20-Jährige entdecken die Kommunalpolitik und wollen im September in die Rathäuser. Die Parteien förden endlich die “Enkelgeneration“.

Neu Wulmstorf/Winsen. "Jugend forsch" bei den Kommunalwahlen am 11. September in Niedersachsen: 20-Jährige entdecken wieder die Politik und wollen in den Stadt- und Gemeinderäten mitreden. Und offenbar fördern die Parteien endlich die "Enkelgeneration". Am Tage an der Uni oder in der Ausbildung und abends ehrenamtlich im Rathaus: Das Abendblatt stellt vier junge Kandidaten vor, die sich einmischen und Stimme ihrer Generation sein wollen.

Mareike Wolff

"Es ist Zeit, Einfluss zu nehmen", findet Mareike Wolff. Sie ist gerade 20 Jahre alt. Die Verkehrsbelastung setzt ihrem Heimatdorf Rübke zu. Die derzeitigen Pläne für eine Autobahnanschlussstelle würden die Identität der 500-Einwohner-Ortschaft zerstören. Deshalb kandidiert Mareike Wolff für den Neu Wulmstorfer Gemeinderat, will die Stimme Rübkes sein.

Dabei hat die junge Frau genug um die Ohren, den Jetlag inklusive: Mareike ist Auszubildende zur Schiffsmechanikern, fährt auf Containerschiffen über alle Weltmeere. Dass sie in den nächsten eineinhalb Jahren immer wieder auf See im Schiffsbauch an den Maschinen schrauben wird, stört ihre Partei nicht. Im Gegenteil: Die SPD fördert ihre Karriere in der Politik: Listenplatz neun - das sollte normalerweise für eine Sitz im Gemeinderat reichen. Nach ihrer Ausbildung möchte die Rübkerin Schiffsbetriebstechnik studieren.

Mareike ist ein Mensch, der anpackt. Sie dient in der Freiwilligen Feuerwehr. Was könnte die junge Frau in der Politik aufregen? "Unnötige Diskussionen", antwortet Mareike spontan, "wenn jeder seine Meinung ein zweites Mal sagen muss." Genau dafür sind die Debatten in Neu Wulmstorf berüchtigt.

Die Sozialdemokratie hat Tradition in der Familie Wolff. Aber ein CDU-Politiker war es, der Mareike Wolff in die Gemeindepolitik brachte. Jan Lüdemann (CDU), ein Freund Mareikes und Sportausschussvorsitzender in Neu Wulmstorf, hätte sie gerne für seine Partei gewonnen. "Nee, mit der CDU wird das nichts", antwortete sie aber. Schließlich war ihr Opa bereits SPD-Politiker, Helmut Schmidt hat in seinem Parteibuch unterschrieben. Da machte Lüdemann Mareike eben mit dem SPD-Vorsitzenden Tobias Handtke bekannt.

Björn Hendrik Brosch

Anpacken statt rumhängen - das habe ihm sein Großvater beigebracht, sagt Björn Hendrik Brosch. "Beschweren ist einfach. Aber wer sich nicht engagiert, kann auch nichts verändern." Ein Lehrer am Wirtschaftsgymnasium, überzeugter Sozialdemokrat, weckte sein Interesse für Politik, nach der Europawahl 2009 wollte der Winsener mehr tun als nur wählen. Die Wirtschaftspolitik der FDP überzeugte ihn schließlich - seitdem fährt er regelmäßig zu den Treffen der Jungen Liberalen im Landkreis Harburg. "Meine Mitschüler fanden das amüsant." Anfang dieses Jahres trat er auch in die Mutterpartei ein. Die FDP sei nicht gerade die beliebteste Partei, man lerne, mit Misserfolgen umzugehen, sagt Björn Hendrik Brosch.

Zum Beispiel, wenn die meisten Passanten den gelben Infostand seiner Partei und ihn dahinter stur ignorierten. "Aber das sehe ich als Herausforderung." Auch die vielen Gänge zum Rathaus, die momentan für Formalien nötig sind, nimmt der Hobby-Badmintonspieler sportlich.

Jetzt kandidiert Björn Hendrik Brosch auf dem Listenplatz 2 für den Stadtrat und den Kreistag. Ob er es selbst in eines der Gremien schafft, ist ihm nicht so wichtig. "Ich freue mich schon, wenn die FDP dort vertreten ist." Die Auseinandersetzung mit den vielen verschiedenen politischen Gruppierungen in Winsen fände er allerdings reizvoll. "Ich mag es nicht, wenn alle derselben Meinung sind." Lieber diskutiert der angehende Student, der sich für Volkwirtschaftslehre einschreiben will, mit anderen über ihre Ansichten. "Ich will immer alles hinterfragen", sagt Björn Hendrik Brosch. "Das habe ich übrigens auch von meinem Großvater."

Thomas Stender

Wäre es nach dem Wahl-O-Maten der Bundeszentrale für politische Bildung gegangen, gehört Thomas Stender der falschen Partei an. Der 21 Jahre alte Neu Wulmstorfer hat das Computerprogramm zur Erkundung der eigenen politischen Präferenz mehrmals ausprobiert: "Es kam nie die CDU für mich heraus", sagt er.

Maschinen können irren: Thomas Stenders politische Heimat ist genau diese Partei. Er habe alle Wahlprogramme durchgelesen. Das Ergebnis: "Die größte Übereinstimmung habe ich mit der CDU." Er ist JU-Vorsitzender, sitzt als stellvertretender Schatzmeister im Vorstand der CDU Neu Wulmstorf. Jetzt kandidiert er für den Gemeinderat.

Fachabitur mit der Bestnote im Fach Politik, jetzt will Thomas Stender Wirtschaftsrecht und Politikwissenschaft studieren. Bei so viel politischem Interesse - wen wundert da noch die Kandidatur? Der 21-Jährige möchte die Politik "etwas jünger gestalten", wie er sagt. Er hofft Gleichaltrige dazu mobilisieren zu können, in ihrem Ort mitzureden. "Vielleicht kommen sie auf mich zu, weil sie sehen: Mensch, da sitzt einer im Rat, der genau so alt ist wie ich."

Tief verwurzelt ist der Fußballfan in Neu Wulmstorf. Die Bezeichnung "Schlafstadt" ist für ihn kein Makel - im Gegenteil: "Das ist der Grund, warum man hierher zieht. Das wollen wir sein", sagt Thomas. Eine Wohngemeinschaft in einem Hamburger Szeneviertel, das käme für ihn nicht infrage.

Listenplatz 17, da muss der 21-Jährige ein besonders gutes persönliches Wahlergebnis erzielen, um ein Mandat im Gemeinderat zu gewinnen. Im Wahlkampf will Thomas Stender stark auf die Mobilisierungskraft des Internets setzen. Die sozialen Netzwerke, sagt er, seien eine Karte, die man heute ausspielen müsse. 550 "Freunde" hat Thomas bei Facebook - und die, sagt er, seien real: "Ich kenne sie alle."

Jan Thore Lassen

Schon als Schulsprecher hatte Jan Thore Lassen Spaß daran, sich in politische Diskussionen einzubringen. Deshalb hat er sofort zugesagt, als seine Parteikollegen ihn fragten, ob er für den Stadtrat und den Kreistag kandidieren wolle. "Als Kommunalpolitiker hat man gute Chancen, sich vor Ort einzubringen. Hier kann man tatsächlich etwas verändern", sagt er. "Nur leider nehmen das viel zu wenige Menschen wahr." Der Abiturient aus Winsen will seine Chance nutzen, über Listenplatz 10 für die CDU in den Stadtrat einziehen und für eine "solide Finanzpolitik" eintreten. Seit drei Jahren ist er in der Jungen Union, mittlerweile als deren Vorsitzender, vergangenes Jahr trat er auch in die CDU ein. "Das ist die richtige Partei für mich", sagt der 20-Jährige, der sein Abitur am Wirtschaftsgymnasium gemacht hat, BWL studieren will und sich selbst als "leicht konservativ" beschreibt. Aber natürlich seien Kompromisse notwendig. "Wennes für jede Nuance einer Vorstellung eine eigene Partei gebe, bräuchten wir 80 Millionen Parteien in Deutschland."

Jan Thore Lassen, der täglich durch die Feldmark joggt, will Dinge voranbringen. "Ich kann mir gut vorstellen, dass mir die kommunalpolitische Arbeit Spaß machen würde", sagt der Winsener. Um sein Ziel - ein politisches Mandat - zu erreichen, rührt er auch für sich selbst die Werbetrommel. "Man muss schon persönlichen Wahlkampf machen." Dass politisches Engagement immer auch Arbeit bedeutet, hat er in den vergangenen drei Jahren oft erlebt. "Die Sitzungen am Abend fallen nach einem stressigen Tag manchmal schwer."