Monika Genz hat ein Buch über die Menschen des Hamburger Stadtteils geschrieben. Sieben Jahre hat sie für die 730 Seiten recherchiert.

Neuenfelde. Schon einmal hat Bundt's Gartenrestaurant in Neuenfelde in ihrem Leben eine wichtige Rolle gespielt. Monika und Hans-Heinrich Genz, damals ein junges Paar, kamen aus dem Kino. Sie verabschiedeten sich in dieser stürmischen Nacht, einer ging nach rechts, der andere nach links. Es war die Nacht des 14. Februar 1962: Sturmflutnacht. Monika verbrachte die nächsten Stunden mit Neffen und Nichten in der Mühle neben ihrem Elternhaus. Über ein Transistorradio hörte sie, wo die Deiche überall gebrochen waren - auch dort, wo ihr Hans-Heinrich wohnte. "Ich bin fast ausgerastet", sagt sie über die ungewissen Stunden bis zum Wiedersehen. 48 Jahre später, am 24. August wird es im Saal bei Bundt's im Alten Land wieder eine Premiere geben: Monika Genz (69) wird ihr Buch "Der Baum Neuenfelde" vorstellen.

Monika Genz trägt einen Blazer in türkis, Perlenkette und hat die Haare sorgfältig frisiert. Vor ihr auf dem Tisch ruht das Ergebnis von sieben Jahren Recherchearbeit, 730 Seiten zwischen zwei starken Kartondeckeln gebunden und im Eigenverlag von 1000 Exemplaren herausgebracht. Mehr als drei Kilo wiegt die Chronik "Der Baum Neuenfelde", ihr "Geschenk an Neuenfelde", wie Monika Genz das nennt.

"Mich haben die Geschichten der einfachen Menschen interessiert. Die vielen Familiengeschichten, die soviel Energie, Mut und Wagemut gezeigt haben, die sich auch durch Nackenschläge und Unglücke nicht haben beirren lassen, die eisern aufgestanden sind, wie zum Beispiel die Familie Witt, die sich aus Armut zu Wohlstand emporgearbeitet hat, und die ich immer bewundert habe."

So was gebe es doch heute gar nicht mehr. Mittlerweile wohnt Monika Genz in Moisburg. Doch ihr Weg führte sie mit Block und Bleistift immer wieder in ihren Geburtsort Neuenfelde, wo sie einst "freie Kindheitstage zwischen Elbe, Deich und Obsthof" verbrachte, um sich heute die Geschichten der Menschen erzählen zu lassen. Als Psychologin, Soziologin, Journalistin und Historikerin gewissermaßen. "Alles ungelernt."

Geschichten von Menschen, die auf dem ältesten Hof in Nincop (Familie Gerd Bröhan) beispielsweise schon in der 17. Generation wohnen. "Erst mal musste ich mit den Menschen warm werden, Vertrauen gewinnen, doch nach anfänglicher Skepsis hieß es oft: "Ich glöw, ick heff dor noch wat opm Boden, een Kist mit Breef und Fotos."

Monika und Hans-Heinrich Genz machten "Jobsharing" in seinem Arbeitszimmer, wie sich Hans-Heinrich Genz ausdrückt, der als Makler arbeitet. Monika Genz beugte sich noch spät in der Nacht über Briefe, Fotos und persönliche Erinnerungen der Neuenfelder, machte Kopien, freundete sich langsam mit Computer und Scanner an, für sie eigentlich Neuland.

Von A wie Airbuslandebahn-Erweiterung über S wie Sturmflut bis zu V wie Vereinswesen trug Monika Genz zusammen. "Airbus und Sturmflut, das waren die beiden großen Herausforderungen an den Charakter der Menschen in Neuenfelde." Erfasst wird der Zeitraum von 1059 bis 2009. "1059 taucht Neuenfelde erstmals in den Aufzeichnungen auf." Es ist die Geschichte der Nonne Rikquur, die ein Kind bekam und zur Strafe den größten Teil ihrer Besitzungen abgeben musste, darunter Hasselwerder, die Urzelle des Dorfes Neuenfelde. Diese Begehrlichkeiten "auf unser Dorf" sollten in der Geschichte nicht die letzten bleiben, wie die erbitterten Kämpfe mit der Airbus-GmbH und dem Hamburger Senat gegen die Erweiterung der Start- und Landebahn in Finkenwerder und die Zuschüttung des Mühlenberger Lochs zeigen.

Doch auch andere Geschichten sind gut anzuhören: Wie die des Vollwaisen Hinrich Köster, der 1860 mit 17 Jahren sein Talent zum Zeichnen und Schnitzen entdeckte. Eines Nachts träumte er, er habe den Kronprinzen von Hannover als Galionsfigur geschnitzt. Der Pastor, dem er dies erzählte, ermunterte ihn, es auch in die Tat umzusetzen. Die Figur wurde so kunstvoll, dass der König Georg V. den jungen Mann vom Dorfe einlud. Und als der sich vor der Majestät mit dem Hochdeutschen abmühte, sagte der König einfach: "Du kannst ruhig platt snacken" Oder die Geschichte des jung nach Amerika ausgewanderten Jacob Ritscher, den seine alte Mutter nur an zwei Blutegel-Schröpfungen wiedererkannte.

Für Genz spiegeln die kleinen Geschichten immer auch das Große wieder. Die Bandbreite der menschlichen Möglichkeiten von Mord und Totschlag bis hin zum Bundesverdienstkreuz (Klaus Prigge) oder die Katastrophen rund um Haus, Kind und Deich. Die Chronik zeige, "dass auch in unserem Dorf die ganze Bandbreite der Geschehnisse im Leben des Miteinanders, unvorstellbare Situationen, Vorkommnisse, Ereignisse" möglich seien.

Neben der Darstellung des Vereinswesens und der Schilderung der Besiedelungsgeschichte, den Kriegs- und Sturmflutberichten, nimmt ein Gang durch Neuenfelde den größten Raum ein, der Straße für Straße die alteingesessenen Familien in insgesamt 70 Biografien porträtiert. Habe ihr das Buch über die Menschen und ihre Lebenswege eines gebracht, so Monika Genz, dann sei es eine "ungeahnte Bereicherung" ihres "Toleranzrahmens."

Monika Genz, die ihr Erwerbsleben neben ihrem Mann in eigenen Supermärkten in Hamburg und Neu Wulmstorf gearbeitet hat, ging von an 1995 fünf Jahre als Gasthörerin zur Universität Hamburg und belegte Seminare in Alter und Neuer Geschichte. Die Chronik sieht sie auch als Vermächtnis für ihre beiden Enkel Sophie und Louis an, die immer so fasziniert den Geschichten von damals lauschen.

Das Talent zum Erzählen und das Mitgefühl für Menschen habe sie wohl von ihrer Mutter und der "Oma Diekierd". Ihr "Antrieb" begeisterte auch Bürgermeister Ole von Beust. Auf eine Anfrage bei der Senatskanzlei gab es zu hören. Ja, er würde gerne das Vorwort zu "Der Baum Neuenfelde" übernehmen (die Menschen sind die Blätter). Die Vergangenheit sei ein "gewaltiger Erfahrungsschatz."