Harburg stellt sich beim Volksentscheid mit 62,4 Prozent deutlich hinter die Initiative “Wir wollen lernen“

Harburg. Was für jenseits der Elbe gilt, zählt auch in Harburg: Harburgs Grundschüler werden nach wie vor nach vier, nicht nach sechs Jahren auf eine weiterführende Schule wechseln. Denn viele Eltern erteilten der Schulreform von schwarz-grün eine Abfuhr: Etwa 36 000 von 106 000 stimmberechtigten Bürger haben beim Volksentscheid abgestimmt. Damit war die Wahlbeteiligung mit etwa 27 Prozent eher mäßig. 62,4 Prozent votierten gegen die Schulreform und für das Anliegen der Initiative "Wir wollen lernen". Einzig in Cranz sprach sich die Mehrheit für den Reformkurs (44 Stimmen) und gegen "Wir wollen lernen" (24 Stimmen) aus. Doch in Neugraben-Fischbek, Marmstorf, Heimfeld und Hausbruch stimmten die meisten Wähler gegen die Schulreform.

Dieses Ergebnis ist gerade in Harburg, das einen hohen sozial schwachen Bevölkerungsanteil aufweist, erstaunlich. Denn die Reform wollte mit dem Prinzip der Primarschule und dem längeren gemeinsamen Lernen sowie individuellem Unterricht in kleinen Klassen gerade Kindern aus prekären Verhältnissen zu einer besseren Bildung verhelfen. Aller Ablehnung zum Trotz wird der größte Teil von Hamburgs Schulreform dennoch in Kraft treten. So wird es künftig als weiterführende Schulen nur noch das Gymnasium und die Stadtteilschule geben.

Für Harburgs Grüne ist das nur ein kleiner Trost. "Politik hat schon mal mehr Spaß gemacht", sagt Kay Wolkau, GAL-Abgeordneter in der Bezirksversammlung. Das Ergebnis sei aus Grünen-Sicht "enttäuschend." Ob seine Partei die Reform in Harburg nicht richtig verkauft hat, verneint Wolkau. Jürgen Heimath, Chef der SPD-Fraktion stimmt zu: "Man muss die Entscheidung der Bürger akzeptieren, ob sie einem nun gefällt oder nicht."

Ralf Dieter Fischer, Vorsitzender CDU in der Bezirksversammlung, gibt zu, dass die parteienübergreifenden Informationsveranstaltungen zu der Reform "vielleicht etwas verwirrend für viele Bürger gewesen sind". Ansonsten zeige das Harburger Ergebnis, dass die Mehrheit nicht bereit für eine Schulreform ist. "Diese Mütter und Väter halten die Primarschule für nicht Erfolg versprechend für ihre Kinder." Außerdem sei es in der Tat so, dass viele Eltern, deren Sprösslinge von den neuen Bildungsvorgaben profitiert hätten, "ihre Stimme nicht abgegeben haben". Dass sich auch am Ergebnis des Volksentscheids die soziale Spaltung in Harburg ablesen lässt, will er nicht klar äußern. "Die Teilnahmezahlen waren in Harburg unterdurchschnittlich, im Gegensatz zu wohlhabenderen Stadtteilen wie etwa Volksdorf mit 60 Prozent", sagt er vorsichtig. Peter Albrecht, Vorsitzender der Elternkammer, wird deutlicher: "Viele Eltern aus prekären Lebensverhältnissen mit unterdurchschnittlicher Bildung haben nicht begriffen, worum es bei der Schulreform geht und haben sich deshalb nicht an der Abstimmung beteiligt", sagt er. Und das sei die Schuld der Politik, die ebendiese Schicht nicht mehr erreichen würde. Alles nur ein Kommunikationsproblem? "So ist es." Das hätten die Veranstaltungen der Initiative 'Wir wollen lernen', die sich auch um die Stimmen von Müttern und Vätern aus armen Verhältnissen bemüht haben, gezeigt.. "Die haben einfache Argumentationen erarbeitet", so Albrecht. So sei es laut Initiative nach vier Jahren Grundschule einfacher, den sozialen Aufstieg in einem anderen Stadtteil mit Mitschülern aus besseren Verhältnissen zu schaffen. "Platt, aber so was zieht." Eltern kennen viele prekäre Bildungsbiografien, lesen so viel darüber, dass Kinder heute den erreichten Sozialstatus ihrer Eltern nicht mehr halten können. Und um das zu verhindern, klammert man sich an Statusvorteile, die Kinder durch den Schulbesuch erkämpfen können. Da seien Eltern eben der Auffassung, dass Gymnasien Kinder besser für die Karriere vorbereiten. Und zwar deswegen, weil dort einfach weniger andere Kinder sind, von denen man vermutet, dass sie die Lernfortschritte der eigenen Sprösslinge verhindern könnten. Auch in Harburg dürften Politiker aus dem schwarz-grünen Lager deshalb eines gelernt haben: Leg' dich nicht mit Eltern an, wenn du keine guten Gründe hast.