nach dem dritten Suizid in einer Hamburger Haftanstalt in diesem Jahr stellen SPD und Linke die Vorkehrungen zur Prävention infrage.

Hamburg. Nach dem erneuten Selbstmord in einer Hamburger Haftanstalt sind heftige Diskussionen entbrannt. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob die Maßnahmen zur Suizidprävention im Vollzug ausreichend sind und ob im speziellen Fall von Mike S. die notwendigen Vorkehrungen getroffen worden sind. Der 43-Jährige hat sich in der Nacht zu Mittwoch mit einem Gymnastikband im Bad seines Haftraums im Zentralkrankenhaus der Untersuchungshaftanstalt (UHA) erhängt.

Mike S. hatte schon zuvor versucht, sich das Leben zu nehmen, als er vor sieben Wochen mit seinem Auto frontal auf einen Linienbus zuraste. Dabei tötete er den 71 Jahre alten Fahrer und verletzte die 20 Fahrgäste zum Teil schwer. Auch sein vierjähriger Sohn, der auf der Rückbank des Wagens saß, musste mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. "Gerade angesichts der Vorgeschichte des Mannes stellt sich die Frage, ob besondere Vorkehrungen zur Prävention getroffen worden sind", sagte die SPD-Rechtsexpertin Jana Schiedek.

"Mike S. galt nicht als akut suizidgefährdet", sagte Pia Kohorst, Sprecherin der Justizbehörde. Eine Psychologin habe ihn in einer Eingangsuntersuchung in fünf Gesprächen untersucht, die mit jeweils eineinhalb Stunden ungewöhnlich lange dauerten. Ein weiterer Suizidversuch sei danach nicht zu erwarten gewesen, weshalb bei Mike S. keinerlei spezielle Sicherheitsmaßnahmen angewendet wurden.

Prinzipiell gliedern sich diese in mehrere Stufen: Eine Maßnahme, so Kohorst, sei eine Kamerabeobachtung rund um die Uhr auf einer Sicherungsstation, die kaum ausgestattet sei. Es fehlten etwa Gegenstände, an denen Bänder zum Strangulieren befestigt werden könnten. "Im schlimmsten Fall muss jemand nackt ans Bett gefesselt werden. Aber das nur über einen kurzen Zeitraum und wenn ganz akute Suizidgefahr besteht." In jedem Fall brauche man für diese Maßnahmen immer konkrete Anhaltspunkte, die auf Selbstmord hindeuten, sagte Kohorst. "Und die hatten wir im Fall von Mike S. nicht." Zudem herrsche über die Tat vor sieben Wochen nach wie vor Unklarheit. Zwar deute einiges darauf hin, dass es sich bei dem damaligen Suizid um eine Affekthandlung handle, "genau wissen können wir das aber nicht". Mike S. war am 14. April aus einem Krankenhaus in Flensburg in das Zentralkrankenhaus eingeliefert worden. Dort sollte seine Beinverletzung behandelt werden. Das Gymnastikband, mit dem er sich erhängt hat, hatte er zum Training für das Bein bekommen. Aufgefunden wurde er von seinem Mithäftling, der angab, nichts von den Selbstmordabsichten von Mike S. gemerkt zu haben.

Mit dem Tod von Mike S. ist es bereits zum dritten Mal in diesem Jahr zu einem Suizid im Verantwortungsbereich von Justizsenator Till Steffen (GAL) gekommen. Vor rund vier Wochen hatte sich die in Abschiebehaft befindliche Indonesierin Yeni P., 34, in einer Zelle in der JVA Hahnöfersand erhängt. Nur fünf Wochen davor hatte der 25 Jahre alte georgische Flüchtling David M. ebenfalls im Zentralkrankenhaus der UHA Selbstmord durch Erhängen begangen.

SPD-Rechtsexpertin Schiedek sagte, es könne angesichts dieser Häufung nicht mehr von Einzelfällen die Rede sein. "Es herrscht offensichtlich dringender Handlungsbedarf bei der Suizidprävention in Hamburgs Haftanstalten." Auch Norbert Hackbusch, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion der Linken, sagte, "der Senat kann nach diesem tragischen Todesfall nicht weiterhin untätig bleiben, sondern muss umgehend Präventionsmaßnahmen ergreifen." Farid Müller, rechtspolitischer Sprecher der GAL, warnte jedoch davor, in Aktionismus zu verfallen. "Im Rechtsausschuss erwarten wir ausführliche Informationen des Senators und eine Aufarbeitung der Geschehnisse", sagte er. Wenn weiterer Präventionsbedarf bestehe, werde er auch umgesetzt.

Auch Kohorst kritisierte, dass SPD und Linke keine konkreten Vorschläge zu einer möglichen Verbesserung gemacht hätten. Zudem gebe es bereits "ein breites Bündel" an Maßnahmen zur Suizidprävention. An der Hamburger UHA sind vier Psychologen für die derzeit 406 Inhaftierten zuständig. "Dabei achten wir darauf, dass jeder Häftling möglichst immer denselben Ansprechpartner hat." Als eine Reaktion auf die vorangegangenen Suizide sei der Regeldienst der Psychologen auch auf das Wochenende ausgeweitet worden. "Außerdem werden die Mitarbeiter des allgemeinen Vollzugsdienstes schon seit Jahren in der Suizidprävention geschult", so Kohorst.