Mit Liebe zur Tradition: Für Peter Becker ist das Backhandwerk das schönste Handwerk. Industrielle Teiglinge verwendet er nie.

Marmstorf. Alteingesessene, inhabergeführte Geschäfte - es gibt sie noch in Harburg. Oft sind es Familienbetriebe mit einer jahrzehntelangen Tradition. Sie erzählen Geschichten von Kaufleuten, die ihre Kunden noch persönlich kennen, vom Glauben an eine besondere Idee, von der Liebe zum Detail. Aber auch vom schleichenden Niedergang einer Verkaufskultur, die sich im Zeitalter der Shopping-Center und Großmärkte immer schwerer behaupten kann.

Der Geruch frischen Brotes törnt Peter Becker, 65, noch immer an. "Frisches Brot", sagt der Bäckermeister, "riecht unnachahmlich, fast erotisch. Brot riecht nach Leben."

Seit 36 Jahren backt Peter Becker in seiner Backstube am Ernst-Bergeest-Weg 59 in Marmstorf. Morgens um 6.30 Uhr fängt er an - die ersten Mitarbeiter arbeiten schon seit 1.30 Uhr, in der Nacht zu Sonnabend sogar ab Mitternacht. Peter Becker zieht Teige ein, formt und wiegt Brote. "Teige mache ich nicht mehr, und an den Ofen gehe ich auch nicht", sagt der Bäckermeister, "dafür muss ich zu oft ans Telefon."

+++Das sind Hamburger Geschäfte mit Geschichte+++

Denn Peter Becker ist kein gewöhnlicher Bäcker. Er ist auch Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks, also Deutschlands erster Bäcker. Und er ist Präsident der Union Internationale de la Boulangerie et de la Boulangerie-Pâtisserie - des Internationalen Bäcker- und Konditorenverbandes. Der Bäckermeister ist also Welt-Oberbäcker, und als Vizepräsident des europäischen Bäcker- und Konditorenverbandes auch noch der zweithöchste Europa-Bäcker. Auf 350 000 Flugmeilen kommt er 2011. Allein in diesem Jahr war er auch schon in Korea, Japan, Malaysia, Brasilien, Mexiko, Argentinien und den USA. "Die Hälfte des Jahres", sagt Peter Becker, "bin ich nicht zu Hause."

Peter Becker spricht mit Ministern, Kommissaren und Vorstandsvorsitzenden großer Konzerne. Er war zehn Jahre lang Präsident der Handwerkskammer Hamburg. Er ist stellvertretender Präses der Hamburger Sparkasse, Mitglied des geschäftsführenden Präsidiums des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks und sitzt in sechs Aufsichtsräten und zwei Stiftungsbeiräten. Die Bürgermeister Ole von Beust und Christoph Ahlhaus wollten ihn als Wirtschaftssenator ins Rathaus holen - Peter Becker sagte ab.

In Marmstorf aber ist der Mann mit den vollen grauen Haaren ein ganz normaler Bäcker, der Hand anlegt und mit mehlüberzogenen Schuhen durch die Backstube läuft. "Für mich ist das Backhandwerk das schönste Handwerk", sagt Peter Becker. "Man kommt mit Mehl, Zucker und Marzipan in Berührung - das sind sympathischere Materialien als Metall."

Die Urzelle von Bäcker Becker war eine kleine Bäckerei am Ehestorfer Weg in Eißendorf, die Peters Eltern Walter und Gertrud am 1. April 1959 eröffneten. Der verstorbene Walter war Bauernsohn aus Appelbüttel, Gertrud, 90, Arbeitertochter. Walter Becker hatte mit der Landwirtschaft nichts am Hut und lernte sein Handwerk bei Bäcker Schröder in Fleestedt. Nach dem Krieg arbeitete er bei der Bäckerei Wedemann in der Anzengruberstraße in Harburg, später als Backstubenleiter in der Wilhelmsburger Bäckerei Elend.

"Für meine Eltern war der Schritt in die Selbstständigkeit ein Traum - ein unglaublicher Quantensprung", sagt Peter Becker. "Auch für mich als damals Zwölfjähriger war es ein starkes Gefühl, dass wir jetzt Inhaber einer Bäckerei waren. Das bedeutete für uns einen sozialen Aufstieg." Peters Interesse gilt fortan "primär der Bäckerei". Er fährt im Lieferwagen mit und bringt Brot und Kuchen an die Kundschaft. Und er fährt jeden Morgen um 5.30 Uhr Brötchen mit dem Fahrrad aus, bei Wind und Wetter. Gleichzeitig geht es auf dem Alexander-von-Humboldt-Gymnasium steil bergab, Peter wechselt auf die Schule Dempwolffstraße und schafft mit Ach und Krach die Mittlere Reife.

Gertrud Becker hat damals ab 4.30 Uhr die Brötchentüten für die Kunden gefüllt, bis 19 Uhr blieb sie meist im Laden. "Meine Eltern haben brutal gearbeitet", sagt Peter Becker, "aber der Ertrag war gering."

1966 war dann Schluss mit dem Backen am Ehestorfer Weg. Ab April 1967 ging es weiter im neuen Einkaufszentrum Marmstorf am Ernst-Bergeest-Weg 59, mitten in einer neuen Neue-Heimat-Siedlung. Aber erst einmal ohne Peter Becker. Dessen Berufswunsch war zwar immer Bäcker gewesen, aber Ende 1963 sagte er eine Lehrstelle bei Lindtner in Eppendorf ab.

"Ich hatte Heiligabend von 1 Uhr bis in den späten Nachmittag gearbeitet. Meine Eltern sind um 20 Uhr ins Bett gegangen, ich bin dann zu meiner Freundin, da war Weihnachten noch ruhig und normal. Am zweiten Weihnachtstag habe ich meinen Eltern eröffnet, dass ich die Arbeitsbedingungen im Bäckerhandwerk nicht für lebenswert halte."

Also machte er erst einmal eine Lehre als Verwaltungsangestellter beim Evangelischen Gesamtverband in Harburg. Parallel lernte er auf der Abendschule kaufmännische Buchführung. Nach der Lehre arbeitete Peter Becker zwei Jahre bei der Hamburger Bank von 1861 und holte seine Fachhochschulreife nach. In der Bank lernte er seine Frau Elfriede, 65, kennen.

Es folgte ein Studium zum Diplomkaufmann, dann wurde Peter Becker Abteilungsleiter Materialwirtschaft bei Alfa Laval Industrietechnik. In den Betrieb der Eltern ist er im Juli 1975 zurückgekehrt. "Die Entscheidung stand damals 51 zu 49", sagt Peter Becker, "bei Alfa Laval war es auch sehr schön, ich bin damals öfter nach Skandinavien gereist."

Die Liebe zum Brot siegte. Seinen Bäckermeister machte er in Abendkursen. "Mir macht es Spaß, mit meinen Mitarbeitern zusammenarbeiten", sagt Peter Becker. "Das Bäckerhandwerk bietet eine gute Kombination zwischen Technik und Handarbeit."

Mittlerweile gibt es Bäcker-Becker-Filialen an der Bremer Straße, in der Lüneburger Straße, im Phoenix-Center und nördlich der Elbe am Mühlenkamp in Winterhude. Gebacken wird alles in der Backstube in Marmstorf - vom Vollkornbrot über Butterkuchen bis zur Hochzeitstorte. Der Teig ist made in Marmstorf. "Wir verwenden keine industriellen Teiglinge", sagt Peter Becker

In den Beruf gedrängt, hätten ihn seine Eltern nie, sagt der Bäckermeister. "Auch ich wurde nicht in den Beruf gedrängt", sagt Peters Tochter Wiebke, 34. Sie leitet die Filialen im Phoenix-Center und in Winterhude. Ihren Berufswunsch hatte sie schon als Sechsjährige vor Augen: "Ich bin durch die Backstube gelaufen und habe allen gesagt, 'ich werde mal Chef!'."

In der Backstube gearbeitet hat die Harvestehuderin indes nie: Sie hat eine Mehlstauballergie. Nach einer Lehre zur Einzelhandelskauffrau bei Karstadt in Harburg hat sie an der HAW Technische Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Marketing studiert. "Ende 2013", sagt ihr Vater, "wird Wiebke den Betrieb übernehmen." "Ich drängele nicht von hinten", sagt Wiebke Becker.

"Die Verbandstätigkeit hat etwas mit Verantwortung zu tun und ist auch etwas für mein Ego", sagt Peter Becker, "das Backen selbst ist für mich pure Freude." Im Oktober 2012 wird sich der Metzendorfer noch einmal drei Jahre zum deutschen Oberbäcker wählen lassen. Danach wird er etwas mehr Zeit für seine Hobbys haben: Oper, Theater, Rasenmähen und Golf. Sein Handicap liegt bei 28. (abendblatt.de)