Slawik C. hatte sich in der Haft das Leben genommen. Der Landkreis Harburg räumt nun Fehler ein. Das Abendblatt hatte den Fall aufgedeckt.

Winsen. Der Haftbefehl vom 28. Juni 2010 gegen Slawik C. war rechtswidrig. Das stellt jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Beschluss fest. Die Richter kommen in ihrem Beschluss, der dem Hamburger Abendblatt vorliegt, zu dem Ergebnis, dass "gegen den Betroffenen die Haft nicht hätte angeordnet werden dürfen, weil ihr kein zulässiger Haftantrag zugrunde lag". Wie mehrfach berichtet, hatte sich der Jesteburger, der von der Ausländerbehörde des Landkreises Harburg nach Armenien abgeschoben werden sollte und im Kreishaus in Winsen vor den Augen seiner Familie festgenommen worden war, am 2. Juli 2010 in seiner Abschiebungshaft in der Justizvollzugsanstalt Hannover Langenhagen das Leben genommen.

Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Niedersachsen, nennt "das Urteil des BGH aufsehen erregend". Weber weiter: "Der Fall des Slawik C muss Konsequenzen haben: Es kann nicht angehen, dass die in Artikel 2 des Grundgesetzes geschützte Freiheit der Person von vielen Ausländerbehörden in Niedersachsen weiterhin mit Füßen getreten wird. Dass die niedersächsische Abschiebungspraxis auch vom Bundesverfassungsgericht wiederholt wegen rechtswidriger Inhaftierung von Flüchtlingen gerügt wurde, spricht Bände." Nachdem der Suizid von Slawik C. bekannt geworden war, hatte der Flüchtlingsrat die Ausländerbehörde des Landkreises Harburg wegen ihrer Arbeitsweise scharf kritisiert. Sie habe, um den Mann "endlich abschieben zu können, sich Passersatzpapiere besorgt, obwohl aus diesen Papieren hervor gegangen war, dass sie nicht der Person Slawik C. zuzuordnen gewesen waren". Niemand in den Behörden hatte dem Familienvater geglaubt, dass er 1999 mit Sohn und Ehefrau aus Aserbaidschan geflüchtet sei. Sein Asylantrag war überdies abgelehnt worden, wie auch der seiner Frau Asmik C.

Die BGH-Richter bemängeln in der Hauptsache einen Formfehler in dem Haftbefehl. Beantragt hatte die Ausländerbehörde diesen Haftbefehl gegen den Jesteburger. Der Landkreis Harburg aber hätte vorher die Staatsanwaltschaft darüber informieren müssen. Die Staatsanwaltschaft hatte kurz zuvor gegen Slawik C. einen Strafanzeige erlassen wegen Vortäuschung falscher Angaben zur Person. Die Staatsanwaltschaft hätte dann entscheiden müssen, ob ihre Interesse über denen einer Inhaftierung zur Abschiebung höher zu bewerten sein. Ein Formfehler mit tragischen Folgen.

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Dazu Georg Krümpelmann, Sprecher der Kreisverwaltung im Landkreis Harburg: "Tatsächlich muss der Landkreis einräumen, dass es sich hier um einen Formfehler handelt. Aber die zuständigen Mitarbeiter haben in dem Antrag auf Haftbefehl auf die Strafanzeige ausdrücklich auf die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Herrn C. hingewiesen. Und die Prüfungspflicht hatte das Amtsgericht in Winsen." Das Amtsgericht prüfte den Haftbefehl, der überdies falsche Fristen für den Rechtsmittelbehelf beinhaltete. Laut Gesetz stehen dem Inhaftierten vier Wochen Zeit zu, um Widerspruch einzulegen, der Haftbefehl, den das Winsener Amtsgericht ausgestellt hatte an diesem 28. Juni 2010 sprach Slawik C. lediglich eine Frist von 14 Tage zu.

"Der Haftantrag war schon haarsträubend, aber das Amtsgericht hat obendrein schlampig gearbeitet. Im Haftbefehl ist zudem keine Rede davon, dass die Gefahr bestand, dass Slawik C. bei Androhung der Abschiebung zum Beispiel untertauchen würde. Es bedarf eines triftigen Grundes, um einen Menschen zu inhaftieren", sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat. Der Winsener Amtsgerichtdirektor Albert Paulisch wollte sich auf Anfrage des Abendblatts vorerst nicht zu dem BGH-Urteil äußern, weil ihm die Akte nicht vorliege.

In der Politik des Landkreises Harburg indes wird der höchstrichterliche Beschluss mit Bestürzung aufgenommen. Cornelia Ziegert, die SPD-Ratsfrau in Jesteburg engagiert sich dafür, dass Slawik C.'s Witwe Asmik C. dauerhaft in Deutschland bleiben kann, sagt: "Ich bin hoch erfreut darüber, dass der BGH die Sache so beurteilt, auch wenn es Slawik nichts mehr nützt. Jetzt ist der Kreistag gefragt, die Strukturen in der Behörde zu verändern. Auch die Ausländerbehörde eines Landkreises muss auf Basis der Rechtsstaatlichkeit arbeiten."

"Ich bin schockiert darüber, wie die Verwaltung gearbeitet hat. Und für mich stellt sich jetzt die Frage, ob die Kreisverwaltung schon vor Slawik C. so gearbeitet hat", sagt Grünen-Chefin im Kreistag, Ruth Alpers. Ihr Kreistagskollege und Fraktionschef der SPD, Prof. Jens-Rainer Ahrens: "Was mich aufbringt, ist, dass das Gericht diesen Fehler im Antrag nicht gesehen hat. Alles, was gelegentlich in der Öffentlichkeit an Kritik wegen mangelnden Integrationswillen von Ausländern, traf genau bei Slawik C. absolut nicht zu. Und dieser Mann sollte abgeschoben werden.