Harburger SPD-Politiker erkundigen sich an der Förde über den Trinkerraum der Stadt

Harburg/ Kiel. Seine Kollegen im Café Sofa an der Schaßstrasse in Kiel haben gerade Kassensturz gemacht. Jetzt gönnt sich Tresenkraft Dirk Petersen, 44, eine Zigarette. "Auf den ersten Blick wirkt die Szenerie hier wie in einer Kneipe am Nachmittag", sagt der Harburger SPD-Bezirksversammlungsabgeordnete Heinz Beeken, der, wie berichtet, mit fünf weiteren SPD-Ortspolitikern das Kieler Projekt, getragen vom Verein "Hempels", kennenlernen wollte. Denn Harburgs Bezirksverwaltung prüft gerade Pläne, das Kieler Konzept für die Alkoholiker-Szene im Hamburger Süden zu übernehmen.

Christoph Schneider, Leiter des Kieler Amtes für Wohnen und Grundsicherung, berichtet Beeken, Barbara Lewy, Manfred Schulz, Bernd Kähler, Dagmar Overbeck und Wolfgang Brüggmann über die Erfahrungen des 2003 eröffneten "Sofas". "Alles begann bei Aldi an der Ecke", sagt Schneider. Dort hatten sich jeden Tag Alkoholabhängige getroffen, um Bier, Wein und Schnaps zu trinken, Spirituosen, die sie zuvor beim Discounter gekauft hatten. Anwohner beschwerten sich über den Lärm, die Polizei rückte an und verteilte Platzverweise - vergeblich. "Die Häufung von Menschen mit Suchtproblemen ist immer schwierig, es entstehen Angsträume", sagt der Amtsleiter. Immer wieder wird beklagt, dass die Freilufttrinker die attraktivsten Plätze in Beschlag nehmen. Das kommt Beeken bekannt vor. "Das ist auf dem Rathausplatz genauso", sagt er.

Um die Kontrolle über den öffentlichen Raum nicht einer Gruppe Alkoholikern zu überlassen, wurde das "Sofa" aufgemacht. Für bis zu 70 Kieler ist der Trinkerraum mit Kneipenatmosphäre jeweils von montags bis freitags Anlaufpunkt. Bereits nach einem halben Jahr gab es im Umfeld der Schaßstrasse keine Konflikte mit Anwohnern und Passanten. "Die Akzeptanz hat uns selbst überrascht", sagt Schneider. Denn die Spielregeln im Sofa sind streng. Es ist keineswegs so, dass dort unkontrolliert getrunken werden darf. Die Besucher dürfen Alkohol mitbringen. Allerdings keinen Schnaps, sondern nur Getränke mit bis zu 15 Prozent Alkohol, also Bier und Wein.

"Wir arbeiten niedrig schwellig und wollen keine offensive pädagogisierende Angebote unterbreiten", sagt Schneider. Personal, das Hilfe leistet, ist präsent, drängt sich den Gästen aber nicht auf, sondern wird nur dann aktiv, wenn die Besucher es wünschen. Tresenkräfte aus der Szene, wie der tätowierte Dirk Petersen, bringen die Trinker zur Raison, wenn es nötig ist. "Hier gibt es kaum Stress", antwortet er dem SPD-Abgeordneten Manfred Schulz. Schneider bestätigt: "In all den Jahren mussten wir ganz selten die Polizei rufen."

Das "Sofa" ist den Besuchern wichtig. Etwa die Hälfte der suchtabhängigen Kieler haben Hafterfahrung und geben an, täglich zu trinken. Sie sind meist hoch verschuldet, so dass "Hempels" ihnen das Angebot macht, ihre Konten zu verwalten. Von Hartz IV leben nur 13 Prozent, die meisten erhalten SGB II-Bezüge. Weshalb sie nicht mehr in der Fußgängerzone oder im Park trinken wollen? "Hier ist es besser. Keiner sieht mich vorwurfsvoll an oder pöbelt", sagt Karl Heinz Albrecht, 38. Und er trifft "nette Leute". Die Einsamkeit treibt viele Gestrandete ins "Sofa". So auch Volker Steffen: "Draußen saufen sieht assig aus. Im Sofa sind wir unter uns und können uns in Ruhe unterhalten."

Außerdem bietet die Einrichtung noch mehr. Wer will, kann in der benachbarten Suppenküche essen, sich in einem Waschraum frisch machen und sich auch ehrenamtlich engagieren. "Das ist das erste, wonach diejenigen fragen, die etwas an ihrer Situation verändern wollen. 'Gebt mir etwas zu tun', bitten sie", so Schneider. Für einige ist es der erste Schritt in eine andere Richtung: 54 Sofa-Besucher haben sich 2009 beraten lassen, 20 haben dank der Hilfe ihr Leben wieder halbwegs auf die Reihe gebracht. Laut Schneider auch eine Folge des geregelten Tagesablaufs im Sofa. Von montags an bis freitags ist jeweils ab 10 bis 15 Uhr geöffnet. Eine Stunde später wird aus dem Trinkerraum bis 22 Uhr das Hempels Clubcafé. Das Wochenende verbringen viele der Gäste zu Hause. Das "Sofa" an der Schaßstrasse ist so erfolgreich, dass Schneider und seine Verwaltungskollegen im Sommer 2010 einen weiteren Anlaufpunkt für problembehaftete Kieler im Stadtteil Gaarden eröffneten. In dem einstigen Werftviertel pachtete "Hempels" die ehemalige Eckkneipe "Holsteneck" und baute sie zum Trinkraum um. Der Harburger SPD-Abgeordneten Bernd Kähler ist begeistert vom Elan Schneiders. "Es wäre sinnvoll, wenn er das Projekt in Harburg vorstellen könnte", sagt er. Parteikollege Manfred Schulz: "Parallel zu einem Trinkraum könnte ich mir an einigen Plätzen ein Alkoholverbot vorstellen."

Schneider freut sich über das Interesse der Harburger Sozialdemokraten. "Markus Schreiber, der Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte, war auch kürzlich bei uns", sagt er.