Die Buxtehuder Märchenerzählerin Evelyn von Hacht und ihre Vertreter verstehen es, Kinder wie auch Erwachsene mit ihrer Fabelwelt zu fesseln.

Buxtehude. Die Märchenerzählerin schwitzt. Flammen lodern im Ofen. Das Licht ist gedämmt. Es riecht nach aufgeheiztem Holz. Unpassender hätte sich Evelyn von Hacht, die Märchenerzählerin von Buxtehude, nicht kleiden können. Ihre Zuhörer sitzen in Bademänteln und Flip-Flops da. Aber die 60-Jährige hat sich für die "Märchenhafte Saunanacht" im Buxtehuder Hallenbad Aquarella in einen blau-grün schimmernden Umhang aus Samt gehüllt und trägt eine Kappe auf dem Kopf. Märchenerzählerin ist Märchenerzählerin. Selbst in der Sauna will Evelyn von Hacht nicht auf ihr offizielles Outfit verzichten.

Seit März 2010 ist die Buxtehuderin im Amt. Ihre Aufgabe: Das Märchen vom "Wettlauf zwischen dem Igel und dem Hasen auf der Buxtehuder Heide" noch bekannter zu machen. Dafür hat sie eine Jury vor anderthalb Jahren gewählt. Seitdem schlüpft sie in die Rolle der Märchenerzählerin und trägt die weltberühmte Fabel wie auch andere Märchen in Buxtehude, im Landkreis Stade und deutschlandweit bei Lesungen und Festen, in Bibliotheken, Kindergärten, Schulen - oder auch im Sauna-Ruheraum vor.

+++ "Märchen sind zeitgemäßer denn je" +++

Evelyn von Hacht ist mit Märchen aufgewachsen. Ihre Oma erzählte ihr regelmäßig die Abenteuer von Hexen, Königen und Feen. "Es war zu schön", sagt sie. Noch heute erinnert sie sich daran, wie diebisch sie sich gefreut hatte, als der böse Wolf in "Rotkäppchen" endlich tot war.

Später las sie selbst vor. Als Erzieherin hatte sie dazu oft genug Gelegenheit, und heute nachdem sie sich in den Ruhestand verabschiedet hat, hängen ihre vier Enkelkinder an ihren Lippen. Evelyn von Hacht gehört zu den Menschen, denen man gerne zuhört. Allein schon mit ihrer klaren, tiefen Stimme erzeugt sie eine heimelige Atmosphäre. Sie trägt die Märchen in einem ruhigen Ton vor, setzt Pausen und lächelt ihre Zuhörer dann und wann an. Dabei verwandeln sich ihre Augen hinter ihrer Hornbrille in dünne Schlitze. Und wenn sie richtig lacht, sind sie gar nicht mehr zu sehen. Sie ist eine herzliche Frau - so wie man sich eine Märchentante vorstellt. Das Ehrenamt ist wie maßgeschneidert für Evelyn von Hacht. "Es ist eine so schöne Aufgabe. Man bekommt so viel zurück, wenn man in die strahlenden Gesichtern von Kindern oder auch Erwachsenen schaut."

Im Aquarella aber sieht sie zunächst nur geschlossene Augen, als sie unter anderem "Der Wolf und die sieben Geißlein" und "Die Prinzessin auf der Erbse" vorliest. "Ich dachte erst, die schlafen alle", erzählt sie später bis sie feststellt, dass sich die schwitzfreudigen Gäste noch besser mit geschlossenen Augen der Märchenwelt hingeben können.

Wie schafft sie es, ihre Zuhörer so sehr in den Bann zu ziehen? Worauf kommt es beim Vorlesen an? "Man muss improvisieren können und sich auf die Zuhörer einstellen können", sagt Evelyn von Hacht. Das bestätigt auch Dora Ropers. Damit Evelyn von Hacht in der Winterzeit (dann ist ja Märchenzeit) keinen Terminmarathon hinlegen muss, springt die 82-jährige Schatzmeisterin der Buxtehuder Märchengesellschaft manchmal für die Märchenerzählerin ein.

Ihre jüngste Lesung im Buxtehuder Mehrgenerationencafé Paulz ist ein Paradebeispiel für Improvisation. Als die grauhaarige Frau in pinkfarbener Strickjacke ihre Bücher sorgfältig auf den Tisch aufreiht, hat sie vor allem mit erwachsenen Zuhörern gerechnet. Doch wer erscheint? Hauptsächlich Kinder. Kein Problem. Es bleibt dabei: Dora Ropers liest wie geplant dänische Volksmärchen und Märchen von Hans Christian Andersen. "Könnt ihr denn auch zuhören?", fragt Dora Ropers freundlich. "Jaaaa", antworten sie brav. Nur einige Minuten später ist es still, die Münder stehen offen, die Augen sind auf Dora Ropers gerichtet, hin und wieder fahren die Zungen über die Lippen. Denn Dora Ropers spielt mit der Stimme. Mal jammert sie, als der Zinnsoldat in Hans Christian Andersens Märchen aus dem Fenster fällt. Mal faucht sie, als das Fräulein den zerlumpten Jungen in "Drei rote Ferkelchen" fortjagt. Sie quäkt, zischt und flötet. "Nur wenn man die Stimme variiert, kann man den Geschichten Leben einhauchen", sagt sie. Dass sie das kann, hat sich bereits herumgesprochen. "Das kann nur gut werden, wenn Frau Ropers liest", dachte Heidrun Grunau aus Buxtehude. Sie lässt sich in der Märchenstunde auch für ihren Beruf inspirieren. Denn die 56-Jährige aus Buxtehude arbeitet in der Dementenbetreuung und hat gute Erfahrungen damit gemacht, den alten Menschen Märchen vorzulesen. "Und meistens haben die Geschichten ein Happy End. Das ist doch sehr schön."

Damit die Kinder im Paulz nach einer dreiviertel Stunde noch bis zum Happy End durchhalten, hält Dora Ropers sie mit Zwischenfragen bei der Stange. Sie fragt, was eine Erbsenschote ist und erklärt, was eine Ritze ist. Die Frau schafft es, die Kinder so sehr fesseln, dass sie immer mehr ihre Nähe suchen. Der sechsjährige Knut Schipper aus Jork kommt ihr so nahe, dass man meinen könnte, er wolle seine Nase in ihr Buch stecken. Und Schwester Milena, 8, will selbst nach einer Stunde, dass Dora Ropers "am liebsten aaaaalles" vorliest. Zauberwelt Märchen.