Wie sich der TSV Winsen auf das Testspiel gegen den Bundesliga-Dino vorbereitet

Winsen. Auf dem Jahnplatz im Herzen der Luhestadt ist es dieser Tage ungewohnt still. Bereits seit Tagen gilt vor allem der A-Platz, das Zentrum der Anlage, als absolutes Sperrgebiet. Wo sonst die Fußballer des TSV emsig trainieren, sind jetzt allenfalls ein paar Krähen anzutreffen, die im herbstlichen Nebel um den einen oder anderen Wurm streiten.

Spätestens am kommenden Mittwoch ist es mit der Ruhe vorbei. Denn ab 18 Uhr steigt dann jene Partie, auf die der Verein und viele Winsener nun seit zwei Wochen hinfiebern: Zum ersten Mal ist der große Hamburger SV am Schützengehölz zu Gast. Der Bundesliga-16. nutzt die Länderspielpause zu einem Testspiel bei den Landesliga-Kickern des TSV.

Dort fühlt man sich dem Traditionsverein aus der benachbarten Metropole schon lange innig verbunden. "Winsen ist ganz klar eine HSV-Hochburg", weiß Cheforganisator Peter Rohde. So ist der TSV seit zwei Jahren nicht nur Kooperationspartner der HSV-Fußballschule. In Kürze wird es auch einen Torwart-Lehrgang mit dem früheren Gladbach-Keeper Dirk Heyne geben. Doch das nun sogar die HSV-Profis kommen, übertrifft alles.

"Fast drei Jahre haben wir uns um dieses Duell bemüht, jetzt werden wir für unsere Beharrlichkeit, unser Engagement belohnt. Das soll die dickste Nummer in der Sportgeschichte der Stadt werden", sagt Rohde. Als Liegenschaftswart wollte er den letzten noch verbliebenen Bundesliga-Dino bereits im Sommer des Vorjahres zur Einweihung des aufwendig umgestalteten Jahnplatzes nach Winsen holen. "Doch da lief in Südafrika die WM und wir standen auf verlorenem Posten", erinnert sich Rohde.

Dass sich sein Traum nun so schnell materialisieren würde, hätte er indes auch nicht erwartet. Ende Oktober erhielt der 49-Jährige plötzlich einen Anruf des HSV, ob die Einladung denn noch immer gelte. Mit Thorsten Fink war gerade ein neuer Coach verpflichtet worden, der sich dringend Testspiele wünschte, um der Mannschaft schnellstmöglich seine Philosophie zu vermitteln. Da lag es buchstäblich nahe, sich des hartnäckigen Winsener Werbens zu erinnern, trennen Volkspark und Schützengehölz doch keine volle Stunde Busfahrt.

Seitdem rotiert Rohde, als hätte sich die Bundeskanzlerin höchstpersönlich angesagt. "14 Tage sind verdammt wenig Zeit, um das Gastspiel eines solch prominenten Gegners auf die Beine zu stellen", sagt er, bevor sein kleines, schickes Smartphone an diesem Tag zum x-tenmal schellt.

Bereits am 31. Oktober steht HSV-Greenkeeper Hermann Schulz auf dem Jahnplatz. Mit Kamera und Laptop bewaffnet, dokumentiert er jeden Quadratmeter der Provinzarena. Hier moniert er kleine Löcher im Grün, dort stehen ihm die Halme zu hoch. Wenig später wissen die TSV-Platzwarte, was die Stunde des Dinos geschlagen hat: Mähen alle zwei Tage, letzte Mahd heute. Und statt der normal vier Zentimeter Halmlänge, darf es nur noch die Hälfte sein.

Doch der vom HSV gewünschte sattgrüne "niederflorige" Teppich ist für Rohdes Crew das geringste Problem. Der TSV-Rasen gilt als bester im weiten Umkreis. Und kann es mit dem oft gescholtenen in der Imtech-Arena allemal aufnehmen. Das bestätigt auch der frühere Pauli-Profi Ralf Sievers, jetzt Trainer bei Teutonia Uelzen: "Das Geläuf ist exzellent."

Die nächste HSV-Vorhut interessiert sich für Fragen der Sicherheit und Logistik. Auf welchem Weg nähert sich der Mannschaftsbus dem Ort des Geschehens und wo wird er parken? Reicht die Kapazität der Flutlichtanlage? In welcher Kabine werden sich die Fink-Jungs umziehen und wie präsentieren sich die Duschen und das stille Örtchen? Und: Wo und womit können sich die Elitekicker nach getaner Arbeit stärken?

Auf alle Fragen erhalten die Checker befriedigende Antworten. "Die Kontakte zur Polizei, zur Feuerwehr und den Rettungssanitätern sind geknüpft, alle Auflagen werden erfüllt", berichtet Sven Söker, der Sicherheitsbeauftragte des TSV, weil selbst Polizist. Investiert hat der Verein prophylaktisch überdies in eine 900 Euro teure Versicherungspolice, die etwaige Sach- und Personenschäden abdeckt.

Dagmar Luhmann, die erste Vorsitzende, kann auf viele fleißige Helfer bauen. 70 bis 80 Vereinsmitglieder, auch die eigenen Söhne Timm und Ole, werden in verschiedenen Funktionen im Einsatz sein: als Einweiser, Ordner, Kassierer, beim Catering, beim Entsorgen voller Mülleimer. "Weil dieses Spiel eine Sache des gesamten Vereins ist, nicht nur der Fußballabteilung", wie Dagmar Luhmann glaubhaft versichert.

Schließlich liegt die Latte hoch, wenn ein Team wie der HSV zu Gast ist. Der geschlossene Vertrag umfasst fünf dicht beschriebene Seiten. Da ist buchstäblich alles geregelt. Bis zu den Bewegtbildrechten, die selbstredend exklusiv dem Klub mit der Raute gehören.

Während sich das TSV-Team wie immer mit seiner Kabine bescheidet, stehen dem HSV nicht nur die Gästeumkleide, sondern noch vier weitere Räume zur Verfügung. Aufs Feld begleitet werden die Bundesligaprofis von den TSV-Minis des Jahrgangs 2005, die Heimelf wird von sechs- bis zwölfjährigen Nachwuchsspielern des Vereins flankiert.

Damit die Millionäre in kurzen Hosen angemessen bewirtet werden können, räumt der TSV seine neue Mehrzweckhalle und verwandelt sie in eine VIP-Lounge. Um das Parkett zu schonen, wurde extra ein Teppich im Wert von 4000 Euro angeschafft. Und das von der Fleischerei Jurich kreierte Buffet dürfte selbst einem Sternekoch zur Ehre gereichen. Auf die Teller kommen unter anderem Schweinefilets in Safran-Sahne-Sauce, Rindergeschnetzeltes mit Champignons und Zwiebeln, Lachsfilet in Rieslingrahm und saftiger Geflügelrostbraten.

"Wir wollen aus dem Gastspiel des HSV ein großes, unvergessliches Familienfest machen", sagt Arne Östlind vom Personaldienstleister Hanfried, der gleichzeitig Trikotsponsor der ersten Mannschaft ist. Der ehemalige TSV-Fußballer stattet die jungen Zuschauer nicht nur mit 300 Fähnchen aus, auf denen das TSV-Logo leuchtet: "Für viele der Sponsoren ist es selbstverständlich, dass wir unserem Verein bei solch einem Event auch finanziell zur Seite stehen."

Derweil geht es in der altehrwürdigen TSV-Geschäftsstelle in der Eckermannstraße 22, in der zuvor mit dem Männerturnverein von 1850 schon einer der Urvereine des TSV residierte, zu wie im Taubenschlag. Hier sitzen Inke Jensen und Pressewartin Maren Schiewe und haben bis zum Wochenende bereits 2500 Tickets abgesetzt.

Eine Riesenchance, Werbung für den Verein wie für die Stadt zu machen, sieht auch Bürgermeister André Wiese. Als Lokalpatriot und bekennender HSV-Fan werde er jedes Tor bejubeln können, egal auf welcher Seite es falle. "Das ist doch eine geniale Geschichte: Egal, wie das Spiel ausgeht, alle werden Gewinner sein. Die Zuschauer, weil sie daheim etwas erleben, wofür sie sonst weit reisen müssten. Der TSV, weil er solch einen Gegner nicht jeder Tag bekommt. Und der HSV, weil ein Sieg in Winsen zur Initialzündung werden könnte für eine erfolgreiche Aufholjagd in der Bundesliga."